In Zeiten gegenstandsloser und abstrakter Kunst ist der Wille zur Formlosigkeit heute stark ausgeprägt. Die bezeichnete „Formlosigkeit“ ist dabei nicht nur die Abwesenheit von Form – es kann in unserer physischen Welt nämlich gar nichts geben, das ohne Form ist –, sondern vielmehr Eigenschaftslosigkeit, Bedeutungslosigkeit, Unbestimmbarkeit, Flüchtigkeit und Gestaltlosigkeit.
Zu dieser bewussten oder „frei flottierenden Formlosigkeit“, die sich als bewusste Unstimmigkeit manifestiert und nach Gabriele Detterer auch als „Hässlichkeit“ manifestiert, ist hinzuzufügen: „Man kann den Drang zum Geschmacklosen als Folge des Zerfalls eines historischen, an Ethik gebundenen Wertekanons sehen und als Ausdruck von Unsicherheit und Desorientierung. Zudem funktioniert Hässlichkeit als Strategie, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Shock sells! Das befriedigt eine Ichbezogenheit, welche die Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer nicht kennt (…) Der sichtbare Überbau künstlerischer Produktion aller Avantgarden fußte auf einem gedanklichen Unterbau. Das Fundament des Werkbegriffs war der Wille, experimentelle neue Ideen, Materialien, Linien, Flächen, Volumen zu einem ästhetischen Ganzen zu verbinden – Radikalität und Regelverletzung hin oder her“ [1].
Heute sei demgegenüber der Unterbau entschwunden und nur noch die Lust am negativen Auffallen dominant.
Doch nachhaltiger ist etwas anderes: „Künstlerischer Ausdruck mit Gestaltqualität bleibt, so die Wahrnehmungspsychologie, besser in unserem Gedächtnis haften als formlos Chaotisches. Somit scheint es, dass Ungestalt das schnelle Vergessen fördern will, da visuell Unstimmiges – trotz Schock – vom Betrachter als Sekundenerlebnis im Orkus des Vergessens versenkt wird. Auf der Strecke bleibt dabei leider auch die Nachdenklichkeit über das Seherlebnis“.
Klassische Schönheit besteht in einer Erhöhung, in einem Anspruch, in der Allgemeingültigkeit, in Universalität, in Überzeitlichkeit und in Ästhetik. Ästhetik ist das Bewusstsein, das das Sein verändert. Mit der Ästhetik bildet sich formale Schönheit, die die Materie hebt und vollendet.
Erhabene Schönheit lässt uns im Gegebenen aufgehen, uns eins werden. Anmutige Schönheit hebt uns hingegen aus dem Alltag heraus und überhöht uns. Der Formalismus, also die Überzeugung, dass die Form an sich – und nicht nur die Funktion – ein Wert an sich ist, ist so gesehen ein Kind der Antike. Die Ästhetik als die Kunst des Schönen, die sich seit der Antike herausbildete, ist fester Bestandteil unseres geistigen Seins und unseres kulturellen Kanons.
Hanno Rauterberg schreibt zur Ausdruckskraft des Schönen: „Schönheit ist also keineswegs nur ein Oberflächenphänomen, und es wäre völlig unsinnig, das wahre Sein gegen unwahren Schein ausspielen zu wollen. Im Schönen zeigt sich ja nicht weniger als ein Verlangen nach Ausdruck. Oder pathetisch gesprochen: Es zeigt sich eine Form von Menschsein“ [2]. Weil der Mensch ein Natur- und ein Kulturwesen sei, sei es auch unmöglich, einen natürlichen von einem künstlichen Schönheitsbegriff zu unterscheiden. Es geht immer um beides – und darin besteht ja das, was sich Ästhetik nennt.
Rauterberg meint folglich: „Mögen wir uns noch so frei und selbstbestimmt wähnen – in Wahrheit folgen wir doch nur urzeitlichen Schönheitsinstinkten“ [2]. Daraus kann man vielleicht die zeitlose Ausdruckskraft klassischer Formen ableiten.
Was gefällt, ist Ansichtssache. Wo die Kunst nur noch der verlängerte Arm der Politik ist und politische Emanzipationstendenzen ästhetisch verstärken soll, kann kaum noch von eigentlicher „Kunst“ die Rede sein, die im Sinne des Ästhetischen auf sich selbst bezogen sein muss.
Literatur:
[1] Gabriele Detterer: „Die Kunst von heute wird dominiert von einem Kult des Hässlichen“, Neue Zürcher Zeitung, 11.04.2018
[2] Hanno Rautenberg: „Was ist Schönheit?“, Die Zeit Nr. 15, 02.04.2009


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