Der Konflikt in der Ukraine lässt niemanden kalt. Plötzlich und über Nacht sehen wir uns einem Konflikt an den Grenzen Europas ausgesetzt, während wir bisher den Frieden als allgegenwärtig und selbstverständlich wahrgenommen haben.
Plötzlich entlädt sich die politische Zerstörung. Plötzlich müssen wieder Menschen aus ihrer geliebten Heimat flüchten und verlieren Hab und Gut. Plötzlich fürchten wir wieder um Frieden und Freiheit und nehmen eine äußere Bedrohung wahr. Plötzlich werden die vielen politischen Konflikte rund um Themen dritter oder vierten Ordnung, die in einer Blase debattiert wurden, unwichtig.
Plötzlich befassen wir und uns wieder mit dem vermeintlich verstaubten Völkerrecht, während wir bisher eher so getan haben, als gehe uns das alles gar nichts an. Plötzlich verurteilen wir politische Mächte, die politische Grenzen überschreiten und sich nicht an das Selbstbestimmungsrecht der Völker halten. Die „normative Kraft des Faktischen“ gibt es im Recht schlichtweg nicht.
Der Konflikt setzt die Prioritäten neu. Und der Konflikt bestärkt die Rückkehr des Politischen in unserem Alltag.
Plötzlich – oder gar nicht so „plötzlich“. Befasst man sich nämlich mit den Brennpunkten der Geopolitik, dann ist eine zunehmend multipolare Welt eine Entwicklung, die sich uns seit Jahren aufdrängt ohne, dass wir uns ernstzunehmend mit diesen Umständen auseinandergesetzt hätten. Befasst man sich mit dem politischen Weltgeschehen, so sind diese Vorgänge gar nicht so „plötzlich“. Plötzlich nur für den, der unvorbereitet in den Tag geht. Bei genauerer Betrachtung sind die Konfliktherde dieser Welt nicht mehr von oben herab im Sinne einer alles erklärenden Weltanschauung lösbar.
Und der Konflikt macht etwas mit uns. Plötzlich ist es wieder wesentlich, dass wir eine persönliche Position zum Gemeinwesen einnehmen, dem wir angehören, oder uns zumindest die Frage stellen: Welchem Gemeinwesen wollen wir angehören? Wir sind nämlich in der Regel nur dann bereit, ein Gemeinwesen zu verteidigen, wenn wir uns mit diesem ideell identifizieren können.
Gerade als Bauingenieure oder zivile Ingenieure bauen wir am Gemeinwesen. Die Brücke, die Straße, die Staumauer, das Stützbauwerk, der Gebäudekomplex: Strukturen und Infrastrukturen leisten ihren Beitrag für das Gemeinsame. Dadurch rechtfertigen sich die hohen Entstehungskosten. Dadurch muss allerdings auch ein konkreter öffentlicher Nutzen gegeben sein.
Diese Strukturen und Infrastrukturen müssen nicht nur Klima und Wetter sowie der zivilen Nutzung, sondern auch dem Sicherheitsbedürfnis in Zeiten militärischer Bedrohung gerecht werden, wobei der Terror als asymmetrische Kriegsführung eine Besonderheit darstellt.
In dieser multipolaren Welt wird Europa gar nicht darüber hinweg kommen, die eigenen Interessen – insofern es nicht bedeutungslos sein will – zu vertreten, dabei immer öfter aber auch als ausgleichende Kraft zu wirken, um Konflikte von Beginn in friedliche Kanäle zu lenken. Dazu gehören Konflikt- und Friedensforschung, aber auch das technologische Know how.
In einem kriegerischen Konflikt wird Politik mit anderweitigen, nämlich nicht zivilen Mitteln, fortgesetzt, die in unserer geordneten Welt eigentlich gar nicht mehr zulässig sind. Die kriegerische Macht und das militärische Säbelrasseln sind dazu da, die eigene Machtposition im Konflikt zu stärken. Auf der anderen Seite ist es aus verhandlungstechnischer Sicht ungemein wichtig, sich durch das Säbelrasseln nicht beeindrucken zu lassen, weil das Vertrauen in die eigene Infrastruktur auch im Krisenfall gegeben ist.
Die Vorbereitung auf diesen Ernstfall ist auch im 21. Jahrhundert das Um und Auf.
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