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Sichtbeton: Mängel und baurechtliche Folgen

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Sichtbeton hat das Potenzial zum baurechtlichen Streitthema zu werden. Problematisch ist, dass die Erwartungshaltung des Auftraggebers, die aus Idealisierungen der Betonoberflächen resultiert, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der realen Ausführungsqualität übereinstimmt, die von vielfältigen Faktoren abhängt, die von zahlreichen Faktoren abhängt. Infolgedessen wird die Angelegenheit ein Fall für Gutachter und Preisnachlässe.

Die Auseinandersetzung mit Sichtbeton ist immer eine Auseinandersetzung mit Toleranzen und akzeptablen Abweichungen. Zwar werden viele Praktiker jenen Weg gehen, der davon ausgeht, dass zu viele Detailfestlegungen letzten Endes zum Nachteil derjenigen gehen, die diese formuliert haben, jedoch zeichnet eine präzise und unmissverständliche Formulierung die gute Planungspraxis aus.

Wesentlich ist die exakte Formulierung des Plan-SOLL: Welche Oberflächenqualität, welche Textur, welche akzeptablen Abweichungen, welche Porigkeit, welche Ebenheit, welcher Farbton, welche Anschlussstellen, welche Stoßausbildung. Die Formulierung des Plan-SOLL sowie die Übernahme im WIE im Zuge der Ausschreibungs- und Ausführungsplanung sind wesentliche Prozesse, die letztlich im Bereich der Qualitätskontrolle, bezogen auf den IST-Zustand zu überprüfen sind.

Die Planung von Sichtbetonflächen ist eine anspruchsvolle Querschnittsaufgabe, die daraus resultiert, dass Ausschreibung, Bauvertrag, Architektur, Tragwerksplanung, Betontechnik auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Sichtbeton einer bestimmten Sichtbetonqualität erhöht die Komplexität und den Aufwand der Planung und Ausführung deutlich. Ein erhöhter Preis ist daraus folgend nachvollziehbar. Andererseits darf sich der Auftraggeber dann, wenn er einen erhöhten Preis bezahlt, eine entsprechende Ausführungsqualität versprechen. Wird diese Qualität nicht erreicht, ergibt sich die Frage, was mit Betonkosmetik zu erzielen ist, ob gegebenenfalls das gesamte Bauteil neu zu betonieren ist oder ob es zu Preisnachlässen kommt.

Wesentlich sind im Zuge der Bauteil- und Arbeitsplanung die folgenden Arbeitsschritte:

  • Festlegung der gewünschten Oberflächen unter Berücksichtigung von Ausführbarkeit und Kosten
  • Auswahl einer robusten Betonzusammensetzung
  • Auswahl einer geeigneten Schalhaut und des zu verwendenden Trennmittels
  • Festlegung der Betonierfugen sowie der Schalanker
  • Abstimmung mit der Tragwerksplanung (Bewehrungsgrad, Bewehrungsanordnung, Verformungen)
  • Berücksichtigung der Bauteilformen im Zuge des Schwindverhaltens
  • Herstellen von Musterflächen
  • Aufgaben der Bauleitung und der Qualitätskontrolle
  • Nachbehandlung und „Betonkosmetik“: Im Bereich von Sichtbeton höherer Sichtbetonklasse ist die Betonkosmetik in der Regel immer notwendig. Allerdings stellt sich die Frage, welcher Betonkosmetik akzeptabel ist, um von einem Plan-SOLL auszugehen. Sind mehr als 10 Prozent der Betonoberflächen von Betonkosmetik betroffen, kann von einem Mangel ausgegangen werden.
  • Berücksichtigung des Wasserabflusses sowie möglicher Verschmutzungen und Anhaften von Mikroorganismen im Zuge der Ausführungsplanung

Ist das Sichtbeton-Bauteil fertig betoniert, beginnt die Qualitätskontrolle. Dazu sind IST-Zustand und Plan-SOLL detailliert zu vergleichen und mit den Ausschreibungsunterlagen zu vergleichen. Die Kontrolle umfasst drei Bereiche:

  1. Plan-SOLL: Anforderungen an die Betonoberflächen, die durch den Auftragnehmer formuliert werden
  2. WIE: Ausführungsplanung und Ausschreibung, die durch die Planer übernommen und im Zuge der Auftragsvergabe durch den Auftragnehmer vertraglich fixiert werden
  3. IST-Zustand: Qualitätsfeststellung durch die Bauüberwachung. Im Wesentlichen ist dazu pro-aktives Handeln notwendig, um bereits im Zuge des Betoniervorganges Abweichungen festzustellen und um frühzeitig Maßnahmen zu setzen.
Schema Plan-SOLL und IST-Zustand

Bei Abweichungen ergeben sich Beanstandungen sowie die Planung der Mängelbeseitigung. Zu bedenken ist in diesem Zuge, dass Sichtbeton nicht nur eine ästhetische Funktion hat. Zuallererst einmal hat das Bauteil in der Regel eine Gebrauchsfunktion, die sich aus Standsicherheit, Wetterschutz, Wärmedämmung und Schallschutz ergibt. Während bei Sichtbeton geringerer Klasse die Gewichtung im Bereich der Gebrauchsfunktion liegt, liegt die Gewichtung bei Sichtbeton höherer Sichtbetonklasse im Bereich der Geltungsfunktion. In diesem Sinne sind die Mängel im Bereich Textur, Porigkeit, Farbton, Ebenheit und Fugen zu bewerten.

In der Regel werden im Zuge der Qualitätskontrolle Checklisten angelegt, die durch Gutachter bearbeitet werden. Daraus folgend werden Mängel bewertet und beziffert, aber auch transparent und nachvollziehbar festgehalten, um eine gütliche Einigung aller am Bauvorhaben beteiligten Verantwortlichen zu erzielen:

Checkliste Sichtbeton

In der Baupraxis vermeiden es viele Planer und Auftragnehmer, Sichtbetonbauteile in Ortbeton auszuführen, weil Qualitätsmängel folgenschwer sind. Folglich sollte bereits im Zuge der Planung die Option Sichtbeton-Fertigteile einbezogen und planerisch berücksichtigt werden, weil sich in Bezug auf die Vorlaufplanung und Vergabe Konsequenzen ergeben.

Literatur:

[1] Rupert Springenschmid: „Betontechnologie für die Praxis“, Beuth Verlag, Berlin 2018

[2] Joachim Schulz: „Sichtbeton – Von der Planung bis zur Mängelvermeidung“, Springer Verlag, Berlin 2023

[3] Joachim Schulz: „Sichtbeton-Mängel: Gutachterliche Einstufung, Mängelbeseitigung, Betoninstandsetzung und Betonkosmetik“, Springer Verlag, Berlin 2011

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