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Islamismus als Machtfaktor

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Islamistische Bewegungen stellen weltweit eine sicherheitspolitische Herausforderung dar. Ihre Brisanz liegt in der Verbindung von religiöser Radikalität mit politischem Machtstreben, der transnationalen Vernetzung (z. B. Al-Qaida, IS), sowie der Destabilisierung ganzer Regionen – etwa in Nahost, Afrika oder Südostasien.

In Ländern mit schwachen staatlichen Strukturen bieten islamistische Gruppen grundlegende Dienstleistungen wie Rechtsprechung, Sicherheit oder Sozialhilfe. Für Teile der Bevölkerung wirken sie daher als ordnungsschaffend und strukturgebend.

Die Brisanz ist für Eineanderungsländer eine mehrfache: Neben dem Import islamistischer Bevölkerungsgruppen entwickeln sich islamistische Bewegungen (die zweite und dritte Generation) durch digitale Netzwerke zunehmend dezentral. Soziale Medien, verschlüsselte Messenger-Dienste und Online-Foren ermöglichen eine ideologische Radikalisierung ohne direkte Kontakte zu etablierten Strukturen. Einzelakteure („einsame Wölfe“) radikalisieren sich dadurch selbstständig.

Zu den Begriffen und Ursprüngen

Der Begriff Kalifat bezeichnet eine islamische Regierungsform, in der weltliche und religiöse Macht in der Person des Kalifen vereint sind. Der Kalif gilt als „Stellvertreter des Gesandten Gottes“ und führt die muslimische Gemeinschaft sowohl politisch als auch spirituell an.

Nach dem Tod Mohammeds lag das Kalifat zunächst in Medina, später unter den Umayyaden in Damaskus und unter den Abbasiden in Bagdad, das zu einem bedeutenden Ort islamischer Gelehrsamkeit wurde. Nach der Eroberung Kairos durch die Osmanen verlagerte sich das Kalifat im 16. Jahrhundert nach Istanbul, wo es bis zur Abschaffung 1924 durch Mustafa Kemal Atatürk fortbestand. Der politische Islam verlor dadurch seine formale Institution.

Der Islamismus entstand im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als Reaktion auf Kolonialismus, Modernisierung und den Zerfall des islamischen Kalifats 1924, also zu einer Zeit, in welcher sich überall in der Welt politische Bewegungen formierten, die Widerstandsbewegungen gegen die Moderne bildeten; um eine Metapher zu verwenden, die Ernst Nolte ins Spiel bringt.

In Ägypten gründete Hasan al-Bannā im Jahr 1928 die Muslimbruderschaft, die bis heute als Urzelle moderner islamistischer Bewegungen gilt. Ziel war es, ein umfassendes islamisches System zu schaffen, das Politik, Gesellschaft und Recht miteinander verbindet. Der Islam sollte nicht nur Religion, sondern auch Lebensordnung und Regierungsform sein.

Mit der Hinrichtung Sayyid Qutbs durch das Nasser-Regime (Ägypten, 1966) wurde die Bruderschaft zerschlagen, doch ihre Ideen verbreiteten sich weiter – teils in radikalisierter Form. Viele ihrer Anhänger flohen in die Golfstaaten, wo ihre Ideologie auf salafistische Lehren traf und neue Mischformen hervorbrachte.

Der Salafismus ist eine konservative und reformistische Bewegung innerhalb des sunnitischen Islams, die darauf abzielt, den Islam auf die ursprüngliche und reine Form zurückzuführen, die von den ersten Generationen der Muslime praktiziert wurde, insbesondere von den Salaf al-Salih (den „guten Vorfahren“), zu denen der Prophet Muhammad und seine engsten Gefährten gehören.

Der iranische Umsturz 1979, bei dem Ajatollah Khomeini ein schiitisch-islamisches Regime errichtete, zeigte erstmals, dass islamistische Bewegungen auch erfolgreich Macht erlangen konnten. Trotz schiitischer Ausrichtung diente die Islamische Revolution auch sunnitischen Islamisten als Inspiration. Dies erhöhte andererseits die Alarmierung aufseiten sunnitischer Monarchien, aber auch der Sowjetunion, die fürchteten, dass ein islamistischer Flächenbrand ausbrechen und in Afghanistan die kommunistische Führung bedroht werde.

Die Sowjetische Invasion Afghanistans (1979–1989) führte zur Entstehung eines transnationalen, jihadistischen Islamismus. Die Invasion rief den sunnitischen Mudschahedin‑Widerstand hervor, der von USA, Saudi-Arabien und Pakistan unterstützt wurde. Aus den afghanischen Mudschahedin, den Kämpfern im „heiligen Krieg“, ging Al-Qaida hervor.

Islamistische Bewegungen wie die Muslimbruderschaft fordern heute politische Partizipation, Wahlen und eine islamisch legitimierte Regierung. Dies stellt eine direkte Gefahr für zahlreiche autoritäre Staatsformen im Orient dar.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate setzen auf religiöse Kontrolle durch den Staat. In den Emiraten herrscht ein starker Staatsislam unter Kontrolle der Herrscherfamilie, konkurrierende religiöse Bewegungen gelten als unerwünscht. Prinz Mohammed bin Salman, Kronprinz und Premierminister Saudi-Arabiens fördert einen „moderaten Islam“, kontrolliert vom Staat, ohne die politische Mitsprache von Islamisten.

Die Muslimbruderschaft in Kuwait ist politisch aktiv und hat eine moderate und gemäßigte Haltung im Vergleich zu anderen Bruderschaftszweigen in der Region, wie etwa in Ägypten. Sie ist durch Koalitionen mit anderen politischen Gruppen, insbesondere den Salafisten, und durch Wohltätigkeitsarbeit und soziale Projekte in der Gesellschaft tief verwurzelt.

Bahrain ist ein enger Partner sowohl der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) als auch von Saudi-Arabien. Diese Partnerschaft ist geprägt von gemeinsamen geopolitischen Interessen, besonders in Bezug auf regionalen Einfluss und Sicherheit, aber auch aufgrund gemeinsamer politischer und religiöser Bindungen. Die Regierung von Bahrain nimmt eine harte Haltung gegenüber dem politischen Islamismus ein, was zu einem Rückgang des Einflusses der Muslimbruderschaft geführt hat.

In vielen Fällen sehen islamistische Bewegungen wie die Muslimbruderschaft die Demokratie als eine kurzfristige strategische Möglichkeit, um Macht zu gewinnen. In Ländern wie Ägypten und Tunesien, in denen die Bruderschaft während des Arabischen Frühlings politischen Einfluss erlangte, zeigte sich die Bewegung bereit, sich in demokratische Prozesse einzubinden. Gleichzeitig wurde jedoch in vielen Äußerungen betont, dass dies nicht das endgültige Ziel ist und dass eine islamische Gesellschaft das langfristige Ziel bleibt.

Die türkische Regierungspartei AKP unter Recep Tayyip Erdoğan hat ihre Wurzeln im türkischen Islamismus seit den 1970er Jahren. Die Türkei ist in ihrer Sicherheitspolitik allerdings stark auf die Eindämmung radikaler islamistischer Gruppen bedacht – auch wenn sie politisch gelegentlich Islamisten in anderen Ländern, z. B. die Muslimbrüder, unterstützt. Die Türkei unter Erdoğan hat sich in den letzten zehn Jahren mehrfach strategisch und flexibel auf islamistische Bewegungen eingelassen, nicht primär aus ideologischer Nähe, sondern vor allem aus macht- und einflusspolitischen Kalkülen.

Katar ist hingegen eine absolute Monarchie und betreibt mit dem internationalen Fernsehsender Al-Jazeera eine panislamische Politik. Der gemäßigte Flügel der Muslimbruderschaft findet Unterstützung durch Katar. Dadurch verschafft sich Katar außenpolitischen Einfluss. Katar stellt sich darüber hinaus bewusst gegen die saudisch-emiratische Hegemonie in der arabischen Welt. Katar akzeptiert keine saudische Hegemonie und verfolgt eine ambitionierte, oft provokante Außenpolitik, insbesondere durch die Unterstützung islamistischer Gruppen und der Nähe zum Iran. Gerade das Verhältnis zum Iran ist komplex. Im Gegensatz zu den sunnitisch-arabischen Nachbarn erkennt Katar die Rolle Irans am Golf an, ist wirtschaftlich mit dem Iran verflochten und pflegt die strategische Kooperation aus Gründen der Rivalität mit den anderen Golfstaaten.

Mit Blick auf islamistische Bewegungen wie die Muslimbruderschaft ergibt sich die Divergenz zwischen populären Bewegungen „von unten“ und staatlicher Autorität „von oben“ und dadurch durchaus interessante ideologische Konflikte. Ein Kalifat ist das Konzept eines islamischen Führers (Kalifen), der die gesamte muslimische Gemeinschaft leitet. Der Kalif wird traditionell nicht nur als politisches Oberhaupt, sondern auch als religiöser Führer angesehen. Ein Kalifat hat die Aufgabe, die Scharia durchzusetzen und die islamische Gesellschaft zu führen. In einem Kalifat ist die Zentralität der Scharia als Gesetzgebungsgrundlage untrennbar mit der politischen Macht verbunden.

Ein Kalifat will die Zentralisierung der Macht in einer einzigen islamischen Staatseinheit fordern, die nicht nur religiös, sondern auch politisch die Umma vereinen würde. Ein solcher Kalif, der die Rolle eines weltlichen Herrschers und religiösen Führers in einer einzigen Person vereint, gerät mit Staaten und Nationalstaaten, wie diese durch monarchistische Länder wie Saudi-Arabien gebildet werden, in Widerspruch.

Machtfaktor Islamismus

Der Islamismus stellt in vielen Regionen der Welt einen bedeutenden Machtfaktor dar, da er nicht nur eine religiöse Strömung, sondern eine politische Ideologie mit weitreichenden gesellschaftlichen und geopolitischen Zielen ist. Islamistische Bewegungen streben danach, Staat und Gesellschaft auf Grundlage islamischer Normen und Gesetze zu formen – häufig in Abgrenzung zu säkularen, demokratischen Systemen. Sie gewinnen Einfluss, indem sie politische Instabilität, soziale Ungleichheit und das Versagen staatlicher Institutionen für sich nutzen.

In einigen Fällen übernehmen islamistische Bewegungem Regierungsverantwortung oder agieren als parallele Machtstrukturen – etwa durch soziale Hilfsleistungen, Bildungsangebote oder lokale Verwaltung, was ihnen Legitimität und Unterstützung in der Bevölkerung verschafft.

Geopolitisch wirkt der Islamismus über nationale Grenzen hinaus, etwa durch den Export ideologischer Strömungen durch Staaten. Gleichzeitig treten islamistische Gruppen sowohl in Form politischer Parteien als auch als militante oder terroristische Organisationen auf. Diese Akteure beeinflussen regionale Konflikte und destabilisieren internationale Sicherheitsordnungen.

Der Islamismus ist somit nicht nur ein Ausdruck religiöser Identität, sondern ein machtpolitisches Instrument, das politische Räume neu ordnen will – teils mit demokratischen Mitteln, teils durch Gewalt.

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