Am 20. Februar jährt sich der Tod Andreas Hofers. Ein Datum, das eine tiefer reichende Reflexion verlangen würde, die vielfach aber ausbleiben muss, weil politische und parteipolitische Kalküle im Vordergrund offiziöser Feiern stehen.
Andreas Hofer steht bis heute als Symbol für die Freiheit und Unabhängigkeit Tirols, unabhängig der Deutungs- und Verklärungsversuche neuester Zeit, besonders einer Politik im permanenten Rechfertigungszwang. Landauf und landab kämpften die Tirolerinnen und Tiroler damals für Freiheit, für Eigenständigkeit und gegen die Fremdherrschaft der Franzosen und Bayern. Wiewohl man uns heute selbst in halbherzigen Andreas-Hofer-Reden das Gegenteil vormachen will.
Man kann bestimmten Idealen der Französischen Revolution im Sinne einer Demokratie, die auf dem Volk basiert, durchaus etwas abgewinnen, doch ist die Barbarei, in der diese Revolution endete, kein Nebeneffekt, sondern systemimmanenter Natur. Deshalb wurde der deutsche Freiheitskampf rund um die Urburschenschaft, die durch Andreas Hofer beeinflusst wurde, gegen den französischen Aggressor geführt. Deshalb kämpften die Tiroler.
„Ganz Deutschland ach in Schmach und Schmerz‘“ steht in der vom Burschenschafter Julius Mosen gedichteten Tiroler Landeshymne, die damit zum Ausdruck bringt, dass ganz Deutschland damals auf Tirol blickte und dass das Schicksal Andreas Hofers das nationale Bewusstsein in ganz Deutschland bestärkte.
Heute ist der Blick auf Andreas Hofer differenzierter. Es kommt dabei allerdings nicht so sehr auf die historischen Einzelheiten an, die niemand im Detail beurteilen kann, schon gar nicht diejenigen, die heute einen angeblich „kritischen“ Blick auf die Geschichte werfen wollen. Wichtiger als die Einzelheiten ist die Bedeutung des Freiheitskampfes von 1809 für das heutige Selbstverständnis unseres Landes und für die Herausforderungen der Zukunft.
In der Geschichte unseres Landes war das Symbol Andreas Hofer immer unbestritten. Bereits 1848 formulierten die Italiener ihren vermeintlichen Anspruch auf den Brenner. „Sie sollen sie nicht haben, des Brenners Scheidewand, “ dichtete der Bozner Rechtsanwalt Ferdinand Weller, ein Schwiegersohn des damaligen Bürgermeisters von Bozen, Joseph Streiter.
Während im sonstigen Deutschland 1848 die Revolutionen tobten, rückten die Tiroler nach Süden, um ihr Land gegen den italienischen Aggressor zu verteidigen. Andreas Hofer war ihnen Vorbild.
Erst im Ersten Weltkrieg sollte Italien am Ende doch auf der siegenden Seite stehen und am Verhandlungstisch – und nicht an der Front – die Brennergrenze durchzusetzen. Die Tiroler Standschützen blieben im Felde unbesiegt.
Mit der Annexion Südtirols durch Italien wurde Südtirol einem fremden Staatsgebiet einverleibt. Zweifelsohne war der italienische Faschismus bis hin zur Option das dunkelste Kapitel in der Südtiroler Geschichte. Der Salurner Rechtsanwalt Josef Noldin und die Margreider Lehrerin Angela Nikoletti leisteten tapferen Widerstand und bezahlten am Ende mit dem höchsten, nämlich mit ihrem eigenen Tod.

Der italienische Nationalismus ist allerdings keine rein faschistische Angelegenheit. Dies wurde uns Südtirolern in den 1960ern bewusst, als das demokratische Italien die eigene Italianisierungspolitik in Südtirol weiter betrieb. Der Widerstand der Südtirol-Aktivisten der 1960er-Jahre war in der Folge ein legitimer Widerstand eines Volkes gegen einenStaat, der in Südtirol eiskalte Machtinteressen durchzusetzen versuchte.
Der deutsche Historiker Wolfgang Altgeld skizziert ein interessantes Bild zum italienischen Nationalismus, welches die Südtiroler Politik mangels intellektueller Reflexionsfähigkeit nicht erfassen will. Umso „kritischer“ man sich in Südtirol bezeichnet, desto weniger Reflexion und umso mehr Tabus und Denkbarrieren werden an den Tag gelegt.
Der radikale Nationalismus Italiens stütze sich nach Altgeld im Wesentlichen auf drei Strömungen: Erstens auf die junge künstlerische und literarische Elite, also auf eine Bewegung von rechts. Zum anderen speiste sich der italienische Nationalismus durch linke Bewegungen, nämlich aus dem Irredentismus oder Risorgimento-Nationalismus Mazzinis und Garibaldis. Mazzini hatte wohlgemerkt bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Brennergrenze beansprucht und folglich den Angriff auf nichtitalienische Territorien legitimiert. Wer auch heute noch durch Italien reist und sich die Kultstätten und Heiligtümer des Risorgimento ansieht, der weiß, welche Breitenwirkung diese Strömung entwickelte. Und drittens speiste sich der italienische Nationalismus aus einer konservativen und antisozialistischen Elite, die sich allerdings seit dem Ersten Weltkrieg zunehmend an die beiden anderen Strömungen anpasste.
Der italienische Nationalismus mit der Brennergrenze als unverrückbarer Außengrenze ist auch im vereinten Europa ein italienisches Glaubensdogma, dem sich die „Gutmeinenden“ blind unterwerfen. Wehe, wer gegen das Dogma aufbegehrt.
Ohne grundlegendes Verständnis für diese Strömungen des italienischen Nationalismus ist italienische Innenpolitik mit Blick auf Südtirol bis heute hin nicht zu verstehen. Auch und vor allem auf die derzeitige Regierung Meloni, die zwar aggressiver gegen Südtirol auftritt, deren Nationalismus sich in Bezug auf Südtirol allerdings wenig von den vorangehenden italienischen Regierungen, allenfalls in der Wortwahl, unterscheidet.
Mit Blick auf das Heute wird uns klar, dass der Wind aus Rom zwar sanfter, aber unverändert weht. Immer dann, wenn Symbole der Italianitá zur Debatte stehen oder wenn es ein Südtiroler im italienischen Fernsehen wagt, deutsch zu sprechen, ist ganz Italien empört ob der Südtiroler „Frechheit“. Und dann steht Italien vereint, ob links, ob rechts, ob Mitte. Die italienische Nation akzeptiert keine Ausnahme. Der immerwährende Kampf um die Autonomie ist folglich ein politisches Geplänkel, das nie aufhören wird, weil es in der italienischen Nation kein Verständnis für Abweichler gibt.
Viel zu oft stößt diese heutige Autonomie, die eine Teilautonomie ist, an ihre selbst auferlegten Grenzen des Systems Autonomie. Ob bei den Steuern oder Staatsschulden. Letztlich hängt Südtirol an Italien. Die Worte von der vermeintlichen „Vollautonomie“ sind Floskeln, die in der Praxis nicht stand halten. Insbesondere der Begriff der „territorialen Autonomie“ verspricht garantierten Schiffbruch, befeuert durch eine Landespolitik in Orientierungsnot.
Es gilt heute über diese Teilautonomie hinaus zu denken und das Thema Unabhängigkeit konkret, beständig und offensiv anzugehen. Das Thema Unabhängigkeit wird uns keine europäische Union abnehmen, die selbst unzählige Probleme hat. Wer auf die eiropäische Union wartet, sucht Ausreden für die eigene Unverantwortlichkeit. Fakten werden durch politische Entscheidungen geschaffen – und hier ist das Südtiroler Volk und sonst niemand das Souverän.
Wir müssen uns vor allem aber auch selbst an die Nase fassen. Und zwar alle, die die Vorteile der Autonomie auskosten, doch nichts dafür tun wollen. Die Autonomie verdient sich nur ein Volk, das die Unabhängigkeit will und als Kompromiss (vorübergehend) die Autonomie akzeptiert.
Wer frei werden will, muss frei sein und sich von Verstrickungen lösen. Die Aufforderung geht in Richtung Landespolitik, die sich derzeit um klare Bekenntnisse windet; wir stilisieren uns vielfach als die „besseren“ Italiener und biegen uns so, damit die Geschäfte fließen.
Das kann zwar kurzfristig vorteilhaft sein, bricht uns aber längerfristig das Genick.
Wenn wir uns nicht mehr als Deutsche und als Ladiner, sondern nur noch als „deutsch sprechende“ Italiener auffassen, dann nimmt uns auch Italien als „Italiener“ wahr. Dann müssen wieder die Marketingexperten her, die Südtirol für viel Geld in Italien verständlich machen wollen, aber mangels Rückgrat nur windige Anbiederung betreiben. Und dann geht es ans Eingemachte, weil wir diese Autonomie nicht deshalb haben, weil wir „schöner“ sind, sondern weil wir wohlgemerkt „anders“, nämlich deutsch und ladinisch sind; und weil die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien völkerrechtlich noch immer nicht legitim ist.
Es liegt an uns, die Politik in die richtige Richtung zu drängen.
Letztlich fragt man sich in Zeiten, wie unseren, wozu das Gedenken und wozu das Heldentum. Anders gesagt: Die Idole der Gegenwart taugen nicht als kollektive Richtschnur im Sinne eines funktionierenden Gemeinwesens, sondern kultivieren vielfach nur rücksichtslosen Individualismus. Für ein Gemeinwesen ist es allerdings zentral, welche Leistungen und welche Vorbilder im Mittelpunkt stehen, an denen sich alle orientieren.
Wo immer Tiroler Fahnen wehen, bekennen wir uns als Tiroler; wo Andreas Hofer und seiner Leistungen gedacht wird, bekennen wir uns zur Unabhängigkeit unserer Heimat.
Südtirol ist dort, wo um Südtirol gekämpft wird.
Im Bewusstsein, dass jeder Tiroler Patriotismus heute aus kurzsichtigem politischen Kalkül an den Rand gedrängt wird und sich Oberflächlichkeit und Flexibilität scheinbar auszahlen, wissen wir doch alle, dass wir uns nur auf das stützen können – der Bauingenieur weiß davon zu berichten -, das Widerstand leisten kann.
Und wir halten uns mit Blick in die Zukunft an die Worte des Philosophen Ernst Moritz Arndts, für welchen das Schicksal Andreas Hofers ein flammendes Symbol im deutschen Freiheitskampf war: „Das ist die höchste Religion, seinen Enkeln einen ehrlichen Namen, ein freies Land und einen stolzen Sinn zu hinterlassen.“
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