Die Tiroler standen 1859 für das (deutsche) Tirol in Waffen, das von Süden her bedroht wurde. Die Tiroler Grenzkämpfe sind essenziell, um die politischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert nachzuvollziehen und um Tirol richtig zu denken.
Ab 1850 etablierte Kaiser Franz Joseph I. ein neoabsolutistisches System, das sich durch innenpolitische Krisen, aber auch durch diplomatisches Ungeschick fortlaufend ins Aus beförderte. Insbesondere nach dem Tod des Regierungschefs Felix zu Schwarzenberg 1852 war die österreichische Politik zunehmend sprunghaft.
Österreich wurde politisch isoliert. Durch den Krimkrieg von 1854 bis 1856 waren die Beziehungen zu Russland beschädigt, England und Frankreich blieben Konkurrenten und das Königreich Piemont-Sardinien versuchte die Schwäche Österreichs zum eigenen Vorteil auszunutzen, verbündete sich mit Frankreich in dem Vorhaben, Österreich aus Oberitalien zu vertreiben.
Die Vertreibung Habsburgs aus Oberitalien sowie die nationale Einigung Italiens gingen Hand in Hand. Dadurch rückte Tirol in das Blickfeld der italienischen Einigungsbewegung.
Die politischen Spannungen zwischen dem Königreich Sardinien mit Frankreich sowie Österreich sollten Anfang 1859 eskalieren. Verhandlungen scheiterten, Österreich stellte ein Ultimatum und marschierte letztlich am 29. April 1859 in Piemont ein, womit der Krieg seinen Anfang nahm. Preußen hätte sich nur dann am Krieg auf Seiten Österreichs beteiligt, wenn ein Krieg von Frankreich ausgegangen wäre.
Die österreichische Staatsverwaltung hatte in Tirol trotz der kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 1848 keinerlei militärische Vorkehrungen getroffen. Nur rund 4.000 Mann des österreichischen Heeres waren in Tirol stationiert. Im Mai 1859 waren es 6.000 bis 8.000 Mann.
„So kam es, dass im Jahre 1859 wiederum Mangel an Allem herrschte, was zu einer wirksamen, Erfolg versprechenden Landesverteidigung erforderlich ist. Man verfügte auch diesmal nur über Kompanien, welche in der Eile zusammengewürfelt, wenig diszipliniert und noch lange nicht in der Verfassung waren, um dem Feinde mit Aussicht auf Erfolg die Stirne bieten zu können“ schreibt Moritz Kühne 1876 in „Der Krieg im Hochgebirge“.
König Viktor Emanuel vermied es offiziell, die Grenzen Tirols, also des Deutschen Bundes, zu überschreiten, weil er keine größeren Konflikte riskieren wollte. Die Kampfhandlungen fanden unmittelbar an der Tiroler Grenze statt.
Giuseppe Garibaldi stieß mit seinen „Cacciatori delle Alpi“ im Rahmen kleinerer Operationen im Bereich Voralpen vor. Die Alliierten, wozu das Königreich Sardinien mit Napoleon III gehörten, verfolgten eine offensive Strategie, um die Österreicher daran zu hindern, wieder in Oberitalien einzudringen. Garibaldis Freischärlertruppen waren allerdings darauf ausgelegt, nach Tirol vorzustoßen.
Indessen wurde der Tiroler Landsturm vorbereitet und Appelle verlautbart, um Schützenkompanien zu bilden. Daraufhin bildeten sich deutsche und ladinische Freiwilligenverbände sowie Studentenkompanien an der Universität Innsbruck. Dazu gesellten sich Gymnasiasten aus Bozen und Meran. Insbesondere die Turnerschaften mobilisierten im Rahmen freiwilliger Scharfschützenkompanien stark.
Josef Fontana untermauert, dass im Welschtirol das „nationale Stimulans“, also der nationale Antrieb oder das nationale Motiv, fehlten. Die Welschtiroler waren auch 1848 kaum an den Tiroler Grenzkämpfen beteiligt gewesen.
Die Aufrufe des Kaisers waren recht halbherzig. Der Landesverteidigungsausschuss der Stadt Bozen schrieb hingegen am 8. Juni 1859 den folgenden Aufruf: „Seine Majestät unser gnädigster Kaiser ruft uns zu den Waffen, um in so ernsten Zeiten die bedrohten Grenzen unseres Vaterlandes Tirol zu schützen, und dem Vordringen des Erbfeindes Deutschland einen mächtigen Damm entgegen zu setzen. Lasst und auch diesmal den alten erworbenen Ruhm der tirolischen, der deutschen Manneskraft bewahren, lasst uns das Vertrauen unseres kaiserlichen Herrn rechtfertigen. Bürger von Bozen: der letzten deutschen Stadt, erhebt Euch, es gilt unser Vaterland vor fremder Unterdrückung zu schützen“.
Die Tiroler Schützenkompanien verteidigten mit dem VI. Armee-Corps ab Juni 1859 die Eingänge nach Tirol und zwar Stilfser-Joch, im Val di Sole und in Judikarien, beobachteten ferner die „Chiusa veneta“ und den Monte Baldo, hielten zwischen Rovereto und Riva eine Brigade als Hauptreserve bereit, damit eventuell die Operationen der Armee zwischen dem Garda-See und der Etsch unterstützt werden könnten.
Die italienischen Truppen sammelten sich längs des Gardasees für einen Einfall in Tirol. Zu jener Zeit wurden die Franzensfeste sowie die Festungen in Trient und Rovereto verstärkt, was den Ernst der Lage untermauert. Die Franzosen standen mit 40.000 Mann bei Brescia.
David Schönherr, der 1849 als Redakteur der Tiroler Volks- und Schützen-Zeitung wirkte, beteiligte sich 1859 als Kreis- und Landesdefensionskommissär auf eigene Kosten im Oberinntal in rascher und umsichtiger Weise an der Bildung von Schützenkompanien. „Die zwei Dezennien bis 1866 waren die Blütezeit dieses freien Tiroler Schützenlebens und die Jahre 1848 und 49, 1859 und 66 haben bewiesen, dass auch im Ernst der Tiroler Schütze seinen Mann gestellt hat“ schreibt Oswald Redlich 1898 zum Lebenswerk Schönherrs.

Obwohl es in Welschtirol einige Kämpfe und Vorstöße gab, gelang den Alliierten keine echte großflächige Besetzung oder ein Eindringen in Tirol.
Aus der nachfolgenden Übersicht wird klar, wie stark die freiwilligen Aufgebote der Landesschützen waren:

Anfang Juli 1859 standen 50 Tiroler Schützenkompanien mit 7.500 Mann an der Landesgrenze. An ihnen lag es, italienische Überschreitungen der Tiroler Grenze – und nachfolgende Gebietsansprüche – zu verhindern.
Österreich erlitt am 24. Juni in Solferino die zweite Niederlage. Es folgten Waffenstillstand, Vorfrieden von Villafranca und Frieden von Zürich im November 1859. Österreich verlor zwar Oberitalien, Tirol konnte aber gesichert werden. Italien gelang es weder, die Grenzen Tirols zu überschreiten, noch daraus folgend einen Gebietsanspruch abzuleiten, dem Tiroler Grenzschutz sei dank.
Objektiv betrachtet war eine Teilung Tirols angesichts der österreichischen Niederlage alles andere als unbdenkbar.
Die Lombardei wurde ohne Mantua und ohne Peschiera an Frankreich abgegeben, tauschte dafür Nizza und Savoyen mit Piemont-Sardinien ein. Die Südwest-Grenze Tirols war damit nicht mehr nur die Grenze Tirols und des Deutschen Bundes, sondern die Grenze Österreichs.
Die italienische Einigung wurde weiter durch Volksabstimmungen vorangetrieben. Garibaldi eroberte das Königreich beider Sizilien. Piemont erobert den Kirchenstaat sowie die Marken und Apulien. Am 14. März 1861 ließ sich Viktor Emanuel II. zum König von Italien krönen.

Die Tiroler Grenzkämpfe unterstreichen, dass es eine politische Mär darstellt, zu behaupten, der Glaube an die Nation aus Kultur und Sprache, hätte Tirol zerstört. Es war genau andersherum: Die Idee der Nation hat den Tiroler Grenzkampf genährt, Tirol vor Zerstückelung bewahrt. Zerstört wurde Tirol durch imperialistische Tendenzen und die Interessen der Weltpolitik.
Es erklärt sich von selbst, dass aus konservativ-klerikaler Sicht die Grenzkämpfe 1848, 1859 und 1866 verschwiegen werden. Erstens, weil der Staat Österreich seine militärische Verantwortung in Tirol nicht wahrnehmen konnte und wollte. Zweitens, weil nationale Motive, die den Habsburgern mit ihrem Vielvölkerreich zuwider waren, dominierten.
Literatur:
[1] Josef Fontana: „Geschichte des Landes Tirol, 4 Bände in 5 Teilen“, Athesia-Tyrolia, Bozen-Innsbruck 1985–1990
[2] Verlag des k.k. Generalstabes: „Der Krieg in Italien, 1859 Nach den Feld-Acten und anderen authentischen Quellen“, C. Gerold’s Sohn, 1872
[3] Ludwig Brunswik von Korompa: „Die kriegerischen Ereignisse in Innerösterreich, Tirol, Vorarlberg und im Isonzo-Gebiet : 1796 – 1866“, Wagner Verlag, Innsbruck 1907


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