Von Bozen nach München sind es 280 Kilometer, die mit dem PKW in 3 Stunden und 40 Minuten und mit der Eisenbahn in 4 Stunden und 35 Minuten zurückzulegen sind. Von Bozen nach Wien sind es hingegen knapp 600 Kilometer, mit dem PKW in fast 7 Stunden und mit der Eisenbahn 7 bis 8 Stunden. Von Bozen nach Rom sind es 640 Kilometer, mit dem PKW rund 7 Stunden und mit der Eisenbahn unter 5 oder knapp über 5 Stunden.
Mathematisch ausgedrückt sind es inklusive Umstieg und Wartezeiten in Bahnhöfen auf der Strecke Bozen – München mit der Eisenbahn durchschnittlich rund 61 Kilometer pro Stunde, auf der Strecke Bozen – Wien 85 Kilometer pro Stunde und auf der Strecke Bozen – Rom 128 Kilometer pro Stunde. Eisenbahntechnisch problematisch ist die Strecke zwischen Südtirol und Nordtirol über den Alpenhauptkamm. Auf der Strecke Bozen – Innsbruck sind folglich nur knapp 60 Kilometer pro Stunde – ohne Umstieg – zurückzulegen. Als eisenbahntechnische Barriere wirkt auf jeden Fall der Brenner mit Haltezeiten, Personenkontrollen sowie dem Umstieg von Gleichstrom (Italien) zu Wechselstrom (Österreich).
Die Fahrtzeiten belegen, dass der Brenner eine vielfältige Barriere darstellt, die den Austausch Südtirols nach Norden beeinträchtigt. Rom liegt zwar weiter weg, ist aber eisenbahntechnisch durch Fahrtgeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h deutlich näher. Eisenbahntechnisch ist es aufwändig, ausgehend von Franzensfeste, das auf einer Meereshöhe von 750 Metern liegt, über den Brennerpass auf 1.371 Metern wieder nach Innsbruck zu gelangen, das auf 574 Metern liegt.
Die Brennerbahnlinie wurde mit ihren engen Kurvenradien, die an den Berghängen entlangführt, 1867 in Betrieb genommen. In der Habsburgermonarchie war das Eisenbahnnetz bis nach Innsbruck verwirklicht, auch im Süden, war die Strecke von Verona nach Trient bereits eröffnet, als die private Südbahngesellschaft von Kaiser Franz Joseph I. mit dem Bau der Brennerbahn beauftragt wurde. Bis heute hin ist die Brennerbahn über den Brennerpass neben dem wenig zeitgemäßen Trassenverlauf bis heute hin zahlreichen hydrogeologischen und klimatischen Herausforderungen ausgesetzt, sodass Streckensperren immer wieder einmal den Verkehr nicht nur in Tirol, sondern in Europa, verhindern.
Bedenkt man, dass es sich beider Brennerroute um die wichtigste Verkehrsroute zwischen Nordeuropa und Südeuropa handelt, liegt es auf der Hand, dass umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur notwendig sind, um zeitgemäße Verkehrsverbindungen zu schaffen.
Den Ausweg verschafft der so genannte „Brennerbasistunnel“ zwischen Innsbruck und Franzensfeste. Das Projekt Brennerbasistunnel ist Teil der Eisenbahnachse Berlin-Palermo im Skandinavisch-Mediterranen Kernkorridor. Vorgesehen ist ein Eisenbahntunnel mit zwei eingleisigen Hauptröhren sowie einem Erkundungsstollen zwischen Franzensfeste und Innsbruck, der 55 Kilometer lang ist und mit der Umfahrung Innsbruck rund 64 Kilometer ausmachen wird. Die maximale Gebirgsüberlagerung beträgt rund 1.720 Meter bei einem Tunneldurchmesser von 8,1 Meter und Längsneigungen zwischen 4 und 7 Promille. Der Scheitelpunkt liegt bei 790 Höhenmetern über dem Meeresniveau.
Der Erkundungsstollen verfügt über einen Durchmesser von 5 bis 6 Meter und liegt 12 Meter unter den Hauptröhren, die alle 333 Meter durch Querschläge verbunden sind. Der Erkundungstunnel war aufgrund der geologischen Komplexität erforderlich und wird später als Service- und Entwässerungsstollen verwendet. Die Periadriatische Naht ist die längste Störungszone im gesamten Alpenraum, unterteilt Südalpen und Ostalpen und stellt eine geologische Überlagerung dar. Das Südalpin wurde entlang der Naht an manchen Stellen und mehrere Kilometer angehoben, sodass nördlich davon metamorphe Gesteine und südlich davon Sedimentgesteine an die Oberfläche geraten sind. Die Periadriatische Naht erstreckt sich über ein paar hunderte Meter und durchzieht das Gebiet des Brennerbasistunnels.
Die Baukosten umfassen inzwischen rund 10,5 Milliarden Euro, wobei die Tendenz nach oben zeigt. Gebaut wird der Tunnel zu je 50 Prozent im Sprengvortrieb und zu 50 Prozent durch Tunnelbohrmaschinen, was an der geologischen Ausgangslage liegt. Der maschinelle Vortrieb ist deutlich effizienter, der konventionelle Sprengvortrieb eignet sich bei komplexen Gebirgsverhältnissen.
Das Bauvorhaben ist ein politischer Drahtseilakt. Bauherr des Brennerbasistunnels ist die „Brenner Basistunnel BBT SE“, eine Europäische Aktiengesellschaft, die sich zu je 50 % im Eigentum Österreichs und Italiens befindet. Abgesehen von dieser gleichberechtigten Partnerschaft verschaffen unterschiedliche Gesetzeslagen, Eisenbahnnormen, aber auch Projektvorstellungen dem Projekt eine bestimmte politische Brisanz.
Der Brennerbasistunnel selbst ist für Entwurfsgeschwindigkeiten für den Güterverkehr von 120 km/h und für Entwurfsgeschwindigkeit für den Personenverkehr von 250 km/h geplant. Für den Reiseverkehr ergibt sich eine Reisezeit zwischen Franzensfeste und Innsbruck von 25 Minuten, während es derzeit rund 80 Minuten sind. Mit dem Brennerbasistunnel wäre folglich eine Stunde Fahrtzeit gewonnen. Die Inbetriebnahme ist 2032 geplant, auch hier zeigt die Tendenz grundsätzlich nach oben. Mit Sommer 2024 ist der Brennerbasistunnel zu 75 Prozent abgeschlossen. Doch damit nicht genug.
Weil es nicht um einen einzelnen Tunnel geht, sondern um eine transeuropäische Verkehrsachse, die für Hochgeschwindigkeitszüge ausgelegt ist, wäre es natürlich fatal, wenn nördlich und südlich der Tunnelröhre so genannte Flaschenhälse entstehen. Nicht weniger wichtig als die Hauptröhre, die auf jeden Fall die Streckenführung am Brennerpass entschärft, sind die nördlichen und südlichen Zuläufe.
Zwischen München und Innsbruck laufen nach wie vor intensive partizipative Trassenauswahlverfahren, die immer noch politisch verzwickt sind. Wird nicht zeitnah eine Einigung erzielt, ergibt sich zwangsläufig eine nördliche Beeinträchtigung.
Der Südzulauf umfasst hingegen die Strecke von Verona nach Franzensfeste. Die technischen Herausforderungen waren aufgrund der geringen Gebirgsüberlagerung, des aufgelockerten Gesteins sowie der Eisackunterquerung im Bereich Franzensfeste erheblich. Im ersten Baulos ist zwischen Franzensfeste und Waidbruck ein Tunnel mit einer Länge von rund 22,5 Kilometern vorgesehen, der durch die Eisacküberquerung durchtrennt ist. Die Umfahrung Bozen führt vom bestehenden Kardaunertunnel bis nach Branzoll. In Branzoll ist eine Anbindung an die Bestandsstrecke geplant. Kommt die Umfahrung im Südtiroler Unterland, also zwischen Branzoll und Salurn dazu, führt die Strecke hingegen im Berg weiter. Für diesen Streckenabschnitt ist derzeit noch keine Planung vorhanden, wenngleich es eine umfangreiche Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2008 gibt.
Die fehlende Planung ist ein Mangel. Während die Brennerbasistunnelgesellschaft eine Planung von einer Eintragung der Trasse in die Bauleitpläne abhängig machen, machen die Bürgermeister im Südtiroler Unterland diese Eintragung von planerischen Garantien abhängig. Insbesondere die Bevölkerung verlangt angesichts der hydrogeologischen Risiken entsprechende Garantien. Passiert nichts, ist andererseits die Gefahr groß, dass mangels finanzieller Mittel eine offene Trassenführung mit Hochgeschwindigkeitszügen im Südtiroler Unterland in Betracht gezogen und folglich eines der schönsten Teile Südtirols gefährdet wird. Rom wird kein allzu großes Interesse haben, eine kostenintensive Untertunnelung vorzusehen. Die grüne Verkehrsministerin in Wien meinte andererseits im vergangenen Jahr, für die Verkehrsziele, die mit dem Brennerbasistunnel zusammenhängen, sei die südliche Zulaufstrecke gar nicht zwangsläufig notwendig. Wien kann hier zwar Druck aufbauen, wesentlich ist aber, Rom von einer umsetzbaren unterirdischen Trassenführung zu überzeugen. Der gordische Knoten ist folglich dringend verhandlungstechnisch zu lösen.
Ist der Brennerbasistunnel samt Zulaufstrecken umgesetzt, rückt Südtirol wieder ein deutliches Stück in Richtung Nordtirol und näher an Österreich und Süddeutschland heran. Die Unrechtsgrenze am Brenner wäre wieder weniger drückend, für die Nordtiroler und Südtiroler Verkehrspolitik ergeben sich durch die Verlagerung auf die Schiene Perspektiven fernab von Autobahnblockaden und Südtirol wäre weit weniger durch die Transitroute Brennerachse belastet.
Die derzeitige Brennereisenbahn hat eine Kapazität von rund 260 Zügen am Tag. Die Kapazitätsgrenze ist erreicht. Mit dem Brennerbasistunnel soll die Kapazität – mehr oder weniger – um zusätzlich 300 Züge pro Tag erhöht werden. Dazu muss allerdings erst einmal ein Betriebskonzept folgen, das bis heute hin nicht zur Verfügung steht. Die Strategie lautet: Wir bauen erst einmal und dann, wenn gebaut ist, lässt sich immer noch über Betriebskonzepte verhandeln, die natürlich zwei staatliche Realitäten umfassen müssen. Ist dann das Projekt fertiggestellt und liegt das Betriebskonzept vor, drängt sich die Verlagerung des Transitverkehrs von der Straße auf die Schiene auf, die aber auch verkehrspolitisch begleitet sein muss.
Vorausgesetzt, das Projekt Brennerbasistunnel wird mit den notwendigen baulichen und politischen Rahmenbedingungen umgesetzt, ergeben sich für Südtirol zwar Risiken, aber auch zahlreiche Vorteile. Am Projekt selbst ist ohnehin nicht mehr zu rütteln.
Literatur:
[1] Konrad Spang: „Projektmanagement von Verkehrsinfrastrukturprojekten“, Springer Vieweg Verlag, Berlin Heidelberg 2016
[2] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017


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