Frostschutzberegnungen als bodenkulturelle und zivilisatorische Leistung

Wenn im Frühjahr die Apfelbäume blühen, die Temperaturen höher werden, zugleich aber auch nachts noch recht tief fallen können, besteht Frostgefahr und damit ein eklatantes Risiko für die sensiblen Apfelblüten, sodass Frostschäden und Ernteausfälle drohen.

Bodenfrost ist der Frost bis etwa 2 Meter ober dem Bodenniveau und entsteht dadurch, dass der Boden bei klaren Wetterverhältnissen ohne Wolken die Wärme abstrahlt und gegenüber der Umgebungstemperatur deutlich abkühlt. Dadurch entstehen auch Phänomene wie Raureif. Zudem steigt warme Luft auf, während die kalte Luft absinkt. Folglich sammelt sich die Kälte in den Tallagen und Mulden und bildet ein Mikroklima aus. Oberhalb der 2 Meter ab dem Bodenhorizont ist der Einfluss durch den Wind hingegen höher. Die optimalen Bedingungen für Nachtfrost sind klare, windstille Nächte mit geringer Luftfeuchtigkeit, da eine erhöhte Luftfeuchtigkeit durch die Kondensationswärme den tiefen Temperaturen entgegen wirkt.

Zu den gängigen Methoden, um der Frostgefahr zu begegnen, gehören Heizmethoden, etwa offene Feuer, die beispielsweise in Frankreich angewandt werden, oder die Frostberegnung. Die Methode der Frostberegnung wird in Südtirol seit 1950 angewandt, da andere Methoden wie offene Feuer nicht effizient genug waren. Entsprechend groß muss die Erleichterung gewesen sein, um hier über eine technische Möglichkeit zu verfügen, die gegen den Ernteausfall schützt.

Überhaupt waren die Gefahren eines Ernteausfalles durch Trockenheit, Hagel, Frostschäden und dergleichen vor einigen Jahrzehnten in Ermangelung einer landwirtschaftlichen Versicherung von existenzieller Bedeutung für die bäuerliche Familie, die nicht selten in Abhängigkeit gegenüber Großgrundbesitzern stand.

Es gehört zu den großen zivilisatorischen und kulturtechnischen Leistungen, die Bewässerung und Vereisung zum Schutz der Blüten einzusetzen. Man muss mit Blick auf das Südtiroler Unterland den Blick aber auch weiter fassen. Das Etschtal wurde in der Eiszeit in den Felsen gegraben, besteht heute aus mehreren hundert Metern Kies und Sand und ist – immer dort, wo Hochwasser die Regel ist – recht feinkörnig und entsprechend geotechnisch sensibel.

Diese Ländereien im Hochwassergebiet der Etsch mussten erst durch die Begradigung der Etsch und langwierige Meliorierungen entsumpft und entwässert werden, indem künstliche Gräben angelegt wurden, welche das Grundwasser abführen, sodass diese Ländereien hochwertig für die Landwirtschaft, im Konkreten Weinbau und Obstbau, verwendet werden konnten.

Die Frostberegnung, welche technisch realisiert werden musste, indem das Oberflächenwasser oder das Grundwasser über Brunnen und Pumpen in die Wasserleitungen der landwirtschaftlichen Anlagen befördert wird, basiert auf dem Vorgang der Kristallationswärme, welche physikalisch freigesetzt wird, wenn das Wasser sich vom Aggregatszustand flüssig zu fest bewegt. Wird dieser Gefrierprozess laufend betrieben bis die Temperaturen am Morgen wieder steigen, verbleiben die Temperaturen an der Blüte bei ungefähr +0,5 Grad Celsius, sodass die Blüte geschützt ist.

Damit dieser physikalische Prozess läuft, müssen Umgebungsfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit günstig gelegen sein.

Das Wasser, das dem Boden in Form des Grundwassers entzogen wird, wird diesem in Teilen wieder zurückerstattet, wobei natürlich die Pflanzen sowie der Lebensraum Boden in der Folge an diesem entzogenen Wasser leiden. Kritischer ist die Angelegenheit, wo Oberflächengewässer und Bäche herhalten müssen und folglich der Lebensraum am Wasser extremen Einwirkungen ausgesetzt ist. Heute besteht technisches Innovationspotenzial, um die Frostschutzberegnungen effizienter, wassersparender und energieschonender umzusetzen. Darin besteht ein interessantes Tätigkeitsfeld für weitreichende Innovationen in Zeiten des immer drängenderen Wassermangels.

Das Um und Auf sind zunehmend Anbaumethoden, aber auch wasserbauliche Maßnahmen, um das Wasser, das in Zeiten anhaltender Regenfälle scheinbar im Überfluss zur Verfügung steht, zu speichern und um darauf in Zeiten, in denen Wassermangel herrscht, zurückgreifen zu können. Die Versiegelung weiter Flächen befördert die Hochwassergefahr einerseits und den Wassermangel andererseits.

Das interessanteste Gebiet der Technik ist heute jener Bereich, in dem die Vereinigung von Technik und Natur angestrebt wird. Das betrifft besonders und gerade das Bauingenieurwesen, wo die Verbindung zu Boden und Territorium – im guten Bauen – ohnehin immer gegeben sein muss und sich nicht nur in der Materialität, sondern auch in der perfekten Vereinigung von Bauwerk und Natur äußert.

Indem der Mensch baut, den Fluss reguliert, sich gegenüber Wildbächen und Hochwasser schützt, aber auch versucht, das Wasser dienend für das Gemeinschaftsleben zur Verfügung zu stellen, wird die Natur gezähmt und darüber hinaus auch das Wasser in Form des Dynamischen in die auf Kontrollierbarkeit ausgerichteten statischen Umgebungen des Menschen ausgerichtet.

Die Frostberegnung ist folglich nicht nur eine bodenkulturelle, sondern ebenso eine zivilisatorische Leistung.

Wohl kaum eine zweite Disziplin des Bauingenieurwesens ist so eng mit der Geschichte der Zivilisation verbunden wie der Wasserbau. So hatten die Hochkulturen des Altertums am Euphrat, Tigris, Nil und Indus die Anlage von weitläufigen Bewässerungssystemen mit beeindruckenden Stauwerken und Kanälen zur Voraussetzung. So mussten für die Schaffung von Rom als dem Mittelpunkt der damaligen Welt die Sümpfe des Tiber trockengelegt werden und wurden für die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser bereits 300 v.Chr, hunderte von Kilometern Leitungsrohre und Aquädukte zur Heranführung von Quellwasser geschaffen.

Die Anlage des noch heute bekannten Abwassersammlers, der Cloaca maxima mit 3 m Breite und 4 m Höhe, war schon 600 v.Chr. eine unabdingbare Voraussetzung für die Existenz einer solchen Stadt. In Mitteleuropa ließ Karl der Große einen Verbindungskanal zwischen dem Rhein und der Donau graben, ein Vorhaben, das jedoch vor seiner Vollendung aufgegeben wurde. In China entstand der Kaiserkanal mit 1600 km Länge, der noch heute benutzbar ist. Bis zur Erfindung der Dampfmaschine war neben dem Wind die Wasserkraft die einzige mechanisch nutzbare Antriebsquelle.

BERND ZUPPKE: „HYDROMECHANIK IM BAUWESEN“, BAUVERLAG, WIESBADEN UND BERLIN 1992

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