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Dr. Josef Noldin: „Ich will nicht Gnade, sondern Recht!“

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Josef Noldin kam am 25. November 1888 in Salurn zur Welt. Dessen Vater Carl Franz Noldin war Gutsbesitzer und Weinhändler, die Familie stammte aus dem Deutschnonsberg. Die Mutter Amalia Mayr stammte aus Imst.

Noldin besuchte das deutsche Gymnasium in Trient, später jenes in Feldkirch und Rovereto und beendete die Gymnasialzeit schließlich am Franziskanergymnasium in Bozen. Den Militärdienst leistete Josef Noldin bei den Kaiserjägern.

Anschließend studierte Noldin Rechtswissenschaften in Innsbruck, wurde dort Mitglied der Akademischen katholischen Studentenverbindung Tirolia Innsbruck und promovierte 1912 in Rechtswissenschaften. Die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung lenkt den Blick auf das größere Ganze („universitas“) in geistiger, moralischer und politischer Sicht, was gerade bei Noldin ersichtlich wird.

Noldin musste über wohl oder übel als Gymnasiast in Trient, wo die Irredenta im urbanen Umfeld grassierte, als auch als Student in Innsbruck in einer Zeit, in der sich katholische und freiheitliche Kräfte einen politischen Kulturkampf leisteten, wohl erkennen, dass die Habsburgermonarchie überlebt war und durch berechtigte innere Spannungen zu implodieren drohte [4]. Imperiale Herrschaftsformen, wie das Habsburgerreich, waren in einer Zeit, in der die Freiheit der Völker und ihre Konstituierung als Republik im politischen Mittelpunkt standen, zu Recht völlig aus der Zeit gefallen.

1914 rückte Josef Noldin zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Leutnant des 1. Kaiserjägerregimentes ein, diente an der Ostfront in Galizien, geriet bereits 1915 in russische Kriegsgefangenschaft. 1915 erfolgte der italienische Kriegseintritt als Gegner Österreichs und des Deutschen Reiches, womit Tirol zum Kriegsgebiet wurde.

Von 1915 bis 1918 war Noldin im Lager Pestschanka (Galizien, heutige Ukraine) und schließlich in Wladiwostok interniert, wurde dort letztlich den Japanern überlassen. Noldin weigerte sich 1920 im Rahmen der Rückkehr, sich als italienischer Staatsbürger zu deklarieren, wodurch seine Heimkehr nach Salurn verzögert wurde. Seine Heimat war inzwischen am Verhandlungstisch machtpolitisch Italien zugesprochen, man spricht zu Recht von den „Siegerdiktaten“.

Das Gerichtspraktikum leistete Noldin beim Kriegsgericht in Trient ab, es folgte eine Tätigkeit bei Rechtsanwalt Dr. Osanna in Mezzolombardo, unter anderem, um die italienischen Sprachkenntnisse zu verbessern, ehe Josef Noldin eine eigene Kanzlei in Salurn eröffnete.

Josef Noldin betätigte sich politisch sehr früh schon im Deutschen Verband, scheute die Auseinandersetzung und den offenen Auftritt nicht. Beim „Volkstag in Neumarkt“ am 6. März 1921 trat Noldin gegen die politische Abtretung von elf Unterlandler Gemeinden an das Trentino auf mit den Worten: „Das Land nordwärts von Salurn ist deutsches Land, und wir sind der Abkunft und Gesinnung nach Tiroler.“

Im Rahmen des Volkstages in Neumarkt wurden durch Eduard Reut-Nicolussi, Michael Gamper und Josef Noldin die Losung ausgerufen: „Wird die Salurner Klause gehalten, dann Tirol gerettet“. Die Ausgabe des Tiroler Volksboten vom 10. März 1921 (PDF) unterstreicht die politische Richtung, die am Volkstag ausgesprochen wurde und die tief – bis heute – in das Unterlandler Bewusstsein eindrang.

Der Deutsche Verband war 1919 als Sammelbewegung entstanden, an der sich die Tiroler Volkspartei und die Deutschfreiheitliche Partei Südtirols beteiligten, um Südtiroler Belange in Italien gemeinsam zu verteidigen.

Das frühe „Unbehagen“ der Südtiroler mit der italienischen Verwaltung ist, um einen Ausdruck Josef Fontanas zu verwenden, freilich älter als der italienische Faschismus. Der italienische Faschismus ist eine politische Sammelbewegung (daher die „fasces“), die die Gegensätze aus links und rechts zu einer neuen revolutionären Bewegung aufzugeben versuchte und den italienischen Nationalismus ins Totalitäre überhöhte. Der italienische Nationalismus selbst ist allerdings eine gesellschaftlich breite Bewegung.

Im September 1923 folgte die so genannte „Lex Gentile“, die auf den faschistischen Bildungsminister Giovanni Gentile zurückzuführen ist. Dieser modernisierte zwar das italienische Schulwesen, hob den muttersprachlichen Unterricht in Südtirol allerdings auf und setzte auf Zentralisierung und Nationalisierung der Schulen.

Kanonikus Michael Gamper schrieb 1923 unmittelbar nach Verlautbarung der „Lex Gentile“: „Was soll nun geschehen? Sollen wir mit dem Verlust der deutschen Schule auch das deutsche Volkstum verlieren?“

Der Verbot der deutschen Schule im faschistischen Italien veranlasste Josef Noldin mit Michael Gamper den so genannten Katakombenunterricht im Südtiroler Unterland im Geheimen zu organisieren. Dazu sammelte Gamper Geld in Deutschland und Österreich, unter anderem vom „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA). Zugute kamen der Katakombenschule die Kontakte nach Österreich und Deutschland. Gerade deutschnationale Studenten betätigten sich als Bücherlieferanten nach Südtirol.

Josef Noldin exponierte sich als Strafverteidiger für angeklagte Katakombelehrerinnen. Der Katakombenunterricht konnte nur unter strengster Geheimhaltung vollzogen werden und wurde penibel ausgeforscht, die Lehrer bestraft, des Ortes verwiesen und mit Geldstrafen belegt. Insbesondere die Anwerbung und Ausbildung von Lehrpersonen konnte nur unter Geheimhaltung und Vorwänden vor sich gehen, um Hausdurchsuchungen, Verhören, Misshandlungen, Beschlagnahmungen, Verwarnungen, Gefängnis und Verbannung zu entgehen.

Abgehalten wurde der Notunterricht in Scheunen, Dachkammern, Kellerräumen und Bauernstuben. Alleine das Auffinden von deutschen Büchern oder Schriftstücken in Kurrentschrift hatte weitreichende Konsequenzen zur Folge.

Der Trientner Präfekt Giuseppe Guadagnini schrieb im November 1926: „Die Aufdeckung einer beträchtlichen Anzahl deutscher Geheimschulen, besonders im Gebiet zwischen Bozen und Salurn, beweist, dass im Alto Adige eine regelrechte Organisation des Widerstandes besteht“.

Die Katakombenschule spielte gerade im Südtiroler Unterland, in diesem Grenzgebiet, eine entscheidende Rolle [6]. Trotz aller heldenhaften Verdienste konnte die deutsche Sprache natürlich nur anstzweise vermittelt werden, was sich in Familien, die nicht durchgehend deutsch sprachen, fatal auswirkte.

Auf der anderen Seite konnten die italienischen Schulen nicht ihrem Bildungsauftrag nachkommen. Ein häufiger Lehrerwechsel, bedingt durch den Umstand, dass die italienischen Lehrkräfte das Land Südtirol oft nach kurzer Zeit wieder verlassen wollten, führten zu einem grundsätzlich weit verbreiteten Analphabetentum.

1925 wurde Josef Noldin zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Am 1. Dezember 2025 erfolgte die Verurteilung wegen ehrenrühriger Aussagen, die Josef Noldin mutmaßlich gegen die ialienische Nation getätigt hatte. Es folgten Verhandlungen wegen angeblicher Beleidigung des Präfekturkommissars und öffentlicher Aufhetzung. Das Strafmaß waren 20 Tage Haft in Neumarkt, 5 Tage Hausarrest und Geldstrafen.

1927 wurde Josef Noldin aufgrund der Erteilung von deutschem Lese- und Schreibunterricht ohne Gerichtsurteil für 5 Jahre auf die Insel Lipari in Sizilien verbannt. Am 29. Jänner 1927 wurde der Traminer Lehrer Rudolf Riedl, ebenso Vater von vier Kindern, nach Pantelleria verbannt. Der Lehrer Rudolf Riedl stand bereits ab 1918 wegen „subversiver Umtriebe“ im Visier der italienischen Militärverwaltung.

Daraufhin konstituierte sich in Innsbruck die „Deutsch-völkische Arbeitsgemeinschaft“ mit etwa 1000 Demonstranten, die sich aus Turnverbänden, nationalen und katholischen Studentenverbindungen zusammensetzte und das italienische Konsulat zu stürmen versuchte. Insbesondere Mitglieder der Burschenschaft Germania wirkten federführend.

Hamburger Echo am 2. Februar 1927
Dorpater Zeitung am 3. Februar 1927 (Estland)

Lipari stellt die Hauptinsel der Äolischen Inseln dar und galt im italienischen Faschismus als Deportationsinsel für Kriminelle und Regimegegner, darüber hinaus aufgrund der grassierenden Fieberkrankheiten als „Todesinsel“. Noldin mied in Lipari weitgehend den Kontakt zu anderen Internierten, aus seinem Tagebuch gehen allerdings Diskurse mit Kommunisten und Freimaurern hervor, Noldin schreibt stets „wir Deutsche“.

Noldin lehnte es ab, ein Gnadengesuch an die italienische Regierung zu richten („Ich will nicht Gnade, sondern Recht“). Mussolini deklarierte Josef Noldin als „gegenrevolutionär“, was von einem ausgeprägten politischen Bewusstsein Noldins zeugt.

Am 3. März 1927 richteten die Kinder von Rudolf Riedl ein Gnadengesuch an Mussolini, dass er dem „Vater die Freiheit und uns den Vater, die einzige Stütze unserer zarten Jugend“ wiedergeben möge, das bald darauf angenommen wurde. Nach der Heimkehr war Riedl aber weiterhin den Übergriffen der lokalen Behörde ausgesetzt. Er wurde wieder verhaftet und nach Österreich ausgewiesen.

Im Juli 1928 erkrankte Josef Noldin an einer Fieberkrankheit, wurde aufgrund von Amnestierungen aus der Haft etlassen. Es folgte eine Magenoperation in Meran. Behandlungen in Karlsbad oder Innsbruck wurden von den italienischen Behörden verweigert.

Am 14. Dezember 1929 verstarb Noldin im Sanatorium Grieserhof in Bozen im Alter von 41 Jahren. Die Innsbrucker Nachrichten berichten am 23. Dezember 1929 über die Trauerkundgebung zum Tode Noldins in Innsbruck (PDF).

Exkurs: Hedwig und Luisa Mattivi

Meine Salurner Großmutter Hedwig Mattivi (*1914 +2009) war eine Zeit lang Kindermädchen der Noldin-Kinder Karl, Traudl, Heinz und Werner in der Sommerfrische „Kerschbaum“ oberhalb Salurns. Über die Zeit der Notschule berichtete sie mir 2004, als ich eine Schularbeit über die Katakombenschule verfasste, dass Gewalttätigkeiten durch Lehrpersonen zum Schulalltag gehörten und dass die Schulkinder ständig danach befragt wurden, ob die deutsche Sprache zu Hause verwendet werde oder sogar Deutschunterricht erteilt werde.

Ihre Schwester Luisa Mattivi (*1918 +2017) berichtete von Drohungen und Bespitzelungen während der gesamten Schulzeit. Des Öfteren seien sie und ihre Geschwister von Josef Noldin befragt wurden, ob sie nicht auch in die Katakombenschule gehen wollten. Allerdings hätten die Kinder bereits ausreichenden Deutschunterricht durch die Mutter erhalten.

Nachbetrachtungen

Die Gedenk- und Trauerveranstaltungen nach Ableben Noldins zogen sich von Dezember 1929 bis weit in das Jahr 1930 hinein. Der „Verein für das Deutschtum im Ausland“ veranstaltete an der Universität München eine Gedenkveranstaltung, der Verein Südmark und der Andreas-Hofer-Bund in Wien. Zentraler Ort des Gedenkens war Innsbruck.

Eduard Reut-Nicolussi und Otto Stolz, mit Josef Noldin Kriegsgefangener in Russland, waren am 22. Dezember 1929 Gedenkredner des Noldin-Gedenkens des Andreas-Hofer-Bundes in Innsbruck.

Otto Stolz wurde 1914 zum Kriegsdienst eingezogen, kam mit dem Tiroler Landsturmregiment II nach Galizien und geriet in russische, später japanische Kriegsgefangenschaft. Erst im Jahr 1920 konnte er nach Tirol zurückkehren. Als Historiker verfasste Stolz, dessen Vater, ebenso Otto Stolz, Mathematiker und Mitglied der Universitätssängerschaft „Skalden“ war, unter anderem das monumentale Werk „Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden“.

Am 24. Jänner 1930 veranstaltete die akademische katholische Studentenverbindung Tirolia eine Trauerfeier in Innsbruck mit Vertretern aller studentischen Korporationen. Noldins Bundesbruder, Alois Winkler, bezeichnete Noldin in seiner Gedenkrede als „deutschen Freiheitshelden“ und betonte, dass Noldin „wiederholt in scharfen Worten seinen Unmut über die Uneinigkeit der deutschen Studentenschaft auf den Universitäten zum Ausdruck gebracht“ hatte.

Das Thema Noldin einte die von ideologischen Gegensätzen geprägte Innsbrucker Studentenschaft, die katholischen und die nationalen Verbindungen in ihrem gemeinsamen Wirken für den Erhalt des Deutschtums in Südtirol.

1949 wurde in Salurn des Todes Noldins gedacht und Kanonikus Michael Gamper hielt jene Gedenkrede, die ihm 20 Jahre vorher verwehrt wurde.

1954 und 1959 war das Noldin-Gedenken in Salurn ein Mittel, um den Ruf nach Selbstbestimmung und Landesautonomie zu untermauern.

1969 wurde das Noldin-Gedenken mit dem Paketabschluss in Verbindung gebracht, Gedenkredner in Salurn war Landeshuptmann Silvius Manago.

Die Schützenkompanie Salurn, die 1975 wiedergegründet wurde, setzte und setzt das Noldin-Gedenken jährlich als Feier von Landesinteresse fort, mit bewusst volkstumspolitischen und namhaften Gedenkrednern.

Josef Noldin kann, wie jede historische Persönlichkeit, vielfältig interpretiert werden, was faktisch auch passiert. Als authentische Quelle gilt jedoch das Tagebuch Noldins. Josef Noldin verkörpert demgemäß drei wesentliche Eigenschaften:

  • eine ausgeprägte Intellektualität,
  • ein explizit deutsches Bewusstsein,
  • ein Gerechtigkeitsempfinden, bei dem Recht stets vor Macht geht.

Josef Noldin war deutsch, aber auch zweisprachig, kannte die Belange der italienischen Volksgruppe gut und musste in anspruchsvoller Zeit erkennen, dass es auf Bekenntnis und Haltung zum Deutschsein ankommt, auch wenn die Opfer groß sind. Noldin flüchtete dabei nicht in Abstraktionen, sondern bot aufrichtig die Stirn.

Literatur:

[1] Michael Gehler: „Noldin, Josef“ in Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999

[2] Thomas Benedikter (Hrsg.): „Ich will nicht Gnade, sondern Recht – Josef Noldin 1888–1929. Vorkämpfer für die deutsche Schule Südtirols: sein Leben, seine Zeit, sein Tagebuch auf Lipari“, Athesia, Bozen 2000

[3] Christoph Hartung von Hartungen und Alois Sparber (Hrsg.): „Josef Noldin: sein Einsatz – sein Opfermut – sein Nachwirken“, Athesia, Bozen 2009

[4] Michael Gehler: „Studenten und Politik – der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck, 1918-1938“, Haymon-Verlag, Innsbruck 1990

[5] Othmar Parteli: „Rudolf Riedl: In Ketten zur Verbrecherinsel“, Athesia Verlag, Bozen 2010

[6] Rolf Steininger: „Toni Ebner 1918 – 1981, Südtiroler Politiker, Journalist, Unternehmer – Eine politische Biographie“, Athesia Verlag, Bozen 2018

Eine Antwort zu „Dr. Josef Noldin: „Ich will nicht Gnade, sondern Recht!“”.

  1. Avatar von Eine Raumordnung für Südtirol: Alfons Benedikter – Demanega

    […] heiratete Alfons Benedikter Waltraud (Traudl) Noldin, die Tochter von Josef Noldin, seit 1960 lebten sie in Frangart bei […]

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