Ein Mangel
Über das Linkssein und das Rechtssein könnte man ganze Bücher füllen. Eigentlich. Faktisch findet die Debatte aber kaum statt. Eine medial tonangebende Linke verhindert jeden Diskurs außerhalb einer eigennützigen linken Sicht, in der „rechts“ – wie sollte es denn anders sein – als Synonym für „Extremismus“ missbraucht wird.
Rechts ist man dann aus rechter Sicht vorzugsweise hinter vorgehaltener Hand. Eine solche „Haltung“ ist alles, nur nicht ausreichend.
Interessanterweise hat die Südtiroler Wochenzeitung FF in der Ausgabe 14 / 2024 eine Diskussion über das Nachdenken über das Rechtssein eröffnet, die weitere Kreise in Südtirol und auch außerhalb Südtirols ziehen sollte mit dem offensichtlichen Bedarf, die Dinge klar zu strukturieren und Antworten zu liefern. Offenbar bleibt uns der öffentliche Diskurs ehrliche Antworten über das Rechtssein schuldig. Ein Mangel, ein Bedarf, eine notwendige Korrektur.
Theoretische Grundlagen
Man könnte es sich einfach machen und auf den historischen Umstand verweisen, dass sich in der französischen Nationalversammlung von 1789 die sozialistischen Kräfte mit den Jakobinern links und die reaktionären Kräfte mit den Monarchisten rechts anordneten. In Analogie ordnete sich da deutsche Parlament von 1848 in der Frankfurter Paulskirche mit den radikalen Republikanern links und den konstitutionellen Monarchisten rechts an.
Dieser historische Blick kann allerdings kaum den Evidenzen und Konstanten Rechnung tragen, die nicht immer mit den politischen Strömungen korrelieren, sodass dieses eindimensionale Schema im Verlauf der Geschichte ordentlich aus den Fugen gerät und sich berechtigterweise die Frage stellt, was denn bleibt.
Die Suche nach den Grundlagen des Rechtsseins ist eher ein Prozess, ein Suche und (vielleicht) ein Finden. Eines ist klar: In den 1990er-Jahren sollte unter dem Eindruck des Scheiterns des Sowjetkommunismus eine öffentliche Debatte über links und rechts möglich werden, die heute ihresgleichen sucht.
Der italienische Philosoph Norberto Bobbio legte mit dem Buch „Destra e sinistra: ragioni e significati di una distinzione politica“ („Rechts und Links: Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung“) 1994 eine Grundlage vor, die zumindest einen Ansatz liefert. Bobbio deklariert, dass die Linke nach Gleichheit strebe und die Rechte nach Unterscheidung.
Wesentlich ist aber auch die Extremismus-Debatte bei Norberto Bobbio: Eine Linke oder eine Rechte sind nicht dann als „extremistisch“ einzustufen, wenn die eigene Programmatik klarer verfolgt werde, sondern erst dann, wenn die Grenzen des Rechtsstaates und der Verfassung überschritten werden. Das ist wesentlich, wird damit nämlich die gesamte öffentliche Debatte, die die Anklage und die Verurteilung in Personalunion in Form des linken Anklägers mit Zugang zur öffentlichen Meinung durchziehen will, stark relativiert.
Das Menschsein
Befasst man sich mit rechten Menschenbildern, dann stoßen wir früher oder später an den Soziologen Arnold Gehlen. Im Gegensatz zu anderen Lebewesen sei der Mensch biologisch „unvollständig“ und habe kulturelle Strategien entwickeln müssen, um die Defizite zu kompensieren. Aus diesem Menschbild als „Mängelwesen“, einem berechtigten Pessimismus, entwickelt sich folglich der Optimismus und auch die Zuversicht, dass sich das Menschsein in einem kulturellen Rahmen vollzieht und dass dieser Rahmen nicht „Unfreiheit“ bedeutet, sondern eine größere Freiheit durch Rückhalt eröffnet.
Linke Menschenbilder gehen stattdessen von einem Menschsein aus, das in vielfältigen Machtstrukturen und Unfreiheiten gefangen sei und sich nur durch „Emanzipation“ und „Befreiung“ verwirklichen könne. Der Marxismus liefert hierzu vielfältige Befreiungs-Phantasien. Das Problem liegt daran, dass dann, wenn wir als Einzelne effektiv von allen Bindungen „befreit“ sind, faktisch kein Mehr an Freiheit vorhanden ist, sondern in der Regel ein Mehr an Abhängigkeiten, sodass der sozialen Befreiung immer der Sozialstaat folgt. Die Ausführungen des Soziologen Karl-Otto Hondrich wirken dazu festigend.
Dass sich ein „starker Einzelner“ auszubilden habe, ist ein starkes Motiv rechter Philosophie, das etwa in den Werken Ernst Jüngers, im „Arbeiter“ oder im „Waldgang“, zutage tritt, das diesen starken Einzelnen aber nicht in sozialpolitischer Umgestaltung der Gesellschaft, sondern in einer individuellen Selbstbehauptung innerhalb der gegebenen Strukturen zu verwirklichen versucht.
Demgemäß besteht der Idealtypus rechten Denkens weniger im uniformierten Individuum innerhalb kollektiver Systeme und stattdessen in einem autarken Dasein, das traditionell durch den Bauernstand gekennzeichnet wird, in dieser modernen, arbeitsteiligen Zeit aber auch und vor allem durch andere Formen des freien Seins. In diesem Sinne stößt sich das Rechtssein gleichermaßen am Sozialismus als auch am Kapitalismus, weil in dieser Atomisierung des Individuums eine Entmenschlichung bestehe.
Prinzip Herkunft
Wesentlich ist der Bezug zum kulturellen Rahmen und ein auf Herkunft und Verwurzelung basierendes Menschenbild. Diese Herkunft wirkt sich einmal nach hinten, in die Vergangenheit, und ein mal nach vorne, in die Zukunft aus. Als vergangenheitsbezogenes Herkunftsprinzip kann der Bezug zur Tradition aufgefasst werden, also zukunftsgerichtetes Herkunftsprinzip als ein Denken in Generationen und als ein Streben, zu hinterlassen.
Der Publizist Armin Mohler meint, dass der Bezug zur Sterblichkeit des Menschen im Rahmen des Links- und Rechtsseins essenziell sei. Ein Denken in Generationen, ein Leben, das den Tod einbezieht und mit Blick auf die eigene Sterblichkeit an einem sinnvollen Leben interessiert sei, sei der Zugang zu einer rechten Lebensführung. Darin steckt viel Wahres. Das Bewusstsein der Vergänglichkeit sowie die Motivation, zu hinterlassen, sind essenziell und mitunter auch die Triebfeder für kulturelles Handeln sowie für kulturelle Höhen.
Die einen finden den Herkunftsbezug, der das Rechtssein ausmacht, in der Religion, die anderen in ökologischen Haltungen, wiederum andere streben im republikanischen Sinne eine ideale Herrschaftsform an, die Ausprägungen sind zahlreiche, als Konstante bleibt allerdings die Verwurzelung das Ideal.
Wenn denn das Rechtssein an und für sich gar keine politische Einstellung, sondern ein Lebensprinzip ist, dann zieht sich das Rechtssein – mit Schattierungen – durch alle Bereiche des Lebens.
Insbesondere die ästhetische Dimension ist essenziell. Rechtssein zielt immer auf die Form uns auf das Gestaltungsprinzip. Wenn nach Gottfried Benn die Antike die „Erhebung der Erde“ ist und die Kunst sich im Wesentlichen bis ins 20. Jahrhundert auf die Antike bezieht, dann geht es um diese herkunftsbezogene Herangehensweise, die in einem Formalismus mündet, der sich einmal mehr und einmal weniger an die klassische Stringenz haltet.
Demgegenüber hat Linkssein die Abstraktion und die Formlosigkeit zum Inhalt. Kunst hat im linken Sinne den vermeintlichen Zweck, System- und Sozialkritik zu äußern, indem sie durch Unstetigkeiten, Verwerfungen und Stilbrüche die Reflexion anregt und auf Ungleichheiten und versteckte Machtstrukturen hinweist. Weil die Wirklichkeit, wie sie sich uns heute darstellt, in vielen Bereichen strukturell „falsch“ sei, obliege es der Kunst, grundsätzliche Alternativen aufzuzeigen.
Politische Ausformungen
In diesem Sinne existieren im rechten Kontext zahlreiche Ausformungen, Widersprüchlichkeiten und Verstrickungen. Eine „wirtschaftsliberale“ Lektüre, die das Rechtssein mit neoliberalen Ausprägungen assoziiert, kann in diesem Sinne kaum als „rechts“ durchgehen. Natürlich kann und wird es im rechten Sinne sozialere und wirtschaftsliberalere Ausprägungen geben, im Zentrum steht aber immer ein auf Herkunft und Verwurzelung basierendes Menschenbild. Dort, wo der Mensch im neoliberalen Sinne nur noch als flexibles und mobiles „Humankapital“ aufgefasst wird, wo es darum geht, Interessen und Kapital willkürlich zu verschieben, kann aber kaum von einem „rechten“ Zugang zur Welt die Rede sein.
In der politischen Wirklichkeit ergeben sich diverse populistische Ausprägungen: Ob „politische Korrektheit“ oder mediale Tabus, ob Einwanderung oder Überfremdung, ob Privilegien von „denen da oben“ oder Sozialdebatten, ob Corona- und Gesundheitspolitik, ob „Gender Mainstreaming“ oder sonstige emanzipative Strömungen – vielfach ist die Kritik berechtigt, die populistische Tendenz, auf den so genannten „Hausverstand“ zu setzen und dabei auf einen politischen Kompass zu verzichten, verirrt sich in der Praxis aber allzu oft selbst. Es bleibt dann am Ende aller Tage wenig handfestes übrig – bis auf den so genannten „Kater“.
Fehlgeleitet ist ebenso die Debatte rund um den Begriff des Konservativ-Seins. Konservativ sein können Linke als auch Rechte, meistens ist der Zusatz „konservativ“ hingegen für eine undifferenzierte bürgerliche „Mitte“ günstig, um den Status Quo zu legitimieren, mit dem es sich „ganz gut“ leben lässt. Authentische Rechte sind kaum daran interessiert, eine Hülle zu erhalten, sondern zielen auf die Substanz. Die Verwirklichung dieser Substanz ist – entsprechend der Umstände – sowohl in einem konservativen als auch in einem revolutionären Kontext denkbar. Es muss immer und unter allen Umständen und unabhängig von den politischen Gegebenheiten möglich sein, auf die Substanz zurückzugreifen.
Ein Rechter kann Anarch oder Republikaner sein, vielleicht auch beides zugleich, je nachdem, wie denn die politischen Umstände gelagert sind. Wahrscheinlich ist, dass es in bestimmten Fällen, den besagten Umständen entsprechend, mehr um autonome Eigenständigkeit geht, und in andere Fällen eher um rechtsstaatlichen Schutz. Die politische Form ist kaum das Motiv, sondern ein Rahmen. Essenziell ist das, was sich in diesem Rahmen abspielt. Zur demokratischen Republik gibt es allerdings keine Alternative, die Frage ist nur, wo deren Anfang und wo deren Grenzen liegen.
Praktische Lebenshaltung
Fundiertes Rechtssein ist eine berechtigte demokratische und auch notwendige Möglichkeit unter vielen. Häufig äußert sich dieses Rechtssein auch gar nicht politisch, wird stattdessen politisch durch andere Motive überlagert oder vollzieht sich weitgehend apolitisch, im Kontemplativen.
Vielfach wird das explizite Rechtssein im Politischen aber auch notwendig, weil ansonsten den eigenen Lebensgrundlagen – in einer politisch umkämpften Wirklichkeit, die den Spalt zwischen Privatem und Öffentlichem zu schließen versucht und zunehmend links deutet -, der Boden unter den Füßen entzogen wird.
Die Linke hat schon recht. Der marxistische Ausspruch: „Unpolitisch sein heißt politisch sein, ohne es zu merken“, ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Ausgehend von einer Welt, in der die Linke im Rahmen einer Verschwörungstheorie überall im öffentlichen Raum versteckte Machtmechanismen ausfindig machen wollte, woraus ein politisches Vorgehen resultiert, ist heute diese verpolitisierte Wirklichkeit geschaffen. Zu leben, wie man selbst will – und nicht, wie es die Linken wollen -, ist folglich eine politische Tat geworden. Das Unpolitisch-Sein ist demgemäß nur sehr beschränkt möglich, es sei denn, man klinkt sich vollkommen aus der Welt aus.
Am Ende legt man sich auf das Leben fest, definiert die größeren Ziele, die antreiben. Man ist dann links oder rechts oder auch gar nichts davon, weil man mit diesen Begriffen nichts anfangen kann oder vielleicht auch noch riskiert, das zu sein, was man partout nicht sein will oder nicht sein soll. Das alles gibt es und noch viel mehr. Rechts ist man einfach, ob bewusst oder unbewusst, so, wie jemand religiös ist oder nicht. Welche Folgen sich daraus dann ergeben, ist eine gänzlich andere Fragestellung.


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