Die Verwechslung des Bauingenieurs mit dem Architekten ist eine fast tägliche Erfahrung. Tatsächlich waren die beiden Berufsbilder historisch betrachtet im Berufsbild des Baumeisters vereint. Erst die Aufklärung mit der versuchten Berechnung der Wirklichkeit sowie die Industrielle Revolution mit ihren weitreichenden technischen Entwicklungsmöglichkeiten im materiellen und technischen Bereich machten eine Unterscheidung notwendig.
Im Gegensatz zum Architekten arbeitet der Bauingenieur mit den Naturgesetzen und ihren Kräften, gliedert sich in diese ein und wendet Naturwissenschaft im Konkreten an.
Geht es dem Architekten im Wesentlichen um das Raumprogramm und um die ästhetische Erscheinung, so befasst sich der Bauingenieur im konstruktiv-technischen Bereich mit der technischen Umsetzung.
Am Schnittpunkt zwischen Raumprogramm und Tragwerk begegnen sich Architekt und Bauingenieur. Am anderen Schnittpunkt zwischen Tragwerk und Baugrund begegnen sich Bauingenieur und Geologe.
Im Gegensatz zum Geologen geht es dem Bauingenieur weniger darum, die Zusammenhänge in der Natur und im Boden zu beschreiben, sondern die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Bauwerk und Natur zu erfassen und folglich Bauwerke zu schaffen, die den funktionellen Anforderungen in einer kaum zu kontrollierenden Natur, entsprechen.
Abgesehen vom Hochbau, auf den das Gesagte zutrifft und wo der Bauingenieur als Tragwerksplaner wirkt, planen und beraten Bauingenieure darüber hinaus im Verkehrswesen, im Grundbau und in der Geotechnik sowie im Wasserbau, also in jenen Bereichen, in denen Bauwerke in erster Linie durch technische Funktionalität und durch die Naturgesetze bestimmt sind und weniger eine gestalterisch-ästhetische Funktion haben.
Freilich kann eine derartige grundsätzliche Gliederung nie die praktischen Gegebenheiten vollständig erfassen. In der praktischen Berufsausübung sind die Grenzen heute mehr als verschwindend. Treffender als die jeweilige Berufsbezeichnung bilden die individuellen Studienausrichtungen sowie die gesetzlichen und normativen Rahmenbedingungen den Gestaltungsspielraum.
Insbesondere die gesetzlichen Rahmenbedingungen unterscheiden vielfach wie im Beispiel Südtirols oder Italiens – mit Ausnahme spezieller Bereiche wie der Denkmalpflege und abgesehen vom öffentlichen Bauen – nur sehr geringfügig zwischen dem Bereich der Architektur und des Bauingenieurwesens.
Wenngleich die Unterscheidung in Architekt und Bauingenieur – in Südtirol und Italien alleine durch die unterschiedlichen Kammern – heute ein Faktum ist, sind die besten Entwürfe und bautechnischen Ausführungen wohl dadurch gekennzeichnet, dass beide Berufsbilder in enger Zusammenarbeit wirken und tiefreichendes gemeinsames Verständnis für das Bauen als eine ganzheitliche Angelegenheit entwickeln. Und zwar vom Entwurf an im Rahmen einer integralen Planung.
Ästhetik und Baugestaltung sind – richtig erfasst – ebenso die Angelegenheit des Tragwerksplaners. Im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Vielen Dank für diesen Beitrag über Bauingenieure. Gut zu wissen, dass sie auch im Verkehrswesen, im Grundbau und in der Geotechnik sowie im Wasserbau beraten. Ich habe ein Ingenieurstudium erwägt und wollte mich daher informieren.
LikeLike