Bioengineering?
Selbstverständlich können wir heute bizarr bauen, die Materialität scheinbar aufheben und auch den Bezug zum Boden vollkommen in Frage stellen. Faktisch machen wir das ständig. Das fertige Bauwerk erinnert dann an kühne futuristische Entwürfe, die Oberfläche ist metallisch und grell, doch so richtig warm wird uns nicht. Ganz im Gegenteil. Wir verstehen das Bauwerk nicht, wir fühlen keine Nähe, das Bauwerk baut eine nicht überwindbare Distanz zu uns auf und die Entfremdung wird deutlich.
Und dann können wir anders und grün bauen. Der Boden wird fühlbar. Die Materialität wird erfassbar. Wir verzichten auf viel synthetische Künstlichkeit. Wir gehen den Weg einer konstruktiven Geradheit. Durch unseren Kopf, aber auch durch unseren Körper gehen Geschichte und Natürlichkeit. Es findet eine Reflexion statt, die nicht abstrakt, sondern konkret und natürlich verwachsen ist. Es geht um etwas, das wir sehen, fühlen und riechen. Das alles ist nicht rückwärtsgewandt, sondern weit nach vorne gerichtet, gelingt es uns nämlich endlich, die natürliche Intelligenz für unser Bauen zu erfassen, Mensch und Natur und Bauwerk zu vereinen.
Es gibt sie, diese Architekten und Bauingenieure, die sich mit der natürlichen Intelligenz im Planen und Bauen befassen. Peter Zumthor fällt uns ein. Auch Gion Caminada, um bei den Schweizern zu bleiben. Oder Hermann Kaufmann, um nicht viel weiter, aber doch, in Vorarlberg vorbei zu schauen. Wenn wir uns mit diesen Architekten befassen, dann geht es nicht um reine Technik, sondern um deren Fähigkeit, baukulturell und naturverbunden zu denken, eine Vision vom besseren Bauen zu gestalten, das im Boden rückgebunden ist, aber auch um die Weitergabe eine große menschliche Erfahrung, um das Bewusstsein der Tiefe, die über das Materielle weit hinausreicht.
Struktureller Minimalismus
Hermann Kaufmann stellt richtig fest, dass es eine Zweiteilung der Architektur in der Moderne gebe. Jene, die gut und gerne mit Holz bauen würden und jene, die in ihrer modernistischen Weltauffassung Holz weitgehend meiden würden: „Für viele heute praktizierende Architekten war der Holzbau während ihres Studiums kein Thema. Denn alle waren fasziniert von den modernen Baustoffen wie Beton und Stahl. Niemand hat von uns verlangt, über andere Materialien nachzudenken“ [1].
Hermann Kaufmann, der aus einer Vorarlberger Zimmermanns-Familie stammt, studierte in Innsbruck und Wien, wurde als Architekt selbständig und prägte von 2002 bis 2021 den Fachbereich Holzbau und Entwerfen an der Technischen Universität München und damit die gesamte Holzbau-Architektur. Heute mit herausragenden Holzbau-Projekten in Vorarlberg, im Bregenzer Wald, aber auch weit außerhalb.
Hermann Kaufmanns Gedanken müsste man vielleicht noch weiter treiben: Nicht nur die Zweiteilung der Architektur in eine mehr modernistische und mehr traditionalistische Ausrichtung ist zu hinterfragen, sondern vor allem auch die Distanz zwischen Architektur und Bauingenieurwesen. Diese Distanz bewirkt vor allem eines, dass nämlich Projekte nicht abgestimmt sind, Tragwerk und Bauwerk zwei verschiedene Welten sind, wir statisch und dynamisch nicht schlank und leicht, sondern umständlich bauen.
Bessere Projekte?
Es bewegt sich etwas von der Vision des grünen Bauens zur Verwirklichung grüner Projekte in der baulichen Praxis. „Wir merken, dass etwas vorangeht. Grünes Kapital steht immer mehr zur Verfügung und es gibt eine steigende Nachfrage zum Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen“ meint Herrmann Kaufmann. Die jüngere Generation sei folglich fasziniert von dem Baustoff Holz. Damit einher gehen müssten aber ein vertieftes Wissen über diesen komplexen Werkstoff, von der Planung bis zur Bautechnik. Grünere Projekte sind also nur durch eine bessere, effizientere und zielgerichtetere Planung möglich. Das eine schließt das andere mit ein.
Hermann Kaufmann schränkt den Holzbau aber auch ein: Diesen in Regionen voranzutreiben, in denen weder der Werkstoff Holz in vernünftigen Entfernungen verfügbar ist und auch die klimatischen Bedingungen nicht unbedingt vorteilhaft seien, und zudem auch die Holzbautechnologie nicht ausgereift sei, sei nicht zielführend. In diesem Sinne geht es um Wissenstransfer im Holzbau, aber auch um die Nutzung jener Holz-Ressourcen in Ländern, die weit über deren Bedarf hinausgehen.
Ausgehend von einer Vision des grünen Bauens sowie einer Vereinigung von Natur und Bauwerk stellen sich folglich hohe Anforderungen an das Bauen von heute: Natürliche Baustoffe müssen anders behandelt werden, sind sensibler, erfordern mehr handwerkliches Geschick und bauplanerische Fertigkeiten. Und wenn unsere Projekte gut und erfolgreich verlaufen sollen, müssen wir auch modernes Projektmanagement betreiben und unsere Projekte zu den besten Projekten machen, die nur denkbar sind.
Literatur:
[1] Sandra Hofmeister (Hrsgb.): „Hermann Kaufmann Architekten“, Edition Detail, München 2023
[2] Hermann Kaufmann, Stefan Krötsch, Stefan Winter: „Atlas mehrgeschossiger Holzbau“, Edition Detail, München 2022


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