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Hochwasser und Hochwasserschutz: Zur Katastrophe in Österreich

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Die Hochwasserereognisse in Österreich mit Schwerpunkt Niederösterreich machen persönlich betroffen. Nicht nur, dass zahlreiche Bekannte direkt oder indirekt bedroht sind. Bedroht sind auch die Umgebungen, die mich in 7 Jahren Wien täglich begleitet haben. Und zumindest teilweise sollte ich mich als Lektor am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFI) Burgenland in den Bereichen Geotechnik und Wasserbau direkt mit den hydrologischen Gegebenheiten vor Ort befassen.

Aus Südtiroler Sicht besteht zwar einerseits der Bezug zu Österreich, letztlich bleibt dieser Bezug allerdings ein hypothetischer, solange er nicht durch Beziehungen und Verflechtungen getragen ist – und zwar nicht nur zu Nordtirol, sondern vor allem zu den ferneren Bundesländern.

Immer wieder halten uns Naturgefahren vor Augen, wie bedroht unsere gebauten Ungebungen sind und welche immensen Anstrengungen in den Bereichen Infrastruktur und Zivilschutz notwendig sind, um Leben, Hab und Gut zu schützen. Zur Spendenaktion Österreich hilft Österreich: Link.

ehyd.gv.at

Durch Hochwasserereignisse stehen zahlreiche Sachobjekte und Menschenleben auf dem Spiel. Durch die immensen Wassermassen geraten unsere gebauten Umgebungen regelrecht ins Fließen, Wasser dringt in unsere Gebäude ein, überflutet Keller, schwemmt Gegenstände mit, entwickelt reißerische Kräfte, zerstört unsere Infrastruktur und gefährdet die Versorgung sowie menschliches Leben.

Entstehung

Grundsätzlich sind Hochwasserereignisse durch verschiedene Typen gekennzeichnet. 

„In kleinen Einzugsgebieten führen lokale Starkregenereignisse zu Sturzfluten. Die Hochwasserwelle bildet sich bei steilen Einzugsgebieten sehr plötzlich, ist äußerst energiereich und reißt auf dem Weg ins Tal Bäume, Sträucher, große Felsbrocken und ggf. auch ganze Talflanken mit sich. In ebenen Gelände können Starkregenereignisse zu Überflutungen führen. Sturmfluten treten an den Küsten der Meere und großen Seen auf. Sie entstehen dadurch, dass orkanartiger Wind das Wasser gegen die Küste drängt, wodurch es zu einem unter Umständen beträchtlichen Anstieg des Wasserstands kommen kann. Flussüberschwemmungen treten i. d. R. nicht überraschend auf. Wie schnell die Wasserstände steigen, hängt von der Einzugsgebietsgröße und der Einzugsgebietscharakteristik (z. B. Form des Einzugsgebiets, Gefälleverhältnisse, Bodenaufbau, Nutzungen) ab“ [1].

Das Niederschlagsereignis ergibt sich aus einer statistischen Verteilung in Zeit und Raum. Der Niederschlag führt zu einer Infiltration des Bodens, dieser ist irgendwann einmal gesättigt und kann kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen, es entsteht ein Oberflächenabfluss, diese Abflüsse sammeln und konzentrieren sich. Kommen diverse ungünstige Ereignisse zusammen, entstehen Engpässe und Probleme.

Man muss sich das Hochwasser-Ereignisdynamisch vorstellen. Pulswellen entstehen dadurch, dass sich das Wasser dort, wo es möglich ist, sammelt. Irgendwann läuft der Speicher über und das Wasser tritt wellenartig aus. Kommen mehrere Wellen zusammen, verstärkt sich der Effekt. Die Rede ist dann auf rechnerischer Seite von Pulsverfahren und Speicherkaskaden. In allen Fällen handelt es sich um sehr dynamische Rechenmodelle, bei welchen auf hydrologischer Seite zahlreiche Faktoren einfließen wie statistisches Niederschlagsereignis, Abflussflächen, Fließgewässer, Engstellen und vor allem der zu schützende Lebensraum.

Auf der einen Seite steht das Hochwassererignis, das eine bestimmte Wahrscheinlichkeit und Intensität hat. Auf der anderen Seite steht der menschliche Lebensraum mit einer bestimmten Anfälligkeit und Vulnerabilität. Daraus ergibt sich ein konkretes Risiko. Zwischen Hochwasserrisiko und Schadensrisiko gilt es, mehr oder weniger ausgeprägte Schutzbauwerke zu konzipieren.

Hydromechanik und Geomechanik

Von Bedeutung sind immer und überall die mechanischen Kräfte, die bedingt durch die Schwerkraft – und im Falle des fließenden Gewässers in der Folge der Fließkraft – wirken, und denen unsere Strukturen und Infrastrukturen bauliche Widerstände entgegenzusetzen haben. Darin besteht die Herausforderung im Konstruktiven Ingenieurbau.

Ruhendes Wasser erzeugt einen hydrostatischen Druck, der mit der Tiefe des Wasserstandes zunimmt. Fließendes Wasser erzeugt hingegen hydrodynamischen Druck, der durch die Strömung (Kraft ist Masse mal Beschleunigung) um ein Vielfaches höher sein kann.

Von der Hydrologie ist der Weg zur Geotechnik oder Bodenmechanik nicht weit. Das Wasser wirkt einerseits als zusätzliche Last auf den Boden, wodurch geotechnisch ein Grundbruch hervorgelöst werden kann. Andererseits entsteht im wassergesättigten Boden durch das Archimedes-Prinzip ein Auftrieb, womit der Widerstand, den der Boden leisten kann, minimiert wird. Durch Strömungen im Boden entstehen Erosionskräfte, die den Boden als Baustoff abtragen. Der hydraulische Grundbruch bezeichnet das Phänomen, bei welchem strömendes Grundwasser Bodenbewegungen und in der Folge Bodenversagen hervorlöst. Im bindigen oder feinkörnigen Boden ist die Anfälligkeit gegenüber Wassereintritt hingegen besonders hoch, weil die stabilisierenden Kräfte, die zwischen den Körnern wirken, aufgelöst werden. Der Boden verflüssigt sich und versagt.

Wenn eine Kraft nach Newton gleich Masse mal Beschleunigung ist, dann liegt es auf der Hand, dass dann, wenn das Wasser Feststoffe, also Bodenkörner verschiedener Größe mit sich trägt, die Einwirkung auf unsere gebaute Umwelt um ein Vielfaches größer wird. Der Feststofftransport vom feinen Material zum Sand, Kies oder ganzen Steinen, wirkt folglich als Multiplikator. Umso mehr Widerstand ist auf baulicher Seite notwendig.

Damit es zu keinen Feststoffeinträgen kommt, ist die Hangsicherung von essentieller Bedeutung. Daraus resultiert die Notwendigkeit, Uferböschungen zu sichern und zu befestigen und im Rahmen der Wildbachverbauung präventiv zu wirken.

Hochwasservorsorge

Hochwasservorsorge beginnt bestenfalls in einem frühen Stadium und umfasst den Erhalt und die Pflege der Fließgewässer sowie die Schaffung von Versickerungs- und Retentionsräumen. In unserer modernen Welt, in welcher wir die Natur in immer engere Schranken verbannen und die menschliche Bautätigkeit darauf ausgelegt ist, dass die Natur sich nicht mehr von selbst regeln kann, wachsen die Probleme um ein Vielfaches.

Neben dem Wasserrückhalt, den biologischen und ingenieurbiologischen Möglichkeiten, um Versickerungsflächen zu schaffen und Hänge und Böschungen natürlich zu sichern – nebenbei entstehen natürliche Räume mit einer hohen Biodiversität – gilt es, in der Bauordnung und in den Bauleitplänen die Gefahrenzonenentsprechend auszuweisen. Besteht ein bestimmtes Risiko, gilt es – je nach Risiko – entweder auf baulicher Seite Vorkehrungen gegen die Gefahr zu treffen oder auf kollektiver Seite Schutzbauwerke zu schaffen.

Bevor konkrete technische Investitionen in den Hochwasserschutz getätigt werden, sind hochwasserreduzierende Maßnahmen zu setzen. Diese umfassen: Aufforstungen, Regenwassernutzungen, Rückhalteeinrichtungen wie Becken und Talsperren im Oberlauf. Im Mittel- und Unterlauf sind Retentionsräume zu schaffen bevor Hochwasserrückhaltevorrichtungen verwirklicht werden.

Darüber hinaus sind die Vorkehrungen, die den Zivilschutz betreffen und Feuerwehr, Einsatzkräfte und medizinische Versorgung betreffen, entsprechend abzustimmen.

Technischer Hochwasserschutz

Die Möglichkeiten, die der technische Hochwasserschutz umfasst, sind begrenzt, allerdings im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung detailliert auf statistisch zu erwartende Hochwasserereignisse abzustimmen.

Zu den technischen Möglichkeiten zählen vorerst Hochwasserschutzlinien in Form von Deichen und Dämmen. Die Deichtrasse und die Deichhöhe sind Inhalt der hydrologischen Bemessung, hinzu kommen hydrogeologische Anforderungen an den Schutz der Böschungen und bodenmechanische Anforderungen an die Deichsicherheit (Durchströmung, Unterströmung, Erosion).

Hochwasserschutzwände bestehen im Gegensatz zu Dämmen, die aus Bodenmaterial bestehen, aus Spundwänden, welche eine Dichtungsfunktion haben. In der Regel bestehen Spundwände aus Stahlprofilen, die im Boden eingespannt werden. Neben ortsfesten Schutzwänden besteht die Möglichkeit, mobile Wände im Ernstfall einzusetzen. Dammbalkensysteme bestehen hingegen aus ortsfesten Schutzanlagen (Hochwasserschutzdeiche, Hochwasserschutzmauern), welche durch Tore, Durchgänge oder Nischen unterbrochen sind, um bei normalen Wasserständen einen freien Zugang zum Gewässer zu ermöglichen und im Ernstfall eine mobile Verbauung zu ermöglichen. Das Hochwasserschutzsystem in der Wachau, folglich in einem baukulturell sensiblen Gebiet, basiert auf Dammbalkensystemen.

Ebenso auf baulicher Eben erfolgen Eingriffe in die Fließgewässer selbst durch Steigerung der Abflussleistung durch Gerinneaufweitungen, Beseitigung von lokalen Abflusshindernissen, Glättung (Ausbau) des Gerinnes, Erhöhung des SohlengefällesGerinneentlastungen(Ableitungen, Überleitungen, Umleitungen, Abflussaufteilungen).

Die Herausforderung

Die Herausforderung im Hochwasserschutzbesteht einerseits in zuverlässiger Erfassung der statistischen Niederschlagsereignisse und der Auswirkungen auf die Fließgewässer unter Berücksichtigung von Abflussspitzen und Wellenfunktionen. Darüber hinaus gilt es, die möglichen Interaktionen mit der gebauten Umwelt zu erfassen und die Risiken konkret einzuschätzen. Hier beginnt sodann die Planung von Schutzbauten sowie die Berücksichtigung von baulichen Maßnahmen, um die Risiken zu minimieren, womit der Konstruktive Ingenieurbau und das Bauingenieurwesen auf den Plan treten.

Hochwasserereignisse erfordern Maßnahmen im Hier und Jetzt. Es sind einmal mehr konkrete Taten erforderlich, eine realistische Risikoeinschätzung, ein gezielter Einsatz der öffentlichen Mittel sowie eine zuverlässige Gestaltung der öffentlichen Infrastruktur für die kommenden Jahrzehnte. Dazu greifen zahlreiche Ebene innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung ineinander, um letztlich eine gebaute Umwelt zu verwirklichen, die den kollektiven Anforderungen an die öffentliche Sicherheit entspricht.

Literatur:

[1] Heinz Patt & Robert Jüpner (Hrsg.)“Hochwasser-Handbuch – Auswirkungen und Schutz“, Springer-Verlag, Wiesbaden 2020

[2] Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen und Naturgefahren – Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer, Wien New York 2011

[3] Wolfgang Dachroth: „Handbuch der Baugeologie und Geotechnik“, Springer Verlag, Berlin 2017

[4] Konrad Bergmeister, Jürgen Suda, Johannes Hübl, Florian Rudolf-Miklau: „Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren – Grundlagen, Entwurf und Bemessung, Beispiele“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2009

Eine Antwort zu „Hochwasser und Hochwasserschutz: Zur Katastrophe in Österreich”.

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