Der Nahe Osten zählt zu den strategisch bedeutendsten Regionen der Welt. Seine geopolitische Relevanz ergibt sich aus einer Vielzahl von Faktoren: enorme Energieressourcen, geostrategische Lage an der Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Afrika sowie komplexe politische, religiöse und ethnische Dynamiken. Die Region ist Schauplatz zahlreicher Interessenkonflikte, nicht nur zwischen den Anrainerstaaten selbst, sondern auch zwischen globalen Großmächten. In einem zunehmend multipolaren internationalen System versuchen regionale Akteure, ihre Interessen zu behaupten, ihre Souveränität zu stärken und neue Allianzen zu formen.
Israel verfolgt mehrere strategische Ziele. Erstens will es seine Reputation und seinen politischen Einfluss in der westlichen Welt zurückgewinnen. Zweitens strebt es an, die Bedingungen für einen möglichen Frieden selbst zu definieren. Drittens steht die militärische Kontrolle über den Gazastreifen im Fokus, ebenso wie die Sicherung seiner Dominanz im Westjordanland.
Darüber hinaus möchte Israel eine dauerhafte Abschreckung gegenüber der Hamas und der Hisbollah aufrechterhalten, um künftige Angriffe zu verhindern. Insgesamt zeigt sich in der arabischen Welt, dass zwar Druck gegen Israel aufgebaut wird, dass aber radikale Positionen zunehmend abschwächen.
Der Iran verfolgt eine Doppelstrategie aus wirtschaftlicher Öffnung und regionaler Machtsicherung. Einerseits strebt er stabile und vernünftige wirtschaftliche Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien an, um seine Position zu festigen. Andererseits will er seinen politischen Einfluss in Syrien, im Libanon und im Irak bewahren und ausbauen.
Gleichzeitig versucht der Iran, den Druck auf Israel zu erhöhen, ohne dabei in einen direkten militärischen Konflikt mit den USA zu geraten, da ein solcher schwer kalkulierbare Konsequenzen hätte. Die Politik gezielter Provokation dient dabei als Mittel zur Machtsicherung und Ablenkung innenpolitischer Spannungen. Bisher scheuten die USA einen Angriff auf den Iran, da die erwarteten Kosten den möglichen Nutzen überstiegen.
Saudi-Arabien verfolgt eine Vision von regionaler Stabilität und wirtschaftlicher Transformation. Es strebt danach, sich als eigenständiger Akteur in der Region zu etablieren, der mit allen relevanten Mächten – einschließlich Iran und Israel – handlungsfähig bleibt. Riad möchte sich langfristig von seiner Rolle als reiner Erdöl- und Erdgasproduzent lösen und hochwertige Industriegüter sowie moderne Dienstleistungen anbieten.
Darüber hinaus will Saudi-Arabien sicherstellen, dass keine geopolitischen Entscheidungen über die Region hinweg ohne seine Beteiligung getroffen werden.
Das Aufkommen einer multipolaren Welt erhöht die Verhandlungsposition aller Staaten, so auch Saudi-Arabiens, gegenüber den USA.
Katar nimmt eine wichtige Rolle in der geopolitischen Kommunikation ein, insbesondere durch den Fernsehsender Al-Jazeera, der weltweit Meinungen beeinflusst. Das Land unterstützt den gemäßigten Flügel der Muslimbruderschaft und beteiligt sich an der Finanzierung humanitärer Hilfe im Gazastreifen. Diese Rolle hat Katar zu einem relevanten Vermittler zwischen Israel und der Hamas gemacht.
Zudem kooperiert es eng mit der Türkei und arbeitet gleichzeitig an einer Verbesserung der Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und zu Saudi-Arabien.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) agieren als wirtschaftlich orientierte Händlernation mit einer aktiven Außenpolitik. Sie verfolgen eine strategisch kluge Wirtschaftspolitik und gelten als entschiedene Gegner der Muslimbruderschaft – historisch und ideologisch begründet. Die VAE betrachten die Muslimbrüder als eine potenzielle Bedrohung für ihre monarchischen und autokratischen Strukturen und haben sie sowohl innerhalb ihres Landes als auch in anderen Ländern des Nahen Ostens, wie etwa in Ägypten und Libyen, bekämpft.
Sowohl die VAE als auch Saudi-Arabien sehen derzeit keine Option für eine offene Konfrontation mit dem Iran, sondern versuchen, ihn in ihre geopolitischen Konzepte einzubinden. Beide Länder streben nach größtmöglicher internationaler Unabhängigkeit, halten aber gleichzeitig an engen Beziehungen zu den USA fest. Die VAE verfügen über einen der modernsten und effektivsten Sicherheitsapparate der Welt.
Insgesamt wirken Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate in der Region stabilisierend, weil es sich im Gegensatz zum Iran nicht um isolierte Staaten handelt.
Das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ist komplex und geprägt von einer Mischung aus strategischer Partnerschaft, wirtschaftlicher Rivalität und geopolitischem Wettbewerb. Beide Staaten treten entschieden gegen den Iran auf und kooperieren in der Terrorismusbekämpfung, etwa gegen die Muslimbruderschaft. Saudi-Arabien stellt allerdings einen Führungsanspruch in der Region.
Die Türkei hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Sie hat sich vom nationalistisch geprägten kemalistischen Dogma entfernt und sucht zunehmend Partnerschaften in der arabischen Welt. Geopolitisch agiertdie Türkei als Brücke zwischen Europa, der islamischen Welt und dem Mittelmeerraum.
Ankara verfolgt das Ziel, eine eigenständige technologische und politische Macht zu werden – sowohl regional als auch international und hat es geschafft, den Konflikt mit den Kurden auf den „Terrorismus“-Begriff rund um die PKK herunter zu brechen. Das wachsende türkische Selbstbewusstsein zeigt sich durch die starke Präsenz und Einflussnahme türkischer Vertreter in Europa.
Die geopolitischen Entwicklungen im Nahen Osten spiegeln ein Spannungsfeld wider, in dem traditionelle Machtstrukturen, ideologische Konfliktlinien und neue strategische Allianzen miteinander konkurrieren. Während Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel verstärkt auf wirtschaftliche Modernisierung, technologische Souveränität und sicherheitspolitische Abschreckung setzen, verfolgt der Iran eine konfrontativere, aber gleichzeitig risikobewusste Politik, die auf Machterhalt und regionalen Einfluss abzielt. Katar und die Türkei versuchen, ihre Positionen durch diplomatische Beweglichkeit, mediale Präsenz und Vermittlungsangebote zu stärken.
Literatur:
[1] Walter Posch im Podcast „Grassl und Matei“, im Februar 2024
[2] Albert Hourani: „Die Geschichte der arabischen Völker“, Fischer Taschenbuch, München 2016


Hinterlasse einen Kommentar