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Der Heimatstil als Verortung im Land

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Der Historismus als kennzeichnender Stil der Gründerzeit hat seine eigentümlichen Mängel, die allerdings aus einer Zeit resultieren, in welcher die private Wertschöpfung aus dem Mietskasernenbau kaum eine tiefreichende architektonische Auseinandersetzung zulassen sollte. Oftmals ist es heute ja auch nicht anders.

Die Finanzierung der Architektur durch Investoren änderte die Bedeutung des Gebauten, meint Nils Aschenbeck: „Ein Kapitaleigner, der Mietshäuser erstellte, hatte kein Interesse an der Bedeutung seiner Architektur. Ein Bauwerk sollte preiswert in der Herstellung sein, viel Grundfläche bieten und möglichst hohe Mieten einfahren. Die Gestaltung war dabei zweitrangig, nur insofern von Belang, als dass sie die Vermietbarkeit begünstigen sollte“ [1].

Das Grundübel, das fortan verstärkt als Problem erkannt wurde, war der Bedeutungsverlust im öffentlichen Raum. Die durch den Zinshauskapitalismus bewirkte rein oberflächliche Fassadengestaltung, hinter der nichts Tieferes und Wahres mehr steckte, warf zahlreiche Fragen auf. Die Fassaden wurden fast schon aus dem Katalog ausgewählt und willkürlich in den Raum gestellt. Damit konnten menschliche Bedürfnisse an den Raum nicht mehr gestillt werden.

Die zunehmende Dichte in den Städten und das Sichtbarwerden der gesellschaftlichen Fragmentierung auf engstem Raum sollten das gesellschaftliche Gefüge zunehmend als fragil und vermeintlich „falsch“ erscheinen lassen.

Als Gegenmodell zu den „Zivilisationskrankheiten“, die man in den Städten erahnte, wird der ländliche Raum entdeckt. Im späten Historismus zeichnet sich die Tendenz durch den so genannten „Heimatstil“ ab. Dem Verlust an Sicherheit und Geborgenheit tritt man durch die Idealisierung des „gesunden“ ländlichen Lebens entgegen. Dem festgestellten Mangel an Natürlichkeit begegnet man durch das propagierte „Zurück zur Natur“.

Die Formen im Heimatstil „suggerieren die erwünschte Primitivität, aber auch Naturnähe und nicht zuletzt – über die Ästhetik der Gewohnheit – auch Schutz und Geborgenheit (…) Das Elementare ist für den Heimatstil eine bestimmendere Kategorie als das (damit ebenfalls verknüpfte) Nationale“ [2]. Somit ist die übliche, plumpe Kritik eines vermeintlichen Nationalismus, der sich im Heimatstil äußern würde, ein Schlag ins Leere, der mehr über die Kritikäußerer als über sonst etwas aussagt, indem etwa eine angemessene Kritik in Bezug auf den plumpen Militarismus und Nationalismus der faschistischen Architektur im Sinne der Einseitigkeit bewusst ausbleiben muss.

Vielerorts ergab sich mit dem Heimatstil eine regionalbezogene Ausformung des Späthistorismus, der besonders im ländlichen Umfeld und bei herrschaftlichen Ansitzen in den Randbezirken Anklang findet.

Der ländliche Raum wurde zunehmend zur „Projektion bürgerlicher Kulturbeobachtung“ [3] und ein „ästhetisierter Raum“, der einer moralischen Kontextualisierung vom vermeintlich „wahren“ Leben entsprach. Das Bürgertum wollte jene Komfortstandards, die es in den Großstädten gewohnt war, auch am Land und in der Sommerfrische erlebbar machen, wodurch Investitionen in die Infrastruktur zweckdienlich waren. Hinzu kommen ästhetische Vorstellungen vom „ländlichen“ Leben.

Die Kritik am Historismus, nur historisierte Retorten nach Katalog produziert zu haben, ist teilweise richtig, teilweise aber auch nicht. Ursprünglich resultiert der Historismus nämlich aus einer romantischen Weltbetrachtung, die vergangene Epochen in das „moderne“ Wohnen einzugliedern versuchte. Blickt man auf historische Städte, etwa auf Wien, dann ist der Historismus für den Charme der Stadt von existenzieller Bedeutung.

Nicht zu verwechseln ist der Heimatstil mit dem späteren Heimatschutzstil, welcher sich aus der Reformarchitektur im 20. Jahrhundert ergibt. Der heimatschutzstil beziechnet den spätromantischen Versuch im frühen 20. Jahrhundert, althergebrachte Stilmittel in die bauliche Moderne einfließen zu lassen. Insbesondere in den nach dem Ersten Weltkrieg zerstörten Ostgebieten sollte der „Heimatschutzstil“ Anwendung finden und später einen Teil des Wohnbauprogrammes im Nationalsozialismus kennzeichnen.

Den Vertretern des Heimatschutzstils wurde später angelastet, im Nationalsozialismus gestalterisch gewirkt zu haben. Tatsächlich haben sich allerdings auch Bauhaus-Vertreter um öffentliche Aufträge bemüht [4]. Gerade im Industriebau schlägt sich die Avantgarde im Nationalsozialismus durch.

Hinzu kommt in Bezug auf die Kritik am Heimatstil ein anderes Thema: Die heute vielfach praktizierte „Moderne“ verfügt über alle Defekte, über die der Historismus damals verfügte und auch noch um einige mehr. In der vielfach praktizierten Moderne, die weltweit die gleichen langweiligen Bauwerke verwirklichen will, ist dabei noch nicht einmal ein Bezug zur Umgebung gegeben, sondern oftmals ein regelrechter Schlag gegen die gewachsene Umgebung, sodass jede Kritik am Historismus um ein Vielfaches potenziert ist.

Der Heimatstil überdauert faktisch alle Epochen. Einmal äußert er sich als Kitsch, einmal als regionaler Bezug im Bauen, immer ist er alternativlos, weil er uns mit dem Land versöhnt und eine rein technizistische Welt keine Welt ist, in der wir leben wollen. Allen modernistischen Utopien zum Trotz.

Literatur:

[1] Aschenbeck, Nils: „Reformarchitektur: Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne“, Birkhäuser Verlag, Basel 2016

[2] Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, „Denkmalpflege in Niederösterreich – Elementares und Anonymes“, Band 11, Wien 1993

[3] Lippmann, Hans-Christian: „Sommerfrische als Symbol- und Erlebnisraum bürgerlichen Lebensstils – Zur gesellschaftlichen Konstruktion touristischer ländlicher Räume“, Technische Universität Berlin, Berlin 2015

[4] Lampugnani, Vittorio Magnago: „Moderne Architektur in Deutschland 1900 Bis 1950 – Reform Und Tradition“, Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 1993

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