Der hohe Energiebedarf unserer Wirtschaft und Gesellschaft sowie neuer Technologien, die den Alltag prägen, vor allem aber die geopolitischen Probleme, die einerseits mit Dekarbonisierung und Klimawandel und andererseits mit dem Erdgas aus Russland zusammen hängen, machen den Atomstrom zur energiepolitischen Option.
Die grundsätzliche Problematik besteht natürlich darin, dass wir uns unter dem Eindruck einer stark wachsenden Nachfrage nach elektrischem Strom in eine Situation hineinmanövriert haben, in welcher die Nachfrage nach Strom kaum mit den nachhinkenden Ausbauplänen zu erneuerbaren Energiequellen abgedeckt werden kann. Groß angelegte Investitionen in nachhaltige Energiequellen werden folglich das Um und Auf für die kurzfristige Zukunft.
Während manche EU-Länder auf Atomkraft setzen, bleibt denjenigen Ländern, die aus der Atomkraft ausgestiegen sind, vorerst nur das Erdgas. Bis denn die vielzitierte Energiewende ansetzt. In einer Zeit, in der wir das russische Erdgas aus politischen Gründen nicht wollen, ein akutes Problem.
Hartmut Spliethoff, Professor für Energiesysteme an der TU München, bringt das Dilemma auf den Punkt:
Aus Sicht des Energieexperten wurde die Versorgungssicherheit in den vergangenen Jahren vernachlässigt. „Klar, das langfristige Ziel ist der Ausbau der Erneuerbaren, eine komplett erneuerbare Versorgung. Auf dem Weg dorthin haben wir aber die Versorgungssicherheit vernachlässigt.“ Deutschland hat nach dem Reaktorunglück von 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Um CO2 zu sparen, sollen zudem bis spätestens 2038 alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Gleichzeitig dauert es noch, bis die Erneuerbaren Energien 100 Prozent des Bedarfs decken können. „Dann bleibt eben nur das Erdgas als Brückenlösung übrig“, sagt Spliethoff. Von daher begebe man sich in diese Abhängigkeit vom Erdgas. „Das war zu sehen, dass wir da anfälliger sein werden.“
Hartmut Spliethoff (Link)
Kernenergie
Im Rahmen der neutroneninduzierten Kernspaltung bewirkt ein freies Neutron bei Einwirkung auf einen sehr schweren Atomkern, etwa von Uran oder Plutonium, durch die Absorption des Neutrons die Bildung eines durch die Bewegungsenergie angeregten, instabilen Atomkerns, der sich durch Spaltung abreagiert. Durch die Spaltung entstehen – meistens – zwei leichtere Kerne. Darüber hinaus entstehen auch freie Neutronen, die sich weiter spalten und eine Kettenreaktion verursachen können. Diese bestehen aus prompten und verzögerten Neutronen.
Die Spaltungskette endet, sobald ein stabiles Nuklid entsteht. Insofern die Neutronenerzeugung den Neutronenverlust übersteigt, ist ein überkritischer Zustand erreicht, welcher – bei Erreichen einer erhöhten Kritikalität – nicht mehr technisch zu kontrollieren ist und die Umgebung durch die Energiefreisetzung gefährdet.
Radioaktivität entsteht aus dem Zerfall instabiler Atomkerne im Rahmen der Kernspaltung, welche unter Energieabgabe (Bewegungsenergie) oder durch Aussendung von Teilchen (Strahlungsenergie) vor sich geht. Die Menge der radioaktiven Ausgangskerne halbiert sich nach der Halbwertszeit. Trifft die Strahlung auf einen Organismus, entstehen Ionen, welche das Gewebe verändern.
Im Kernkraftwerk wird durch den Prozess der kontrollierten Kernspaltung (Fission), welche sich hauptsächlich durch Uran und Plutonium vollzieht, vorerst kinetische Energie und Strahlung und in der Folge – mittels Stößen im Reaktor – Wärme erzeugt. Während im Kernreaktor die Reaktionsrate kontrolliert, also konstant gehalten wird, indem zum Beispiel durch regelbare Steuerstäbe aus Bor die freien Neutronen bedarfsgerecht mehr oder weniger absorbiert werden, ist diese in Kernwaffen auf eine schnelle Kettenreaktion ausgelegt, wodurch Hitze, Strahlung und Radioaktivität freigesetzt werden.
Die im Rahmen der Kettenreaktion frei gesetzte Wärme ist um ein Vielfaches höher als bei chemischen Prozessen. Diese Wärme wird im Reaktor durch das Medium Wasser mittels Dampfturbine und Generator in elektrische Energie umgewandelt.
Neueste Technologien versprechen, dass Atomstrom heute deutlich sicherer produziert werden kann und ein Reaktorunfall eher unwahrscheinlich ist.
Ein „Restrisiko“ bleibt: Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit eines Reaktorunfalls dank neuester Technik nicht wirklich groß ist, ist das potentielle Schadensausmaß immens. Weil das Risiko eine Frage von Risikowahrscheinlichkeit und potentiellem Gefahrenausmaß ist, ist das so genannte „Restrisiko“ immer noch viel zu hoch und immer eine Katastrophe, weshalb Atomstrom keine ernsthafte Option ist.
Gerade in Zeiten zunehmender Unsicherheiten, in denen die militärische Sicherheit nicht mehr allzeit gegeben zu sein scheint und die asymmetrischen Konflikte in Form von Terror zunehmen, aber auch Naturkatastrophen dramatisch zunehmen, ist die zivile Atomkraftnutzung ein offenes Risiko.
Nicht gelöst ist darüber hinaus nach wie vor das akute Problem des radioaktiven Mülls.
Eine Alternative ist – und das seit Jahrzehnten – die Kernfusion, bei welcher der umgekehrte Weg beschritten wird, nämlich die Zusammenführung zweier Atomkerne zu einem neuen Atomkern unter Freisetzung von Energie. Anders als bei der Kernspaltung droht kein überkritischer Zustand und die radioaktive Kontaminierung ist weitaus geringer. Einzig und allein, die praktische Erprobung und die Wirtschaftlichkeit stehen aus.
Erneuerbare Energie
Beim Thema „Erneuerbare Energie“ ist ein Energiesystem notwendig, das die Problematik der Schwankung erneuerbarer Energiequellen löst. Hier sind Maßnahmenentscheidungen auf politischer Ebene gefragt, weil das Energiesystem in besonderem Maße über unsere Zukunft als Gemeinwirtschaft entscheidet. Infrastrukturpolitik ist mehr denn je eine wesentliche Aufgabe des Staatswesens und es sind hier teilweise auch unangenehme Entscheidungen notwendig.
Wesentlich ist eine Auseinandersetzung mit der Hierarchie der Energiequellen, weil die Debatte rund um die Erneuerbaren ansonsten zur Floskel verkommt:
Wind- und Solarenergie sind intermittierende Energiequellen; das Potential ist zeitlich schwankend. Daraus folgt, dass es insbesondere darauf ankommt, auf Speichertechniken zurückzugreifen, um die zeitlichen Schwankungen zwischen zu speichern. Dazu eignen sich Batterien oder Wasserstoff und folglich Methan.
Daneben ordnen sich die Energiequellen an, die die Grundlast abdecken, deren Anpassungsfähigkeit an zeitlich erhöhten Energiebedarf jedoch nur sehr gering ist. Dazu gehören beim Thema Wasserkraft die Laufwasserkraftwerke ohne Speichervolumen, Steinkohle, Erdgas, Biomasse, Erdöl und Kernkraft, also Atomstrom. Bei der Kernkraft wird versucht, die Stromerzeugung ununterbrochen unter Volllast laufen zu lassen, weil die Investitionskosten hoch sind und Kernkraftwerke folglich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit für einen Grundlastfall und nicht für Spitzenlasten bemessen werden. Demgegenüber sind die laufenden Kosten relativ gering.
Letztlich sind Speicherwasserkraftwerke für die Energieversorgung von entscheidender Bedeutung, weil sich diese sowohl zur Abdeckung des Grundbedarfes als auch zur Abdeckung der zeitweiligen Spannungsspitzen eignen, indem der Durchfluss zeitlich erhöht und an die zeitweilige Nachfrage angepasst werden kann.
Die Speicherung von Energie ist wesentlich, um die intermittierenden regenerativen Energiequellen auszugleichen. Ob in Batterien, in Form von Wasserstoff oder mechanisch in Form von Pumpspeichern, ist nicht nebensächlich, sondern die Fragestellung schlechthin und nur in einem Gesamtkonzept zu lösen, das sich von Egoismen löst und das Gemeinsame in den Mittelpunkt stellt.
Freilich, in Zeiten von Wassermangel, Trockenheit und Niederschlagsarmut gerät die Wasserkraft immer wieder an ihren Grenzen. Unterschiedliche Interessen sind auszugleichen, weil die Ressource Wasser außen- und innenpolitisch zunehmend wichtig wird und hier nur ein starkes Gemeinwesen, das nicht von Lobbys abhängig ist, mehr oder weniger „gerechte“ Entscheidungen treffen kann.
Und zuletzt: Der Bau von Talsperren und Staumauern ist mitunter auch eine komplexe bauliche Angelegenheit, bei welcher Bautechnik und Geologie an ihre Grenzen getrieben werden und einen Zustand schaffen müssen, der die notwendige Sicherheit garantiert.
Im Sinne eines zukunftsfähigen Energiesystems sind – über die Atomkraft hinaus – die Grunlagen für eine sichere Energieversorgung zu schaffen.