Wasser wirkt auf uns Menschen. Unser Verhältnis zum Wasser ist ursprünglich. Selbstverständlich als Quelle allen Lebens. Menschen ließen sich zu allen Zeiten nur dort nieder, wo genügend Wasser vorhanden war, um dem Leben in seinen vielfältigen Formen seinen Lauf zu lassen. Wasser lässt sich gewinnbringend nutzen.
Wasser wird aber auch zur Gefahr. Als Hochwasser, als reißerischer Abfluss, als Sturzflut, die Grund und Boden gefährdet. Das Verhältnis zum Wasser ist ambivalent. Aus der potentiellen Gefahr entsteht die distanzierte Hochachtung.
Wasser wirkt vor allem aber auch metaphysisch auf uns. Im Gegensatz zur Erde, zum festen Boden, in dem wir wurzeln, symbolisiert das Wasser das Undifferenzierte, Aufgelöste und Ungeformte. Ein See, eingebettet in die Natur, durchtränkt die Erde, öffnet vielleicht auch ein Stück weit die Erde, ist eine Art Übergang vom Festen zum Aufgelösten, ein Medium, das die Materie auflöst.
Der rumänische Philosoph Mircea Eliade erkennt im Wasser das Undifferenzierte. Das Wasser bedeute Auflösung. Wasser reinige und reintegriere, gehe der Schöpfung voraus, stehe für eine andere Zeit. „Alles, was Form ist, manifestiert sich außerhalb des Wassers, sich von ihm ablösend. Was allerdings vom Wasser losgelöst und Form geworden ist, untersteht dem Gesetz der Zeit und des Lebens; es kennt Grenzen, Geschichte, es ist ein Teil im großen Werden, verdirbt und entleert seine Substanz“ [1].
Demgemäß ist das Eintauchen in das Wasser ein Aufheben der Zeit, ein Aufgehen im großen Ganzen in einer anderen, einer fließenden, Ordnung.
Das gilt erst recht für das Meer. Das Meer kennzeichnet eine andere Ordnung als das Land. Carl Schmitt stellt „Land und Meer“ als grundsätzlich verschiedene metaphysische Ordnungen gegenüber [2]. Das Streben nach Weltmacht hing historisch mit der Kontrolle über das Meer zusammen.
Das Meer ist ein eigenes Ökosystem mit einer eigenen maritimen Fauna und Flora. Im Meer schwebend und schwimmend, lösen wir unsere erdverwachsene Struktur auf. Die Erwärmung der Meere stellt dieses Ökosystem vor akute Herausforderungen. Unsere gesamte Geologie ist eine Auseinandersetzung mit dem Ökosystem Meer.
Der Boden, die Erde, stellt eine grundsätzlich andere Ordnung dar als die Welt des Wassers. Unserer vertikalen Welt der Erde, der wir Menschen angehören, ist eine gleichwertige vertikale Welt der Tiefen der Meere gegenüberstellt. Die Wechselwirkung zwischen Wasser und Land stets immer gegeben.
Der rumänische Philosoph Mircea Eliade sieht in der Verbindung mit der Erde mystische Gegebenheiten, die sich aus der nährenden Funktion des Bodens ergeben. „Die Erde ist „lebendig“, vor allem, weil sie fruchtbar ist. Alles, was aus der Erde kommt, ist dem Leben geweiht, und alles, was in sie zurückkehrt, soll aufs Neue leben. Die Zweiheit homo – humus darf nicht so verstanden werden, dass der Mensch Erde sei, weil er sterblich ist, sondern in einem anderen Sinn: Der Mensch kann leben, weil er aus der Erde kommt, weil er von der Terra Mater geboren ist und zu ihr zurückkehrt“ [1]. Anders ausgedrückt: Aus der Erde komme ich, in die Erde kehre ich – irgendwann – wieder zurück.
Das Wasser ist etwas anderes als das Land. Nach dem Stadtplaner Jan Gehl steht das Meer für die Unendlichkeit [3].
Das Meer stand seit jeher für eine besondere Konzeption von Freiheit, teilweise auch einer Gesetzeslosigkeit, aber auch Zugang zum Welthandel und zur Weltpolitik.
Manchmal blicken wir einfach nur aufs Meer, leicht bekleidet, wir haben keine Termine, nur unser hüllenloses Selbst, unser Blick in die Unendlichkeit, ein Glas Negroni, ein Denken an das, was wird, auch die Versuchung, alles liegen und stehen zu lassen, aber auch Gedanken an neue Projekte und neue Herausforderungen. Das Meer kennzeichnet den Aufbruch.
[1] Mircea Eliade: „Die Religionen und das Heilige – Elemente der Religionsgeschichte“, Insel Verlag, Frankfurt 1998
[2] Carl Schmitt: „Land und Meer“, Klett Cotta, Stuttgart 1942
[3] Jan Gehl: „Städte für Menschen“, Jovis Verlag, Berlin 2015


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