Teil 1 der geopolitischen Auseinandersetzung mit Südtirol befasste sich mit der Annexion Südtirols durch Italien. Teil 2 befasst sich mit den geopolitischen Zusammenhängen nach 1945. Mit dem Ersten Autonomiestatut war das letzte Wort – noch nicht – gesprochen.
Die Kapitulation 1945
Die alliierte Invasion Italiens begann im Juli 1943. Insbesondere die Briten waren daran interessiert, Italien als Kriegspartei aus dem Spiel zu nehmen, um die uneingeschränkte Kontrolle des Mittelmeeres zu übernehmen, die im Zuge des Indienhandels bedeutend war, Stichwort Suezkanal. Am 9. und 10. Juli 1943 begann die alliierte Invasion Siziliens.
Die zunehmenden militärischen Niederlagen Italiens ließen den Zuspruch, den Benito Mussolini genoss, schwinden. Der Faschistische Rat strebte zunehmend einen „Faschismus ohne Mussolini“ an. Mussoloni wurde aufgrund der enttäuschenden militärischen Interventionen in Griechenland und Nordafrika entmachtet, König Viktor Emanuel III. setzte am 25. Juli 1943 Pietro Badoglio als Ministerpräsident ein, das Militär beteiligte sich an der Absetzung. Mussoloni wurde daraufhin verhaftet.
Am 8. September 1943 schloss die italienische Regierung unter Badoglio einen Waffenstillstand mit den Alliierten, woraufhin die deutsche Wehrmacht Italien besetzt. Der König und der Ministerpräsident Italiens flohen nach Brindisi (Apulien). Mussolini wurde im Zuge eines Kommandounternehmens deutscher Fallschirmjäger am Gran Sasso befreit (Unternehmen Eiche). Von deutscher Seite wurde die Einsetzung einer neuen faschistischen Regierung beabsichtigt, sodass die „Italienische Sozialrepublik“ (Republik von Salò) eingesetzt wurde, an deren Spitze Mussolini eingesetzt wurde.
Der Comitato di Liberazione Nazionale (CLN, „Komitee der nationalen Befreiung“) wurde im September 1943 gegründet, bestand in einem Zusammenschluss von kommunistischen und sozialistischen Partisanenformationen, die sich in Folge der nationalsozialistischen Besstzung als provisorische Regierung bis zur Befreiung Italiens verstanden. Der CLN trat in das Kabinett Badoglio ein, womit ein politischer „Deal“ zusammenhing, der monarchistische sowie sozialistische Kreise befriedigen sollte und eine Volksabstimmung über eine neue Staatsform nach Kriegsende vorsah.
Durchgeführt wurde die Volksabstimmung am 2. Juni 1946, bei der sich eine demokratische Republik gegenüber einer konstitutionellen Monarchie durchsetzte.
Die Alliierten übernahmen am 4. Juni 1944 im Zuge der Invasion Rom. Als „Gotenstellung“ werden in diesem Zusammenhang die deutschen Befestigungen bezeichnet, die vom Tyrrhenischen bis zum Adriatischen Meer reichten. Es handelte sich um die deutsche Defensivstellung, als Pendent zum Westwall („Siegfriedlinie“). Ende April 1945 durchbrachen die Alliierten die Gotenstellung endgültig. Am 22. April 1945 wurde der Po erreicht. Die Heeresgruppe C der Wehrmacht befand sich endgültig auf dem Rückzug.
Am 25. April 1945 floh Benito Mussolini aus Salò und wurde am 28. April in Como von Partisanen gefangen genommen und ermodert. Italien feiert demgemäß am 25. April den „Tag der Befreiung“.
Die „Operation Sunrise“ bezeichnet die ab März 1945 stattfindenden Kapitulationsverhandlungen der Alliierten mit der Deutschen Wehrmacht in Italien. Die Kapitulation in Italien trat am 2. Mai 1945 in Kraft (Teilkapitulation). Am 8. Mai folgte die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht.
Unter Androhung, dass Partisanenverbände in Südtirol einfallen würden, übernahm Bruno de Angelis vom CNL die Zivilverwaltung der Provinz Bozen. De Angelis war es wesentlich, Südtirol den Besatzern als „italienische Provinz“ zu übergeben [5]. Diese Verbindung zwischen Antifaschismus und italienischem Nationalismus unterstreicht, dass Nationalismus kein Privileg des italienischen Faschismus war und ist.
Die Bozner Sektion des CLN machte sich unter anderem auch zum Fürsprecher einer Restaurierung des Siegesdenkmals in Bozen und führte vor dem Monument die Tradition der Siegesfeiern problemlos weiter, da diese die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien historisch rechtfertigen sollten. Besonders aussagekräftig hierzu war die Feier am 4. November 1945. Von nun an stellte das Siegesdenkmal kein rein faschistisches Denkmal mehr, sondern ein Denkmal der angeblichen Italianität des Landes dar, was jede Auseinandersetzung zu einem ethnischen Politikum machte.
Die italienische Zivilverwaltung schloss im Anschluss des Kriegsendes das Südtiroler Unterland – wie bereits 1927 – der Provinz Trient an. Es handelte sich historisch betrachtet um den Versuch, ein vermeintlich „gemischtsprachiges“ Gebiet in einer italienischen Verwaltung aufgehen zu lassen. In der Protestkundgebung von Castelfeder vom 30. Mai 1946 forderten Unterlander, die Grenze der Provinz Bozen an die Salurner Klause zu verlegen, was durch das Zweite Autonomiestatut 1948 geschah.
Südtirol unter alliierter Militärverwaltung
Am 4. Mai 1945 erreicht die US-Besatzung Südtirol. Die Südtiroler Volkspartei (SVP) wird am 8. Mai 1945 gegründet, größtenteils durch „Dableiber“, was an der Bedingung der US-Besatzung in Südtirol lag. Bruno de Angelis wurde am 12. Mai Präfekt von Bozen. De Angelis bemühte sich darum, dass jene Südtiroler, die im Rahmen der Option 1939 die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hatten (die überwiegende Mehrheit von 210.000 Südtirolern) aus Italien ausgewiesen werden sollten, setzte sich allerdings nicht durch, weil diese Maßnahme sfür die Alliierten zu weitreichend war.
Am 19. Mai 1945 schreibt die Südtiroler Volkspartei (SVP) an die alliierte Militärregierung: „Die durch die faschistische Partei und Regierung geschaffenen Zustände wurden nicht abgeschafft (…), sondern wiederhergestellt und verschärft“.
Im Rahmen der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 formulierten die US-Amerikaner das Ziel, dass Italien unabhängig sein solle und der wirtschaftliche Wiederaufbau Italiens Priorität habe. Dadurch befand sich Südtirol von Anfang an im Nachteil. Südtiroler wurden gegenüber italienischen Interessen nachrangig angeordnet.
Charles de Gaulle sprach sich im August 1945 als Präsident der provisorischen französischen Regierung dafür aus, dass der Brenner „österreichisch“ werde.
Die Amerikaner beabsichtigten Ende August 1945 eine Rückgabe Südtirols an die italienische Verwaltung unter der Bedingung, dass Mechanismen des Minderheitenschutzes aktiviert werden. Der amerikanische Militärgouverneur drängte den CLN und die SVP im September 1945 zu einer Zusammenarbeit. Bisher hatten diese sich bekämpft.
Ab Oktober 1945 stand Südtirol unter britischer Besatzung. Die Amerikaner hatten Italien zwar im Zuge des Zweiten Weltkrieges besetzt, es folgte allerdings am 15. Oktober die Einsetzung einer britischen Besatzungsverwaltung. Das Bundesland Tirol stand hingegen unter französischer Besatzung.
Alcide De Gasperi, der im Dezember 1944 Außenminister Italiens wurde, erklärte am 4. November 1945 in Mailand, dass die Brennergrenze für die Entwicklung und Verteidigung Italiens „notwendig“ sei.
In Südtirol waren 1945 und 1946 der Wunsch nach Selbstbestimmung und Angliederung an Österreich naturgemäß stark. Der Wunsch der Südtiroler nach einer Wiederangliederung an Österreich wäre durchaus realistisch gewesen, insofern man sich der politischen Randsituation, in der sich Italien wiederfand, verdeutlicht. Italien war Kriegsschauplatz, wurde durch politische Kämpfe zwischen Faschisten und Partisanen geprägt, war 1945 politisch und wirtschaftlich geschwächt.
Für die Briten war es wichtig, dass Italien nicht „gedemütigt“ werde. Südtirol soll für die Briten wie auch für die Franzosen letztlich nicht wichtig gewesen sein. Russland unter Außenminister Molotow waren die Beziehungen zu den italienischen Kommunisten wichtig. Der Partito Comunista Italiano (PCI) stellte die größte kommunistische Partei in Westeuropa dar. US-Präsident Truman hatte wiederum Angst, den wichtigsten Partner im Süd- und Mittelmeerraum, Italien, geopolitisch zu verstoßen.
Österreich war auf der anderen Seite politisch (noch) nicht handlungsfähig und im Übrigen ein Kleinstaat.
Südtirol und die Selbstbestimmung
Die zahlreichen Forderungen aus Südtirol, dem Bundesland Tirol oder Österreich, die eine Revidierung der Brennergrenze forderten, wurden durch die Alliierten wenig beachtet und nur bedingt, in Form einer Autonomie, berücksichtigt.
Die provisorische österreichische Regierung unter Staatskanzler Karl Renner appellierte in diesem Sinne im Vorfeld der Außenministerkonferenz in London (11. September bis 2. Oktober 1945) an eine Rückgliederung Südtirols an Österreich. Letztlich entschied sich die Außenministerkonferenz für die Beibehaltung der Brennergrenze.
Die Außenminister zeigten sich zu „kleineren Grenzverschiebungen“ oder „Grenzberichtigungen“ bereit, nicht aber zur Infragestellung der Brennergrenze.
Im November 1945 wird Leopold Figl Bundeskanzler und war nach dem provisorischen sozialdemokratischen Statskanzler Karl Renner der erste Bundeskanzler Österreichs. Karl Gruber, der bis dato provisorischer Tiroler Landeshauptmann war, wurde Außenminister im Kabinett Figl. Leopold Figl studierte an der Hochschule für Bodenkultur in Wien und wurde Mitglied der Katholischen akademischen Verbindung Norica. Karl Gruber begann seine politische Betätigung in der sozialistischen Jugend, schwenkte zum christlich-sozialen Lager um, studierte Elektrotechnik und Rechtswissenschaften in Wien und wurde Mitglied der Katholischen Österreichischen Studentenverbindung Austria Wien (KÖStV Austria Wien).
Die italienische Regierung De Gasperi I war die letzte Regierung im Königreich Italien, nahm im Dezember 1945 die Amtsgeschäfte auf und führte Italien durch das Referendum am 2. Juni 1946 in eine republikanische Saatsform über. Insgesamt war De Gasperi bis August 1953 Ministerpräsident, im August 1954 verstarb der Trentiner Politiker.
Alcide De Gasperi erklärte laut Arbeiter-Zeitung am 28. Dezember 1945, dass die Provinz Bozen zur geographischen Einheit Italiens gehöre. Die Grenzen eines Staates mit 45 Millionen Einwohnern könnten nicht durch „unbedeutende“ Minderheiten entschieden werden, die noch dazu „zum Großteil Nazi-Anhänger“ waren, so Degasperi [2].
Die Zivilverwaltung der Provinz Bozen ging von der Alliierten Kontrollkommission am 1. Jänner 1946 auf die italienische Regierung über, Südtirol war folglich das erste deutsche Land ohne Besatzung. Für die Alliierten war nur noch das Gebiet der Provinzen Triest, Görz und Udine „strittig“, das unter alliierter Verwaltung blieb. Nur der Bereich Militär und Sicherheit blieb in Südtirol unter alliierter Kontrolle.
Außenminister Karl Gruber übergab den Alliierten im Jänner 1946 ein Memorandum als Verhandlungsposition Österreichs. Im Falle einer Rückkehr Südtirols an Österreich unterbreite Österreich die folgenden Angebote: Verbleib der Wasserkraft bei Italien, zukünftige Nutzung der Wasserkraft durch österreichisch-italienische Gesellschaften, freie Wahl der Staatsbürgerschaft für die Italiener, Kultur- und Sprachautonomie für die Italiener und Unterstellung Südtirols unter den Schutz der Vereinten Nationen. Im Gegenzug erklärte de Gasperi, dass eine Autonomie im Falle des Verbleibs bei Italien nicht auf Südtirol, sondern auf das ganze „tridentische Venetien“ zu beziehen sei. So weit gingen die Verhandlungspositionen auseinander.
Ministerpräsident Alcide de Gasperi befeuerte im März 1946 gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) antideutsche Ressentiments: „Wir sind glücklich, dass sich Österreich von Deutschland loslöst und wir wünschen ihm ein Gedeihen, zu dem wir beitragen möchten, indem wir die besten kommerziellen und kulturellen Beziehungen mit Österreich wiederaufnehmen. Aber wer bietet eine Garantie dafür, dass die österreichische Republik, die sich bereits 1920 auf den Anschluss hin orientierte und bis zum Kriegsschluss an der Aggression Deutschlands teilnahm, nicht von neuem in den Bereich des Pangermanismus gerät?“
Karl Gruber erklärte im März 1946 an ÖVP-Funktionäre: „Während die Südtiroler Bauern im Staatsverband Italiens ein Element der Anarchie darstellen, tragen sie in Österreich in hervorragendem Maße zur politischen Stabilität bei (…). Es handelt sich nicht um etwas, was den Italienern genommen werden soll, sondern um ein absolut österreichisches Gebiet und um einen Bestandteil seines ältesten Kronlandes“ [2].
Bereits im Februar 1946 wurden erste Anschläge in Südtirol durch Nordtiroler Aktivisten organisiert.
Erst im April 1946 brachte Österreich in Erfahrung, dass die Alliierten bereits im September 1945 für einen Verbleib Südtirols bei Italien votiert hatten. Die österreichische Verhandlungsposition wurde nun fortlaufend abgeschwächt. Im April 1946 überreichte Gruber die so genannte „Bozner Lösung“ an die Briten: im Wesentlichen sollte Südtirol einschließlich Bozens, aber ohne Industriezone und Teile des Unterlands zu Österreich kommen. Die Ansicht der Alliierten, Südtirol solle insgesamt bei Italien verbleiben, wurde durch die Alliierten allerdings mehrfach bestätigt.
Karl Gruber lehnte sich politisch eng an die Amerikaner an. In der Südtirol-Frage setzte Gruber auf ein bilaterales Abkommen mit Italien mit Festigung des Minderheitenschutzes und auf eine weitgehenden Autonomie. Gruber wollte die Sowjetunion grundsätzlich nicht herausfordern, weil die politischen Konflikte mit Jugoslawien in Bezug auf österreichische Grenzfragen vorprogrammiert waren. Insgesamt pochte Gruber in der Folge (vorerst) auf nur „kleinere Grenzberichtigungen“ und auf eine Staatsgrenze bei Brixen. Die Südtirolfrage sollte in Form einer Volksabstimmung über das ganze Südtirol später neu aufgeworfen werden, so die neue österreichische Strategie.
De Gasperi appellierte hingegen eindringlich an US-Präsident Truman, keine größeren Opfer von Italien zu verlangen; die Aufgabe der Brennergrenze wurde als „ungerechte Lösung“ betitelt.
Demgegenüber sprach sich der damalige britische Kriegsminister Winston Churchill grundsätzlich für eine Angliederung Südtirols an Österreich aus. Im Unterhaus warf Churchill im Mai 1946 die Frage auf: „Warum erlaubt man den Bewohnern dieses Landes nicht, ein Wort über ihre eigene Zukunft zu sagen? Warum können wir nicht ein faires und freies Plebiszit unter Überwachung durch die Großmächte haben?“ [2]. Der britische Außenminister Ernest Bevin erklärte im Juni 1946 hingegen, dass Südtirol aus britischer Sicht bei Italien verbleiben solle.
In der Nachbetrachtung war der strategische Schlingerkurs, den die junge Republik Österreich unter dem unerfahrenen Außenminister Karl Gruber fuhr, für Südtirol alles andere als vorteilhaft. Italien fand sich nämlich in einer absoluten Position der Schwäche wieder. Italien konnte eine Volksabstimmung in Südtirol schwerlich bekämpfen, forderte es nämlich selbst eine solche in Triest und Istrien.
Österreich stellte politische Forderungen auf und schwächte diese fortlaufend – ohne Notwendigkeit – wieder ab, relativierte auch die Forderung nach einer Volksabstimmung, sodass am Ende alles andere als eine resolute Verhandlungsposition gegeben war [1].
Allerdings war Österreich erst 1955, mit dem Staatsvertrag, souverän und international handlungsfähig.
Die Südtirol-Autonomie und die Mängel
Das Pariser Abkommen wurde am 5. September 1946 zwischen der österreichischen und der italienischen Regierung unterzeichnet (Gruber-De-Gasperi-Abkommen). Das Abkommen wird dem Friedensvertrag der Alliierten mit Italien angehängt. Da die Autonomie nicht explizit territorial umgrenzt wird, sondern die beiden Provinzen Trient und Bozen betrifft, beschließt die verfassungsgebende Versammlung in Italien 1947 die Errichtung der „Region Trentino-Tiroler Etschland“.
Das Pariser Abkommen mündete im Ersten Autonomiestatut, das 1948 als Verfassungsgesetz ratifiziert wird („Sonderstatut für das Trentino – Tiroler Etschland“).
Für Karl Gruber stellte das „Pariser Abkommen“ ein Stabilitätsfaktor für Italien dar. Demgegenüber hatte Alcide De Gasperi das Notwendigste gewährt. Alcide De Gasperi hatte die Autonomie effektiv zur „inneritalienischen“ Angelegenheit deklariert. Das Pariser Abkommen war faktisch sehr vage.
Südtirol wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, wie auch nach dem Ersten Weltkrieg, nicht aus mangelndem Willen oder Einsatz der Südtiroler Italien zugesprochen, sondern aus geopolitischen Interessen der internationalen Politik. Diese Interessen und Machtlagen kennzeichnen auch die folgenden Jahrzehnte und stellen das Damoklesschwert dar, unter dem die Südtirolfrage debattiert wurde und wird.
Insgesamt erwies sich die erste Südtirol-Autonomie als völlig unzureichend. Italien verfolgte nationale Interessen und beabsichtigte nicht, das Sonderstatut einzuhalten. Alcide De Gasperi stellte bereits 1953 klar: „Es sei gleich gesagt, dass es keine Deutschen in Südtirol gibt. Es gibt nur italienische Staatsbürger“ [1]. Entsprend nationalistisch sollte sich die Südtirolpolitik der italienischen Christdemokraten erweisen.
Die italienische Südtirol-Politik der Folgejahre wurde durch die folgenden Umstände gekennzeichnet [1]:
- Die im Autonomiestatut vorgesehene Verwaltungsautonomie für die Provinz Bozen wurde nicht umgesetzt, sondern auf die Region bezogen
- In allen wesentlichen Fragestellungen wurden die Südtiroler durch die italienische Mehrheit in der Region überstimmt
- Durchführungsbestimmungen für zahlreiche Sachgebiete mit Landeskompetenz wurden nicht erlassen
- Anfechtung von Landesgesetzen durch den Verfassungsgerichtshof [3]
- Intensive Förderung der italienischen Zuwanderung nach Südtirol mit Beginn der 1950er-Jahre im Rahmen der Industrialisierung
- Ab März 1952 Ausschluss Südtiroler Kriegsheimkehrer von öffentlichen Dienstposten zugunsten italienischer Zuwanderer
- Ab Juli 1952 rein italienischer Amtsverkehr, im Widerspruch zum Pariser Abkommen
- Ab Herbst 1953 Reaktivierung faschistischer Sondergesetze zu Enteignungen
- Ab Februar 1955 Verbot deutscher Vornamen
- Ab April 1955 intensives staatliches Wohnbauprogramm, zugunsten italienischer Zuwanderung
Kanonikus Michael Gamper, der 1946 die Leitung der Tageszeitung „Dolomiten“ übernahm, prägte 1953 die Metapher vom „Todesmarsch der Südtiroler“.
Die politische Realität in Südtirol war konfliktgeladen. Besonders der staatliche Volkswohnbau führte zur Eskalation. Mit einer Durchführungsbestimmung wurden Südtirol auch noch die Kompetenzen im Volkswohnbau genommen. Die Südtiroler Volkspartei trat daraufhin aus Protest 1959 aus der Regionalregierung aus.
Bereits damals liefen strategische Überlegungen, ob sich die Südtiroler eher auf Selbstbestimmung oder auf Autonomie festlegen sollten.
Vertreter der Südtiroler Volkspartei drängen Außenminister Bruno Kreisky dazu, die Südtirolfrage im Rahmen der UNO-Vollversammlung zu behandeln. Kreisky deklariert Südtirol indessen als prioritäres Thema der eigenen Außenpolitik. Südtirol wurde im September 1959 erstmals vor der UNO angesprochen. Italien beharrte im Rahmen der UNO-Vollversammlung allerdings darauf, dass die UNO nicht zuständig sei.

Die USA lehnten eine Vermittlerrolle grundsätzlich ab, verwiesen auf den Internationalen Gerichtshof. Das Pariser Abkommen von 1946 war in seiner Formulierung äußerst vage; während Österreich das Abkommen am Internationalen Gerichtshof in Den Haag einklagen wollte, spekulierte Italien darauf, durch den Internationalen Gerichtshof letztlich Recht zu bekommen.
Österreich beschloss im Juni 1960, Südtirol vor die UNO zu bringen. Die italienische Regierung beschloss ihrerseits, dass Südtirol nicht auf die Tagesordnung der UNO gesetzt werden dürfe, bekämpfte den Antrag aber letztlich nicht. Österreich verlangte in einer Resolution die Landesautonomie für Südtirol.
Die UNO-Vollversammlung entschied letztlich, dass Rom und Wien aufgefordert werden, Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen und den Streit beizulegen. Angenommen wurde mit der Resolution die Bestimmung, dass die zu gewährende Autonomie unter dem Gesichtspunkt „des Schutzes des Volkscharakters und der der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Südtiroler“ stehe.
Julius Raab, der an der Technischen Hochschule Wien Bauingenieurwesen studierte und wie Leopold Figl Mitglied der KaV Norica Wien war, war seit 1953 Bundeskanzler. In Unterredung mit Silvius Magnago im November 1960 in Wien lehnte Raab in Südtirol eine Eskalation in Analogie zum Zypernkonflikt dezidiert ab. Indessen liefen in Südtirol Vorbereitungen zu Anschlägen, die logistisch anspruchsvoll waren.
Silvius Magnago wurde am 31. Dezember 1960 Landeshauptmann. Der italienische Ministerrat setzte im Jänner 1961 die Neunzehnerkommission ein. Ihr wurde die Aufgabe übertragen, die Südtirolfrage unter allen Gesichtspunkten zu studieren und der Regierung Vorschläge zur Lösung des Konflikts zu unterbreiten. Die Kommission setzte sich aus sieben Südtirolern, einem Ladiner und elf Italienern zusammen.
Die politischen Verhandlungen scheitern vorerst
Im Jänner 1961 wurde das Reiterstandbild vor dem Montecattini-Kraftwerk in Waidbruck gesprengt. Josef Fontana sprengte im Februar das leerstehende Wohnhaus von Ettore Tolomei in Glen bei Montan. Tolomei war 1952 verstorben. Benito Mussolini hatte am Wohnhaus in Glen einen Turm anbauen lassen mit der Aufschrift „Museo della Rivendicazione dell’Alto Adige“ (Museum der Beanspruchung Südtirols). Es folgten vereinzelte Anschläge in Südtirol.
Im Rahmen der so genannten „Feuernacht“ zwischen dem 11. und 12. Juni 1961 wurden zahlreiche Anschläge auf Hochspannungsmasten verübt. In den folgenden Monaten wurden brutale Misshandlungen durch italienische Staatsbeamte bekannt.
Insgesamt konnten die politischen Verhandlungen als vorerst gescheitert betrachtet werden und es begann eine Eskalation mit zahlreichen Opfern.
Österreich beschloss im Juli 1961, Südtirol erneut vor die UNO zu bringen. Österreichs Antrag wirde im September 1961 auf die Tagesordnung der UNO-Vollversammlung gesetzt. Italien zeigte sich im März und April 1962 bereit, mit Österreich in Verhandlungen zu treten.
Der Historiker Rolf Steiniger ist der Ansicht, dass Italien zum damaligen Zeitpunkt unabhängig von den Anschlägen bereit war, mit Österreich zu verhandeln. In diesem Sinne hätten die Anschläge eher weiterreichende Verhandlungsergebnisse verhindert. Zahlreiche historische Persönlichkeiten widersprechen dieser Sichtweise energisch.
Wesentlich ist, dass die Eskalation in Südtirol – bis zu einem gewissen Punkt – in Einklang mit der außenpolitischen Strategie Österreichs stand. Dadurch war der politische Rückhalt gesichert, sodass sich eine verhandlungstechnisch in sich schlüssige Position ergab. Insgesamt gestaltete es sich schwierig, Eskalation und Verhandlung, Selbstbestimmung und Autonomie unter einen gemeinsamen Hut zu bringen.
Teil 1 der geopolitischen Auseinandersetzung mit Südtirol befasste sich mit der Annexion Südtirols durch Italien. Teil 2 behandelt die geopolitischen Zusammenhängen nach 1945. Teil 3 wird sich mit den 1960ern befassen.
Literatur:
[1] Gottfried Solderer: „Das 20. Jahrhundert in Südtirol – Bände 1 bis 5“, Edition Raetia, Bozen 2001
[2] ZIS Zeitgeschichte Informationssystem, Universität Innsbruck (Link)
[3] Adolf Auckenthaler: „Entstehung und Entwicklung der Südtirol-Autonomie“, Autonome Region Trentino-Südtirol, Trient 2017
[4] Rolf Steininger: „Südtirol im 20. Jahrhundert – Vom Leben und Überleben einer Minderheit“, Studienverlag, Innsbruck 1997
[5] „Mai 1945: Warten auf die US-Besatzung in Bozen“, Universität Innsbruck (Link)
[6] Eva Pflanzelter: „Geschichte und Region: Option und Erinnerung“, Studienverlag, Innsbruck – Wien – Bozen 2013
[7] Thomas Pardatscher: „Das Siegesdenkmal in Bozen – Enstehung, Symbolik, Rezeption“, Verlagsanstalt Athesia, Bozen 2002


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