Dokumentation: Zerfall und Freilegung

Der Zerfall – so tragisch er auch ist – lässt Einblicke in eine Konstruktion zu, die sich uns ansonsten nicht erschließen.

Bei der dokumentierten Konstruktion handelt es sich um einen landwirtschaftlichen Stadel in Gfrill bei Salurn im südlichsten Südtirol auf 1.300 Metern Meereshöhe.

Historisches Mauerwerk

Das landwirtschaftliche Gebäude besteht im Erdgeschoss aus vermörteltem Mauerwerk aus vulkanischem Naturstein. Gfrill liegt im Bereich der so genannten „Trudner Linie“, die den weißen Kalkstein im Südtiroler Unterland vom rötlichen Vulkanit trennt. Es war bei vernakulären Bauwerken natürlich üblich, natürliches Material aus der unmittelbaren Umgebung zu verwenden.

Grundsätzlich ist das vulkanische Gestein druckfester als Sedimentgestein; wobei es alles andere als einfach ist, bei natürlichen Werkstoffen die mechanischen Eigenschaften abzuschätzen, hängen diese nämlich unter anderem auch von den natürlichen Lagerstätten und von den Abbaumethoden ab, welche Spannungszustände und Eigenspannungen hervorrufen. Darüber hinaus ist es auch alles andere als leicht, mechanische Laboruntersuchungen vorzunehmen.

Beim gemauerten Bogen hängt die mechanische Festigkeit allerdings von komplexen Beziehungen zwischen Stein und Mörtel ab, wobei die Tragfähigkeitsgrenze im Lastfall Gleichlast eher durch die drohende horizontale Auflagerverschiebung gekennzeichnet ist. Somit ist vielfach gar nicht die Steinfestigkeit das entscheidende Maß. Dass der Stein auf Druck, respektive Querzug, versagt, ist eher unwahrscheinlich. Vorher versagt eher der Mörtel oder wird aus dem Mauergefüge herausgepresst. Realistischer ist allerdings der Einsturz durch horizontale Verschiebungen oder vertikale Setzungen. Grundsätzlich geht der Bogen dann im Extremfall in eine kinematische Kette über, die statisch versagt.

Weiteres zu Bogen und Gewölben: #elemente: Bögen und Gewölbe

Je nach Gegebenheit und Lastfall ist der Versagensfall allerdings im Detail nachzurechnen.

Deutlich sichtbar wird in der Dokumentation der gemauerte Bogen, der im Zwickel aus Mauerwerkssteinen mit einer Höhe von ca. 30 cm und im Scheitel aus ca. 20 cm besteht. Die Mörtelfugen sind ca. 1 – 2 cm dick. Der Zwickelbereich ist durch Erde aufgefüllt. Dieses zusätzliche Gewicht wirkt als Vorspannung und ständige Auflast und setzt den Bogen unter Druck. Dadurch reagiert dieser robuster. Darüber wird der Fußbodenaufbau ersichtlich.

Bogen aus Naturstein

Vom gemauerten Teil zum Dach

Das Pfettendach wird im vorliegenden Fall durch einen stehenden Dachstuhl getragen und besteht aus Fuß-, Mittel- und Firstpfette. Der Dachstuhl wird durch drei Säulen gebildet, die durch einen horizontalen Balken ausgesteift werden. Die Auskragung der Pfetten ist durch Kopfbänder hergestellt. Der vorspringende Gebäudeteil ist hingegen durch Sparren pultdachförmig hergestellt, die von Mauer zu Mauer spannen.

Es ist für den zentralen Alpenraum üblich, Dachkonstruktionen als Pfetten- und nicht als Sparrendach auszuführen. Die zur Verfügung stehenden, mächtigen Nadelhölzer lassen diese Konstruktionsart zu.

Weiteres zu (historischen) Dachkonstruktionen: #elemente: Sparren- und Pfettendach

Eine Frage der Herangehensweise

Wie geht man mit historischer Bausubstanz um? Grundsätzlich stellen historische Baukonstruktionen einmalige historische Gegebenheiten im Raum dar, die uns selbst in eine Verbindung mit der Geschichte stellen. Es muss also so oft es geht, um einen Erhalt und um punktuelle Eingriffe gehen, um das Historische zu erhalten.

  • Bögen und Gewölbe haben in den meisten Fällen deutliche Traglastreserven und können folglich mit der einen oder anderen Sanierung auch modernen Bauaufgaben entsprechen! Dazu ist in jedem Fall eine genaue statische Nachrechnung notwendig, die sich idealerweise nicht auf eine linear-elastische Untersuchung beschränkt, sondern in einer plastischen Traglastberechnung besteht. Einfach eine Stahlbetondecke durchziehen, genügt der historischen Bauaufgabe nicht: Lorenzo Jurina: Non-konformes, nicht-invasives und zukunftsweisendes Bauen
  • Ebenso verhält es sich bei historischen Dachkonstruktionen. Selbstverständlich müssen beschädigte und morsche Bauwerksteile ersetzt werden. Die Konstruktion hat allerdings – insofern die Nachgiebigkeiten der historischen Verbindungen berücksichtigt werden und wiederum nicht einfach nur linear-elastisch mit vermeintlich perfekten Gelenken gerechnet wird – ebenso wie das Gewölbe in vielen Fällen Traglastreserven.

Historische Bausubstanz kann und muss folglich – im Rahmen der Möglichkeiten – so weit es geht erhalten werden, indem diese statisch bis an die Grenzen untersucht wird. Im vorliegenden Fall weist das Gewölbe selbst – bis auf eine Beschädigung des Mauerwerksgefüges sowie des Mörtels – keine statischen Schäden auf, was die Robustheit der Konstruktion – auch nach Jahrzehnten und mehr – unterstreicht.

Historische Bausubstanz ist schließlich nicht nur Sache für Historikerinnen und Historiker, sondern gibt wertvollsten Einblick in unsere Herkunft sowie in die historische Konstruktion, sodass der zerfallende Hochbau wie im medizinischen Bereich wertvolle Rückschlüsse für die Sanierung, Analyse und Berechnung bestehender Gebäude gibt. Somit ist der dokumentierte Zerfall vielfach eine Chance.

Stichworte: Sanierung, Statik, Südtirol, Altbau, Bauingenieur, Tragwerksplanung, Bestand

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