Nur rund 13 Prozent der Fläche Südtirols sind unterhalb von 1.000 Höhenmetern angeordnet. Durch die Geomorphologie, die steilen engen Täler, ist das verfügbare Bauland denkbar knapp. Es ist Alfons Benedikters Verdienst, die Verbauung in Südtirol strengstens eingeschränkt zu haben.
Spricht man in Südtirol über Raumordnung, dann fällt, auch viele Jahrzehnte später, ein Name: Alfons Benedikter. Dessen Werk in der Raumordnung gilt auch über 50 Jahre später als bahnbrechend, zukunftsweisend und nachhaltig betitelt.
Dass Alfons Benedikters Raumordnung – man könnte von „benediktinischer“ Raumordnung sprechen – „genial“ war, werden viele, aber nicht alle behaupten, verhinderte dieser das Bauen nämlich restriktiv dort, wo heute alle bauen möchten, nämlich im Grünen. Und die Ausnahmeregelungen und Unklarheiten im System eröffnen für zahlreiche Akteure einen Dschungel an Opportunitäten. Nur: Wenn jeder auf sich schaut, wer schaut aufs Ganze?
Alfons Benedikter kam am 14. März 1918 in Pettneu am Arlberg zur Welt, wuchs in Schlanders als Sohn eines Postmeisters auf und studierte ab 1936 in Neapel Rechtswissenschaften sowie Englisch und Russisch. 1940 promovierte Benedikter zum Doktor der Rechtswissenschaften. Die Russischkenntnisse sollten Benedikter von Vorteil sein. 1945 wurde er von der Roten Armee gefangen genommen, wirkte bis September 1945 als Dolmetscher. Nach der Rückkehr wurde Alfons Benedikter Funktionär der Südtiroler Volkspartei SVP, vorerst im Vinschgau, dann in Bozen.
1948 wurde Alfons Benedikter in den Südtiroler Landtag gewählt:
- Von 1948 bis 1952 als Landesrat für Handwerk, Messen und Märkte
- Von 1953 bis 1959 als Regionalrat für Gemeindeordnung, Grundbuchwesen, Feuerwehr und Genossenschaftswesen
- von 1959 bis 1989 Landesrat für geförderten Wohnbau, Raumordnung und Landschaftsschutz sowie Landeshauptmann-Stellvertreter.
Benedikter nahm als Angehöriger der österreichischen Delegation mit Friedl Volgger und Luis Sand an den UN-Verhandlungen zu Südtirol teil, war – wie Peter Brugger und Hans Dietl – Paket-Gegner und von 1972 bis 1989 Mitglied der wichtigsten Kommissionen zur Umsetzung der Südtirol-Autonomie (Neunzehnerkommission, Sechserkommission, Zwölferkommission), sodass dieser die Ausarbeitung der Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut wesentlich prägte. Als Landeshauptmann-Stellvertreter nahm Alfons Benedikter an zahlreichen Sitzungen des Ministerrats teil.
1953 heiratete Alfons Benedikter Waltraud (Traudl) Noldin, die Tochter von Josef Noldin, seit 1960 lebten sie in Frangart bei Eppan.
Bis in die 1960er-Jahre wurde vorwiegend siedlungsnah gebaut. Zwar wäre es rechtlich möglich gewesen, mitten in die grüne Wiese zu bauen, doch wurde diese Option erst mit der Motorisierung, also durch die Zufuhr externer Energie des Kraftfahrzeugverkehrs, interessant. Zunehmender Wohlstand führte zudem naturgemäß zu einer erhöhten Bautätigkeit. In den 1960er-Jahren füllte sich das Land folglich mit Einzelbauten. Es wurden Straßen und das elektrische Stromnetz gebaut, während das Abwasser in der Natur entsorgt wurde. Zwischen 1960 und 1980 wurde in Südtirol mehr Boden verbraucht als in der gesamten Geschichte vor 1960. Die Erschließungskosten für Einzelbauten waren für die Gemeinden kaum noch finanzierbar.
Alfons Benedikter wandte 1960 das faschistische Urbanistikgesetz 1150 vom 17. August 1942 auf Südtirol um und legte das Bauen deutlich restriktiver aus. Eingeführt wurde die Landesbauordnung und in der Folge die Genehmigungspflicht für Bauwerke, womit auch eine Kontrolle einherging. Zuvor reichte eine Hinterlegung und Genehmigung eines Plans in der Gemeinde ohne Kontrolle und Bauabnahme.
Benedikter setzte sich als zuständiger Landesrat für geförderten Wohnbau, Raumordnung und – bis 1970 – Landschaftsschutz daran, die kulturellen und ökologischen Rahmenbedingungen der Raumordnung restriktiv zu setzen. Benedikter wird charakterlich als äußerst hartnäckig und sparsam charakterisiert und wollte die Südtiroler Landschaft gewissermaßen vor der Industrialisierung schützen, womit auch der staatliche Einfluss gemeint war. Doch das greift zu wenig weit: Benedikter befasste sich umfassend mit modernen europäischen Raumplanungskonzepten, etwa mit dem Siedlungsbau in England.
1966 wurden in einem Staatsgesetz („Legge ponte“) als Reaktion auf zahlreiche Naturkatastrophen die praktizierten Landschaftsfrevel eingeschränkt. Benedikter übernahm und erweiterte das Gesetz, führte eine Differenzierung des Territoriums in Zentrumsbereiche, geschlossene Ortschaften und den Außenraum ein, etablierte Bebaubarkeitsgrenzen für die jeweiligen Zonen.
Landesrat Benedikter arbeitete 1970 mit seinem Rechtsberater Ferdinand Willeit und Konrad Buchwald aus Hannover das neue Landesraumordnungsgesetz aus, mit welchem er die Streubauweise drastisch zu verhindern versuchte und infolgedessen den Landschaftsschutz sanktionierte:
- Jede der Südtiroler Gemeinden musste einen Bebauungsplan ausarbeiten
- Die Bauflächen wurden auf 10 Jahre vorausberechnet
- Das Bauen in der freien Landschaft wurde verboten.
Für die einzelnen Baugebiete wurden Durchführungspläne als städtebauliche Gesamtplanung eingeführt.
Konrad Buchwald war promovierter Botaniker, Landschaftsplaner und Naturschützer, entstammte der bündischen Jugend und dem Wandervogel und betätigte sich früh im Sinne eines organischen Naturschutzes. Buchwald geriet im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol, lernte seine spätere Ehefrau, eine Bauerstochter aus Kaltern, kennen. In Tübingen war Buchwald für Straßenvegetation und Ingenieurbiologie tätig, betätigte sich im Kulturwerk für Südtirol sowie im „Verein für das Deutschtum im
Ausland“ (VDA). 1962 entwaef Buchwald ein Landschaftsschutz- und Landschaftspflegegesetz für Südtirol, arbeitete mit Alfons Benedikter zusammen. Buchwald erachtete in der vorindustriellen bäuerlichen Kulturlandschaft das Ideal und Vorbild für die Landespflege. Im Jahr 2000 verfasste Buchwald mit Roland Girtler und Hermann Attinghaus die Eckartschrift „Heimat“.
Das Landschaftsschutzgesetz 16 / 1970, das letztlich von Landesrat Giorgio Pasquali eingebracht wurde, der Bauingenieur war, stellte den Schutz der Landschaft in den Mittelpunkt. Dessen Amtsleiter Roland Dellagiacoma etablierte die nachhaltige Landschaftspolitik und führte die Naturparks in Südtirol ein. Im Grunde war das Landschaftsschutzgesetz allerdings das Werk Benedikters. Ein explizites „Raumordnungsgesetz“ sollte erst 1997 folgen.
1972 folgte das Wohnbaureformgesetz durch Landesrat Alfons Benedikter mit der Einführung des flächendeckenden geförderten Baulandes.
Adolf Spitaler war langjähriger Leiter des Ressorts Raumordnung und Volkswohnbau der Südtiroler Landesverwaltung. Spitaler verfasste ab 1972 / 1973 die wesentlichen Gesetzestexte mit oder selbst, war 1981 bis 1993 Leiter der Abteilung 5 (Raumordnung, Landschaftsschutz, Umwelt und Verkehr) und ab 1993 für den geförderten Wohnbau zuständig. Spitaler war der wichtigste Mitarbeiter von Alfons Benedikter.
Adolf Spitaler hält rückblickend fest: „Beim Südtiroler Modell für Baulandbeschaffung muss man immer vorausschicken, dass dieses keine Eingebung des Heiligen Geistes war, sondern es gab konkreten Handlungsbedarf“. Konkret wurde der Staat 1971 mit dem staatlichen Wohnreformgesetz tätig. Mit dem Gesetz konnten die Städte und Gemeinden verpflichtet werden, den Baulandbedarf für 10 Jahre vorzusehen. Die 10 Jahre hingen mit der Enteignungsbindung zusammen. Mit dem Gesetz obliegt es den Gemeinden, Bauland auszuweisen und sodann zu bestimmen, welche Zonen dem geförderten Wohnbau gewidmet werden, mit dem Problem, dass jene Grundeigentümer, deren Grund für den geförderten Wohnbau bestimmt wurde, gegenüber dem freien Wohnbau einen finanziellen Nachteil hatten.
Zur Behebung dieser Ungleichbehandlung wurde durch den Geschäftsführer des Südtiroler Gemeindenverbandes, Ferdinand Willeit, vorgeschlagen, pauschal jede Zone zu 50 Prozent dem geförderten Wohnbau zu widmen. Die Durchführung bewirkte Adolf Spitaler, politisch verantwortlich war Landesrat Alfons Benedikter, der für dieses Modell als „Marxist“ und „Maoist“ bezeichnet wurde. Spitaler hält dagegen: „Planwirtschaft ist es schon, aber das ist jeder Plan“.
Die Raumordnung unter Alfons Benedikter war restriktiv und klar. Einige würden sagen, zu restriktiv und zu klar. Ende der 1980er wurde das Raumordnungsgesetz zunehmend aufgelockert. 1992 erfolgte eine Gesetzesänderung zum Raumordnungsgesetz von 1970. Mit der Klarheit Benedikters war es vorbei, der Verwirrung war Tür und Tor geöffnet. Tourismusbetriebe konnten quantitativ erweitert und verlegt werden, im landwirtschaftlichen Grün konnte wieder stärker gebaut werden, gebaut wurde zunehmend an den Ortsrändern.
Das Bauen wurde insgesamt dereguliert und dezentralisiert: Bisher wurden Bauleitpläne vom Landesamt für Urbanistik kontrolliert und genehmigt. Von nun an war es den Gemeinden überlassen, Bauzonen vornehmlich im Grün auszuweisen. Alfons Benedikters klare Siedlungsgrenzen waren aufgehoben. Mit dem Raumordnungsgsetz von 1997 wurden neue Möglichkeiten geschaffen: Erweiterung von Hotels, Erweiterung von landwirtschaftlichen Produktionsbetrieben, Aussiedlung von enteigneten oder gefährdeten Wohngebäuden ins Grüne, Umwandlung von Wohngebäuden in Bürogebäude, Verlegung von Tankstellen an die Dorfränder.
Insgesamt dominierten von nun an allerhand Ausnahmeregelungen, Kubaturverschiebungen, Unklarheiten, Grauzonen und Interpretationsmöglichkeiten. Mit der Klarheit war es dahin. Mit der Restriktion auch.
Bild: Alfons Benedikter / Wikipedia
Literatur:
[1] Gabriel Vogel: „Evaluierung des Südtiroler Baulandbeschaffungsmodells am Beispiel der Gemeinde Eppan“, Technische Universität Wien, Wien 2017
[2] Gottfried Solderer, Zeno Abram, Helmut Alexander, Michael Gehler: „Das 20. Jahrhundert in Südtirol Band IV: Autonomie und Aufbruch (1960–1979)“, Edition Raetia, Bozen 2002
[3] Wolfgang Haber: „Laudatio zu Ehren von Prof. Dr. Konrad Buchwald anläßlich der Verleihung des Reinhold-Tüxen-Preises 1997 der Stadt Rinteln am 28. Februar 1997“, Hannover 1997
[4] Hans Karl Peterlini: „Hans Dietl – Biografie eines Südtiroler Vordenkers und Rebellen“, Edition Raetia, Bozen 2007
[5] Oktavia Brugger: „Peter Brugger: eine politische und persönliche Biographie“, Edition Raetia, Bozen 1996
[6] Gottfried Solderer, Zeno Abram, Helmut Alexander, Michael Gehler: „Das 20. Jahrhundert in Südtirol Band V: Zwischen Europa und Provinz (1980–2000)“, Edition Raetia, Bozen 2002


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