Gewissermaßen gehört Transparenz zur Ideologie unserer Zeit und zwar in jeder Hinsicht. Unsere Bauwerke sind in diesem Sinne in Materie gehauene Gedanken und folgend unsere Sicht der Welt. Aber auch das Gesicht der Welt im Sinne der Fassadengestaltung.
Es muss folglich auch baulich immer transparenter werden. Jede Stütze ist – dieser modernen Ansicht folgend – eine Stütze zu viel. Das wird dann so weit getrieben, bis der Punkt erreicht ist, ab den das Bauwerk ohnehin nicht mehr im Sinne der vielfältigen möglichen Einwirkungen stabil ist, sondern auf günstige klimatische und seismische Umstände angewiesen ist. Das ist dann mehr Leichtsinn als solide Planung. Diesen Zustand hat Tragwerksplanung, die ihren Namen verdient, zu vermeiden und stattdessen immer auf dem Boden der festen Tatsachen zu verbleiben.
Wenn dann sogar das filigrane Stahltragwerk, welches vielleicht aus dünnen Profilen und Stahlseilen besteht und die Glasstruktur tragend macht, zu viel ist, muss es der tragende Glasbau sein, indem Träger, Schwerter, Pfosten und Stützen aus Glas sind. In jedem Fall ist Glasbau hybrid und werkstoffübergreifend und nur mit Metallbauteilen aus Edelstahl und Aluminium sowie mit Kunststoffen denkbar.
Die Vorteile von Glas liegen auf der Hand:
- Transparenz
- Transluzenz
- Geringe Lichtreflexion
- Chemische Beständigkeit
- Hohe Sprödigkeit
- Nahezu linear-elastisches Verhalten bis zum Bruch
- Geringe Zugfestigkeit, aber hohe Druckfestigkeit.
Die theoretische Zugfestigkeit von Glas ist sehr hoch. Die theoretische Festigkeit von Glasfasern kann allerdings nicht auf den Werkstoff Glas übertragen werden, der von zahlreichen oberflächennahen Diskontinuitäten gekennzeichnet ist. Das Werkstoffverhalten verändert sich folglich im Gegensatz zu anderen Werkstoffen und ist elastisch bis zum plötzlichen Bruch.
Die tatsächliche technische Zugfestigkeit erreicht allerdings „nur“ 3 bis 10 kN/cm². Hintergrund ist, dass strukturelle Fehler in der Materialstruktur, mechanische Einwirkungen in Produktion und Ausführung die Zugfestigkeit deutlich heruntersetzen, welche durch die hohe Kerbempfindlichkeit gekennzeichnet ist.
In der Kerbe sammeln sich Spannungsspitzen, die zu schlagartigem Versagen führen, indem sich die Risse durch eine Klaffung senkrecht zur Rissfläche oder durch Längs- oder Querscherung öffnen. Gegenüber Stahl hat Glas eine extrem geringe Riss- oder Bruchzähigkeit, also einen geringen Widerstand gegen das einsetzende Risswachstum.
Die Festigkeit ist beim Glas folglich kein absoluter Wert, sondern ist durch zahlreiche Faktoren auf mikro- und makroskopischer Ebene beeinflusst. Als „Festigkeit“ wird im Glasbau prinzipiell die Biegefestigkeit verstanden. Dabei handelt es sich um die „typische“ Anwendung als mehr oder weniger große Fensterverglasung.
Die Wärmeausdehnungszahl von Glas (Kalk-Natron-Glas) ist knapp unterhalb jener von Beton. Die Wichte ist identisch. Die Druckfestigkeit von Glas ist allerdings deutlich höher als jene von Beton. Deutlich höher ist auch die Zugfestigkeit.
Konstruktives Glas wird erst durch Vorspannung möglich, die thermisch (Erhitzen und schnelles Abkühlen) oder chemisch wirkt. Dabei zieht sich die Oberfläche zusammen, sodass im Kern Druckspannungen und an der Oberfläche Zugspannungen entstehen, wobei sich die Zugspannungen durch die Viskoelastizität wieder abbauen. Im Endzustand ist der Querschnitt unter Druck gesetzt. Durch die Vorspannung wird die Zugtragfähigkeit und in der Folge die Biegetragfähigkeit erhöht, weil den Zugspannungen die Druckspannungen entgegen gesetzt werden.
Weil die Tiefe, Form und Häufigkeit von Schäden in der Struktur in der Praxis kaum ermittelt werden können, ist es äußerst schwierig, zuverlässige Werte für die Festigkeit von Glas festzulegen. Ein gängiger Wert ist es, die mechanische Festigkeit des unbeschädigten Glases z zu ermitteln und durch probabilistische Überlegungen abzumindern.
Hinzu kommen drastische Einflüsse, die aus Belastungsdauer, Belastungsgeschwindigkeit, chemischen Umständen und Umgebungstemperatur resultieren und die Festigkeitswerte wesentlich beeinflussen. Ein Riss im Glas wirkt nicht lokal begrenzt, sondern beeinflusst das gesamte Bauteil.
Aus diesem grundsätzlichen mechanischen Verhalten von Glas resultieren weiter reichende Sicherheitsbestimmungen. Entscheidend ist, inwiefern ein Glasbauteil eine Gefahr für Menschenleben sowie ein wirtschaftliches Schadensrisiko verursachen kann. In Abwesenheit verbindlicher Normen ist die Bemessung um ein Vielfaches komplizierter als für Werkstoffe, die über Eurocodes geregelt sind. Bauzulassungen sowie praktische Prüfungen sind entsprechend relevant.
Der effektive Bemessungs- und Versuchsaufwand richtet sich gemäß den Sicherheitskonzepten nach dem Zweck. Absturzsicherungen aus Glas, die in die Kategorien A, B und C eingeteilt werden, sind weniger restriktiv als Horizontalverglasungen, Überkopfverglasungen, begehbares Glas als Glasträger oder Glasstützen. Die deutsche DIN 18008 ist die Referenznorm für die Glasstatik.
Das Konstruieren mit Glas erfordert also spezielle Herangehensweisen. Empfindliche Stoßeinwirkungen können nur begrenzt rechnerisch eingegrenzt werden. Diese sind als weiche und harte Stöße einteilbar. Ein harter Stoß ist ein harter Körper mit großer Geschwindigkeit (etwa ein Projektil), dessen Auswirkung begrenzt ist, während ein weicher Stoß hingegen das gesamte Bauteil verformt und belastet.
Ebenso ist der Zwang durch eine aufgezwungene Verformung mehr als problematisch, sodass konstruktive Gegenmaßnahmen erforderlich werden. Dadurch kommen elastische Zwischenschichten zur Anwendung, welche gerade an den Kanten eine harte Auflagerung verhindern.
Floatglas erreicht eine Biegefestigkeit von 4,5 kN/cm2, Teilvorgespanntes Glas (TVG-Glas) 7 kN/cm2, Einscheibensicherheitsglas (ESG-Glas) rund 12 und Chemisch vorgespanntes Glas (CVG-Glas) rund 15 kN/cm2.
Bei Verbundgläsern ist die Verbundtheorie anzuwenden. Der Verbund, der durch Folien und Reaktionsharze hergestellt wird, hat allerdings ein Kriechverhalten, welches die Verbundwirkung heruntersetzt. Bei Verbundgläsern und Verbundsicherheitsgläsern ist die Resttragfähigkeit nach lokalem Versagen als der Widerstand gegen das Systemversagen wesentlich.
Wie bei allen Werkstoffen sind Verbindungen das Um und Auf, das den Einsatz der Werkstoffe drastisch einschränkt. Verbindungen im Glasbau können als Klebeverbindungen, als Lochleibungsverbindungen oder als Reibverbindungen ausgeführt werden.
Darüber hinaus ist natürlich die Typologie der Auflagerung, ob punktuell oder linienförmig, von Belang und bemessungsrelevant.
Immer werden im Glasbau Dichtstoffe sowie Verformungslager aus Kunststoff notwendig, welche dem spröden Werkstoff Glas seine Geschmeidigkeit geben und Glas bauphysikalisch und konstruktiv erst einsetzbar machen. Gerade das Thema der sommerlichen Überwärmung macht Beschattungen, Begrünungen und Kühkungen notwendig, die nachhaltig gestaltet sein müssen.
Bei größeren Verformungen, die die Plattenstärke übersteigen, ist die Plattentheorie nicht mehr anwendbar und es stellt sich ein Membranspannungszustand ein. Es bilden sich in der Mitte der durchhängenden Platte Membranzugspannungen aus, die durch einen Druckring im Gleichgewicht gehalten werden. Um Platten folglich wirtschaftlich zu bemessen, sind geometrisch nichtlineare Berechnungsansätze notwendig, welche die Verformungen in Rechnung stellt.
Literatur:
[1] Johann-Dietrich Wörner, Jens Schneider, Andreas Fink: “Glasbau – Grundlage, Berechnung, Konstruktion“, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2001
[2] Bernhard Weller, Felix Nicklisch, Sebastian Thieme und Thorsten Weimar: „Glasbau-Praxis – Konstruktion und Bemessung“, Bauwerk Verlag, Berlin 2010


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