Holz hat mehrere Vorteile im Erdbebenfall. Durch die relativ geringen Massen bleiben die Erdbebeneinwirkungen klein. Und durch duktile Verbindungen ist der Holzbau relativ robust. Erdbebenkräfte werden folglich durch Bewegung abgebaut, sodass die Einwirkungen klein bleiben.
Die Duktilität bezeichnet das plastische Verformungsvermögen eines Werkstoffes und in der Folge eines Tragelementes oder einer Verbindung. Die globale Duktilität bezieht sich auf Verformungsverhalten des gesamten Bauwerks, während die lokale Duktilität die Querschnittsduktilität bezeichnet.
Im Rahmen der Erdbebenbemessung stehen grundsätzlich zwei Methoden zur Verfügung:
- Hohe Tragwiderstand mit geringer Duktilität
- Geringer Tragwiderstand mit hoher Duktilität.
Insbesondere dann, wenn die Erdbebeneinwirkung in Relation zum Wind nicht bemessungsrelevant ist, liegt der Schwerpunkt auf der ersten Methode.
Sind Bauwerke als nicht duktil geplant, dann entstehen große Erdbebenlasten und folglich eine ineffiziente Tragwerksdimensionierung. Im Holzbau ist es unter Verwendung eines relativ leichten Werkstoffes weitgehend möglich, im nicht duktilen Bereich zu rechnen, weil die zu erwartenden Erdbebenkräfte relativ gering sind. Wird das Tragwerk hingegen bei Auftreten größerer Erdbebenlasten als duktil im Sinne der Kapazitätsmethode geplant, ist ein geeigneter plastischer Mechanismus festzulegen.
Gemäß der „Hierarchie der Tragwiderstände“ wird das Tragwerk in elastisch bleibende und plastifizierende Bereiche unterteilt. Die duktilen Bereiche haben ein großes Verformungsvermögen bei einem geringen Tragwiderstand. Allerdings ist sicherzustellen, dass sich die Dehnfähigkeit im System ausbilden kann und dabei die nicht duktilen Bereiche ihre Tragfähigkeit noch beibehalten. Die Metapher einer Kette, bei welcher das schwächste Glied das Gesamtverhalten prägt, hat sich durchgesetzt.
Im Holzbau stellen mechanische Verbindungsmittel eine duktile Verbindung dar, wobei die Normen der Verwendung der mechanischen Verbindungen Grenzen setzen. Neben den duktilen Bereichen müssen die sonstigen Bereiche so überbemessen sein, damit diese das Plastifizieren der duktilen Bereiche mit Steifigkeitsverlusten zulassen können. Zudem sind die Verbindungen gegen zyklische Beanspruchungen zu sichern.
In der baulichen Praxis scheitert die duktile Modellierung von Verbindungen durchaus daran, dass da und dort ein paar Verbindungsmittel mehr eingebaut werden und folglich das beabsichtigte duktile Verhalten nicht der Realität entspricht. Wenn im sonstigen Bauen eine Mindestanzahl an Verbindungsmitteln impliziert wird, um ein bestimmtes Sicherheitsmaß zu erreichen, verhält es sich hier andersherum.
Zu beachten ist auch der Umstand, dass die Festigkeiten und Steifigkeiten von Holz von der Lastdauer abhängig sind.
Die plastifizierenden Bereiche müssen über ein ausreichendes Energiedissipationsvermögen verfügen, während die elastischen Bereiche gegenüber Sprödbrüchen sicher sein müssen sobald sich die plastischen Bereiche ausbilden. Diese Bereiche, die elastisch bleiben, müssen folglich überdimensioniert werden (Bemessung auf Kapazität). Die Kapazitätsbemessung stellt sicher, dass sich ein dissipativer Grenzmechanismus einstellen kann.
Weil die Bemessung des Tragwerks mit duktilen und nicht duktilen Bereichen aufwändig ist und gerade im Holzbau vielfach auf das gesamte Tragsystem „verschmiert“ sind, wird entsprechend der Holzbaunormen vielfach mit einem größeren Verhaltensbeiwert q gerechnet, welcher die elastische Erdbebeneinwirkung aufgrund der duktilen Tragwerksbereiche abmindert (Kapazitätsbemessung „light“).
Eine kleine Duktilität haben Rahmentragwerke mit geklebten Rahmenecken, Tragwerke mit Stützeneinspannungen, Tragwerke mit Wandscheiben ohne mechanische Verbindungen (etwa zur Fixierung der Beplankung). Eine geringe Duktilität haben Tragwerke mit wenigen, aber wirksamen duktilen Bereichen. Eine mittlere Duktilität haben Mischbauweisen mit skelettartigen Holzrahmen und nicht tragender Ausfachung, aufgeleimte Beplankungen, Rahmen- und Fachwerktragwerke mit mechanischen Verbindungsmitteln. Eine hohe Duktilität haben Tragwerke mit Wandscheiben, die mechanisch beplankt oder verbunden sind.
Hohe Duktilitätsklassen machen immer eine Kapazitätsbemessung erforderlich. Dies betrifft Duktilitätsklasse 2 im Stahlbetonbau, die Duktilitätsklassen 2 und 3 im Stahl- und Holzbau.
Demgemäß haben Holz-Holz-Verbindungen, Scherverbindungen bei geringen Holzdicken oder auf Ausziehen beanspruchte stiftförmige Verbindungen Nagelplatten oder Klebeverbindungen einer geringere Duktilität als Scherverbindungen mit stiftförmigen Verbindungsmitteln bei größeren Holzdicken oder größeren Einschraubtiefen, die ein hohes Duktilitätsmaß haben. Die italienische Baunorm NTC 2018 spricht von Duktilitätsklasse A (hoch) und B (mittel).
Abseits der Theorie und der akademischen Debatte ist es schwierig, Bauwerke und Tragwerke effektiv mit ihren Duktilitäten zu bemessen und im Sinne des Kapazitätsnachweises nach der Fließgelenktheorie zu berechnen. Im Rahmen der Nachweisführung stellt sich ohnehin die Frage, ob sich die angenommenen Verformungen und Rotationen auch effektiv einstellen können oder ob diese nicht durch anderweitige Bauteile verhindert werden.
Folglich begnügt man sich in der Praxis eher mit generellen Annahmen, indem der Verhaltensbeiwert bewertet wird, welcher die Beanspruchungen durch plastisches Verhalten umlagert, im Großen und Ganzen aber das elastische Modalverfahren angewandt wird.
Literatur:
[1] Lignum, Holzwirtschaft Schweiz: „Erdbebengerechte mehrgeschossige Holzbauten“, Zürich 2010
[2] Hugo Bachmann: „Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten – Grundsätze für Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behörden“, Richtlinien des Bundesamtes für Wasser und Geologie, Bern 2002
[3] Adrian Pocanschi & Marios Phocas: „Kräfte in Bewegung: Die Techniken des erdbebensicheren Bauens“, Teubner Verlag, Wiesbaden 2003
[4] Konstantin Meskouris, Klaus-G. Hinzen, Christoph Butenweg & Michael Mistler: „Bauwerke und Erdbeben“, Teubner Verlag, Wiesbaden 2011


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