Der Anspruch als Bauingenieur ist es, gute Architektur und Baukultur durch die teilweise komplexen technischen Hintergründe zu ermöglichen, zuzulassen, zu fördern und zu unterstützen. Bestenfalls beginnt die Zusammenarbeit am Tag null, setzt auf die gemeinsame Ideenfindung und bestärkt sich gegenseitig in kühnen Entwürfen, die auf soliden Fundamenten und Tragwerken stehen müssen und sollen.
Nur wenn der Bauingenieur als Tragwerksplaner oder Statiker, Geotechniker, vielleicht auch als Bauphysiker, extrem früh in das Projekt eingegliedert wird, entstehen Synergieeffekte, in dem das Schöne mit dem Nützlichen zur untrennbaren Einheit verschmilzt und mehrere Anforderungen mit einer Lösung abgedeckt werden können. Dann entstehen im Sinne des strukturellen Minimalismus die herausragenden Lösungen.
Gerade im Holzbau – oder heute besser gesagt Holz-Hybrid-Bau – ist diese Zusammenarbeit nicht mehr in Frage zu stellen. Es ist in den meisten Fällen kaum möglich, ein Bauwerk, das nicht für den Holzbau geplant und entworfen ist, im Nachhinein für den Holzbau umzuzeichnen, zumindest nicht mit einem vertretbaren wirtschaftlichen und technischen Aufwand. Die Details sind zu komplex, der natürliche Werkstoff Holz verlangt besondere Sensibilität.
Much Untertrifaller vom Architekturbüro Dietrich/Untertrifaller Architekten bezeichnet sich selbst nicht als „Holz-Dogmatiker“, er liebt zwar Holz, aber kann auch Stahl und Beton vieles abgewinnen, wie dieser im Heinze-Podcast gesteht. Die Verwendung von Holz sei „situations- und aufgabenbezogen“. Der Holzbau-Hype sei zwar international spürbar, doch vielfach gehe die Innovation von Vorarlberg aus und werde von dort aus in die Welt exportiert.
Wieso ist das denn so mit Vorarlberg und der immensen Innovation im Holzbau? Der Architekturtheoretiker Friedrich Achleitner spricht in Bezug auf die Baukunst in Vorarlberg von einer „Synthese von konstruktiver und räumlicher Vernunft“ und nennt als Ursachen unter anderem eine „Revolution von unten“ durch eine bewusste junge Generation von Kulturschaffenden, die „ihre kulturelle Haltung auch im Wohnen und Bauen ausdrücken wollte“ (Link). Es geht folglich immer und überall zuvor um Kultur und Baukultur.
Als kritisch betrachtet Much Untertrifaller das fehlende technische Knowhow auf Seite der Architekten, der Ausführenden sowie der Ingenieure. Der „richtige“ Architekt sei folglich auf den „richtigen“ Ingenieur angewiesen. Im Holzbau müsse man nämlich struktureller denken und im Entwurf mit der Struktur beginnen. Dahingehend müsse man umdenken, ansonsten entstehe zwar etwas „baubares“, nur nicht im Sinne des Holzbaus. Wichtig sei es, einen möglichst hohen Holzanteil an der Primärstruktur anzustreben.
Und was läuft in Südtirol? Südtirol grenzt zwar an Vorarlberg und auch an die Schweiz, diese intensive konstruktive Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Holz und zwar tiefreichend und nicht nur oberflächlich, vermisst man allerdings deutlich. In Holz gebaut wird zwar immer schon, doch der innovative Zugang ist bisher noch recht spärlich. Das wird anders werden (müssen).
Roman Hollenstein stellt grundsätzlich in Bezug auf die Architektur in Südtirol die „großartigen Kleinbauten“ in den Mittelpunkt und schwärmt von der Zusammenarbeit engagierter Bauherren mit jungen Architekten [1]. Nur zusammen sind bessere Projekte denkbar.
Interessanter wird Südtirol aber auch für internationale Architekten. Der Bozner Architekt Matteo Thun, der beeindruckende Bauwerke aus Holz wie das Vigilius Mountain Resort geplant hat, prägt auch außerhalb Südtirols das architektonische Geschehen. Und internationale Architekturbüros wie Henning Larsen Architects aus Kopenhagen, die das Bauen mit Holz weltweit prägen, drängen zu Recht nach Südtirol und konzipieren beispielsweise aktuell das „Ponte Rome Quartier“ in Bozen. Es bewegt sich etwas.
Das architektonische Betätigungsfeld schwenkt in einem Land, das sich durch eine extrem reiche Baukultur auszeichnet, notwendigerweise vom Neubau auf die historische Baukultur. Das gilt überall: Es wird zu viel neu gebaut und zu wenig umgebaut. Die historische Baukultur der vergangenen Jahrhunderte ist das eine, immer wichtiger wird aber auch eine Sanierungs-Strategie in Bezug auf die Bausubstanz der letzten Jahrzehnte. Gerade bei diesen „neueren“ Bestandsbauten entsteht ein interessantes und neues Experimentierfeld in der internationalen Architektur.
Hinzu kommt der Umstand, dass in Südtirol das Land, der Boden, die Natur und der Wald wohl unmittelbar und intensiver gefühlt werden. Das Bauwerk entsteht im besten Fall aus dem Boden und mit dem Boden, steht mit dem Boden und der Natur in einer Einheit und ist authentischer Ausdruck der Umgebung. Ohne den Anspruch Bioengineering ist folglich kein zeitgemäßes Bauen mehr denkbar und gerade im grünen und ökologischen Bauen, in der grünen und ökologischen Architektur, entstehen die interessantesten Bauprojekte.
Gerade im Holzbau werden die Schönheit und Ästhetik auch im konstruktiven Detail ersichtlich. Als Bauingenieur wird diese Schönheit fühlbar, wenn sich alles ineinander fügt, nämlich Tragwerk, Verbindungsdetail, die Kräfte und die Verformungen und wenn das alles dann auch noch den Ansprüchen baulicher Schönheit genügt. Im Holzbau ist diese konstruktive Schönheit eine unmittelbare. Der Bauingenieur hat endlich die Chance, diese konstruktive Schönheit sichtbar zu machen.
Und um alle Möglichkeiten aus dem Material heraus zu holen, ist es als Tragwerksplaner nicht damit getan, nur in Holz zu planen. Es geht darum, alle Materialien und Werkstoffe zu beherrschen und das jeweils beste für die jeweilige Bauaufgabe und das jeweilige Detail zu finden.
Literatur:
[1] Kunst Meran: „Neue Architektur in Südtirol 2012 – 2018“, Park Books, Zürich 2018


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