Leopold Müller wurde 1908 in Salzburg geboren. Sein leiblicher Vater, Josef Unterberger, war Lehrer, die Mutter Maria Zerkowitz, stammte aus Wien. Die Mutter heiratete 1919 den Gymnasiallehrer und Germanisten, Eugen Müller, der Lepold adoptierte. Liest man Leopold Müllers Schriften zum „Felsbau“, die nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich und durch literarische Zitate, vorzugsweise von Goethe, bestechen, so kommt die väterliche Erziehung wohl zum Vorschein. Interessanterweise besuchte Leopold Müller das Gymnasium in Salzburg mit Herbert von Karajan.
Ab 1926 studierte Leopold Müller Bauingenieurwesen an der Technischen Hochschule Wien sowie Schlagzeug an der Wiener Akademie für Musik, ehe er 1932 das Studium abschloss und 1933 bei Joseh Stiny über Felskluftmessungen promovierte, weil der Arbeitsmarkt desolat war.
In der Folge war Müller zwischen 1933 und 1935 als Bauingenieur bei Straßen-, Wasserbau- und Tunnelbauprojekten, insbesondere im Autobahnbau, als Bauleiter tätig. Wichtige Projekte waren die Großglockner-Hochalpenstraße, besonders der Mittertörltunnel, die Salzachregulierung oder der Autobahnbau. Die Einstellung Leopold Müllers beim Bau der Großglocknerstraße organisierte der Adoptivvater beim Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl [3].
Die Auseinandersetzung mit Festgestein und Fels wurde folglich zur täglichen Herausforderung. Ab 1935 arbeitete Müller für die Firma Polensky & Zöllner in München, für die er auf Großbaustellen in München, Köln und Berlin tätig war.
In diesem Zuge stand Leopold Müller im engen Austausch mit Hans Cloos, Geologieprofessor in Breslau und Bonn, der sich intensiv mit Tektonik befasste. Hans Cloos ist am Drachenfels bei Bonn auf einer Gedenktafel verewigt. Leopold Müller geriet beim Bau der Deutschen Alpenstraße bei Berchtesgaden auf den Kehlstein, wozu 5 Tunnelbauwerke notwendig waren, in intensive Auseinandersetzung mit der Geologie. Zeitweise war Müller am Bau der unterirdischen Nachrichtenzentrale für das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht in Zossen beteiligt.
Leopold Müller soll diese Phase als „Lehr- und Wanderjahre“ bezeichnet haben.
Nach Kriegsbeginn wurde Leopold Müller als Bestandteil der Organisation Todt in Belgien, Frankreich, auf den englischen Kanalinseln sowie in Nord-Norwegen im Zuge des Baus der Nordlandbahn beteiligt. In Norwegen geriet Müller in englische Kriegsgefangenschaft und hatte nun Zeit und Muse, Konzepte zur Felsmechanik niederzuschreiben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Müller Oberbauleiter beim Bau des Kraftwerks Kaprun, ehe er 1948 ein „Ingenieurbüro für Geologie und Bauwesen“ gründete.
Wesentlich ist im Rahmen der Biografie Leopold Müllers der Übergang von der „Wehrgeologie“ zum „Salzburger Kreis“ [4]. Die ehemaligen österreichischen Wehrgeologen Franz Kahler, Alois Kieslinger, Karl Metz, Walter Zanoskar und Leopold Müller, die in Norwegen im Tunnelbau gemeinsam tätig waren, begründeten in Leopold Müllers Privatwohnung in Salzburg der „Salzburger Kreis“, der ein Kolloqium für Grenzfragen des Felsbaus darstellte, und gründeten 1948 die „Internationale Arbeitsgemeinschaft für Geomechanik“. Der Arbeitsgemeinschaft ging es darum, die beschreibende Geologie in eine Ingenieurgeologie weiterzuentwickeln, was bei den Vertretern der klassischen Mechanik, aber auch bei Vertretern der Geologie, die diese als reine Erfahrungsdisziplin auffassten, auf wenig Gegenliebe stieß. Ähnlich verhielt es sich bei Karl von Terzaghi mit dem Versuch, die moderne Bodenmechanik zu begründen, der ebenso in einem Aufbegehren gegen die Etablierten bestand.
Bereits 1962 wandelte Leopold Müller die Arbeitsgemeinschaft in die „Internationale Gesellschaft für Felsmechanik“ (ISRM) um und vernetzte sich mit Wissenschaftlern aus Europa und den Vereinigten Staaten. Die ISRM ist seit 1966 in Lissabon ansässig und stellt einen internationalen Dachverband für Geomechanik dar. Die konkrete Bezeichnung erfolgte interessanterweise in Korrespondenz und Abstimmung mit Karl von Terzaghi.
1968 entstand die Österreichische Gesellschaft für Geomechanik (ÖGG) als österreichischer Ableger der ISRM.
Leopold Müller etablierte die Beobachtungsmethode in der Ingenieurgeologie, die die Theorie zu integrieren hatte, und gründete 1961 eine Versuchsanstalt für Fels, die „Interfels“ mit, welche Messungen an Fels und an Tunnelbauwerken durchführte. Leopold Müller trug wesentlich dazu bei, die moderne Felsmechanik zu begründen, die Theorie mit Praxis verband und in der „Neuen Österreichischen Tunnelbaumethode“ (NÖT, bzw. New Austrian Tunnelling Method, NATM) ihren Höhepunkt findet. Zentral waren in der neu geschaffenen Felsmechanik Laborexperimente an Prüfkörpern, Modellversuche mit äquivalenten Materialien, In-Situ-Versuche im Gebirge sowie theoretische Modellrechnungen. Dabei kritisierte Müller rein theoretische Berechnungen und trat für praktische Erfahrungen und Beobachtungen im Gelände ein, die die Theorie plausibilisieren.
1964 wurde Leopold Müller Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule München und 1965 ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Bereits 1969 hielt Müller in 17 Universitäten in den Vereinigten Staaten Gsstvorlesungen. 1974 hielt er Gastvorlesungen in Pakistan, 1980 in der Volksrepublik China und 1982 in Japan. Ab 1977 war Leopold Müller Honorarprofessor an der Universität Salzburg.
Leopold Müller betätigte sich international als Planer und Berater. Zu wichtigen Planungsaufgaben zählten die Sanierung der Festung Hohensalzburg und des Linzer Schlosses, Tunnelbauwerke, Felssicherungen, der Bau von Krafthauskavernen sowie die Wasserversorgung in Saudi-Arabien. Beratend wirkte er im Rahmen zahlreicher internationaler Talsperrenbauwerke, Tunnelbauwerke und Straßenbauwerke in Österreich, der Bundesrepublik Deutschland, in Italien (Vajont), im Iran, Japan, Mexiko, Spanien, Süd-Rhodesien, Chile, Indien, Jugoslawien, Pakistan, Südafrika, der Türkei, Frankreich, Kolumbien und den Vereinigten Staaten.
Leopold Müller begründete mit seinem mehrbändigen Werk „Der Felsbau“, das ab 1963 erschien, die Fels- und Geomechanik als Unterdisziplin der Geotechnik. Leopold Müller verstarb 1988 in Salzburg, dessen Lebenswerk „Der Felsbau“ wurde teilweise posthum veröffentlicht.
Literatur:
[1] Otto zu Stolberg-Wernigerode (Hrsgb.): „Neue deutsche Biographie“, Duncker & Humblot, Berlin 1997
[2] Mitteilungen der österreichischen geologischen Gesellschaft 1989, Wien 1990
[3] Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt, Band 160, Wien 2020
[4] Hermann Häusler: „Von der Wehrgeologie in Norwegen 1940-45 zum „Salzburger Kreis“ der Geomechanik“, Berichte der Geologischen Bundesanstalt Band 113, Wien 2015
[5] Leopold Müller: „Der Felsbau – Felsbau über Tage 1. Teil“, Springer Verlag, Heidelberg 1963
[6] Leopold Müller: „Der Felsbau – Felsbau über Tage, 2. Teil A“, Springer Verlag, Heidelberg 1992
[7] Leopold Müller: „Der Felsbau – Felsbau über Tage, 2. Teil B“, Springer Verlag, Heidelberg 1995
[8] Leopold Müller: „Der Felsbau – Band 3 Tunnelbau“, Springer Verlag, Heidelberg 1978
[9] International Society for Rock mechanics: „Leopold Müller Centenary, 2008 Annual Review“, Lissabon 2008


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