Demanega

#ingenieurbaukultur

Die Völker und Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas

Published by

on

Nordafrika und der Nahe Osten sind durch ihre strategische Lage zwischen Europa, Asien und Afrika, ihre Kontrolle über zentrale Seewege (z. B. Suezkanal, Straße von Hormus) und ihren Reichtum an Energieressourcen wie Erdöl und Erdgas geopolitisch hochrelevant.

Die Region ist zugleich geprägt von ethnischer und religiöser Vielfalt, historisch tief verwurzelten Konflikten (z. B. sunnitisch-schiitischer Gegensatz, Arabisch-Israelischer Konflikt, Kurdenfrage) sowie politischen Gegensätzen zwischen autoritären Regimen, islamistischen Bewegungen und säkularen Kräften.

Internationale Akteure wie die USA, Russland, China und die EU verfolgen konkurrierende Interessen, was die Region zu einem globalen Spannungsfeld macht, in dem lokale Dynamiken globale Auswirkungen entfalten.

Politische Spannungen im Nahen Osten haben Einfluss auf die globale Sicherheitslage. Radikale Gruppierungen wie al-Qaida und der Islamische Staat (IS) nutzen Unruhen im Nahen Osten für die eigene Rekrutierung. Zudem bewirken Konflikte in der Region Flüchtlingskrisen, die Europa unmittelbar betreffen.

Wesentlich für das Verständnis des Nahen Ostens sind abgesehen von politischen Wirklichkeiten die ethnische und religiöse Zusammensetzung der Region.

Die Araber sind die größte ethnische Gruppe im Nahen Osten und leben in Ländern wie Saudi-Arabien, Irak, Syrien, Jordanien, Libanon, Palästina, Jemen, Kuwait, Bahrain, Katar, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Etwa 300 Millionen Menschen in der Region identifizieren sich als Araber, deren Hauptsprache Arabisch ist mit vielen regionalen Dialekten.

Rund 85 bis 90 Prozent der weltweit lebenden Muslime sind Sunniten, die Schiiten machen 10 bis 15 Prozent aus. Selbstverständlich sind nicht alle Araber Muslime, Arabien bildet jedoch den Ursprung und Mittelpunkt des Islam.

Die sunnitische Tradition stützt sich auf die „Sunna“, also auf die Lebensführung Mohammeds, und den Koran. Die religiöse Führung ist im Sunnitismus eher dezentral, Gelehrte interpretieren die religiösen Texte. Manche sunnitische Länder wie die Türkei oder Ägypten haben eine säkulare Tradition.

Die Wahhabiten sind Anhänger einer ultrakonservativen und reformistischen Strömung innerhalb des sunnitischen Islam, die im 18. Jahrhundert von Muhammad ibn Abd al-Wahhab in der Region des heutigen Saudi-Arabien gegründet wurde. Die Wahabiten legen großen Wert auf eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna (das Vorbild des Propheten Muhammad) und streben eine „Reinigung“ des Islam von Praktiken an, die sie als Abweichungen betrachten.

Islamistische Gruppen wie Al-Qaida oder ISIS beziehen sich ideologisch teilweise auf wahhabitische Ideen.

Schiiten haben eine stärkere Betonung auf die Führung durch die Imame, die als spirituelle und politische Nachfolger Muhammads gelten.

Der Begriff „Schia“ stammt von „Schīʿat ʿAlī“, was „Partei Alis“ bedeutet. Die Schia entstand nach dem Tod des Propheten Mohammed (632 n. Chr.). Schiiten glaubten, dass Ali, Mohammeds Cousin und Schwiegersohn, von Gott bestimmt war, der rechtmäßige Nachfolger (Kalif bzw. Imam) zu sein. Schiiten glauben folglich an eine besondere religiöse und geistliche Führung durch Imame, die aus der Familie des Propheten stammen (Ahl al-Bayt).

Die Imame werden innerhalb der Schia als „unfehlbar“ angesehen, und ihre Lehren spielen eine zentrale Rolle im schiitischen Glauben. In schiitisch geprägten Ländern wie dem Iran gibt es eine enge Verzahnung von Religion und Staat, insbesondere durch das Prinzip der Velayat-e Faqih, die Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten.

Die Iraner sind ethnisch keine Araber, sondern Perser. Die Zahl der ethnischen Perser beträgt über 70 Millionen, rund 50 Millionen leben im Iran, der Rest in Afghanistan und Zentralasien.

Die Safawiden, eine persische Herrscherfamilie, übernahmen ab 1501 die Macht im Iran. Sie machten den Zwölfer-Schiismus, eine Hauptform des Schiitentums, zur offiziellen Staatsreligion, obwohl die Bevölkerung damals mehrheitlich sunnitisch war. Ziel war die Abgrenzung vom sunnitischen Osmanischen Reich als mächtiger Rivale im Westen. Die Safawiden nutzten die Schia auch zur Stärkung der nationalen Identität.

Der Iran wird im Nahen Osten als expansive Macht wahrgenommen. Seit der Islamischen Revolution 1979 verfolgt der Iran das Ziel, die schiitisch-islamische Ordnung und den Einfluss der „Islamischen Republik“ zu verbreiten. Er sieht sich als Schutzmacht der Schiiten weltweit, z. B. im Irak, Libanon, Syrien oder Jemen. Dies dient auch dazu, sich gegen sunnitische Rivalen wie Saudi-Arabien abzugrenzen.

Infolgedessen hat der Iran in verschiedenen Konflikten in der Region, wie im Syrischen Bürgerkrieg und im Jemen, bedeutende militärische und politische Unterstützung geleistet und versucht durch die Unterstützung schiitischer Milizen (Hisbollah im Libanon, Huthis im Jemen und schiitische Milizen im Irak) eine strategische Kontrolle über die Region zu erlangen.

Andererseits sieht sich Saudi-Arabien als Führer der sunnitischen Welt und hat Ambitionen, den eigenen Einfluss über die Golfregion hinaus auszubauen. Saudi-Arabien versteht sich als Hüter der heiligen Stätten (Mekka, Medina) und als weltweite Führungsmacht des sunnitischen Islam. Seit den 1970er Jahren hat es weltweit Moscheen, Schulen und islamische Zentren finanziert, um seine wahhabitische Auslegung des Islam zu verbreiten.

Saudi-Arabien wird heute nicht als klassisch expansiv im territorialen Sinn betrachtet, verfolgt aber eine strategisch ambitionierte Außenpolitik, die auf Einflussnahme und regionale Vorherrschaft ausgerichtet ist – besonders im Wettbewerb mit dem Iran. Das Königreich Saudi-Arabien ist stark in den Jemen-Konflikt involviert und unterstützt sunnitische Gruppierungen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind zwar mit Saudi-Arabien verbündet, streben allerdings ebenso militärischen und wirtschaftlichen Einfluss in der Region an, insbesondere in Libyen und im Jemen.

Die Türken machen weltweit rund 65 Millionen Menschen aus, rund 58 Millionen leben in der Türkei. Die Perser haben eine über 2500-jährige Geschichte als sesshafte Hochkultur (Achämeniden, Sassaniden). Die Türken kamen im Mittelalter aus Zentralasien nach Westasien und gründeten später das Osmanische Reich. Im Osmanisch-Persischen Gegensatz standen sich Türken (Sunniten) und Perser (Schiiten) jahrhundertelang als Rivalen gegenüber.

Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan strebt eine ideologische Rückbesinnung auf das osmanische Erbe und eine Stärkung der türkischen Rolle als Regionalmacht hin. Infolgedessen versucht die Türkei, ihren Einfluss im Nahen Osten auszubauen, insbesondere in Syrien, wo sie militärisch gegen kurdische Gruppen und den Islamischen Staat vorgeht. Zudem hat die Türkei enge Beziehungen zu Muslimbruderschaftsgruppen in der Region. Auch wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen zu Afrika und Zentralasien sind Teil der türkischen Expansionsstrategie.

Die Kurden machen rund 35 Millionen Menschen aus, 15 bis 20 Millionen leben in der Türkei, der Rest im Iran, im Irak und in Syrien. Der Konflikt zwischen Türken und Kurden führt immer wieder zu Eskalationen.

Die nordafrikanischen Völker (z. B. in Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten) gelten heute meist als Arabischsprachige, werden oft als „Araber“ bezeichnet. Arabisch ist allerdings mehr eine kulturell-sprachliche Identität als eine biologische Abstammung. 

Ursprünglich waren viele Nordafrikaner Berber (Amazigh), ein eigenes Volk mit eigener Sprache und Kultur. Ab dem 7. Jahrhundert fand die islamische Expansion und Arabisierung durch Eroberungen von der Arabischen Halbinsel aus statt. Die arabische Sprache, islamische Religion und arabische Identität verbreiteten sich, oft durch Assimilation, nicht durch Massenmigration.

Mehrere Gründe erklären die vergleichsweise säkularen Strukturen und Mentalitäten in Nordafrika im Vergleich zu Saudi-Arabien oder Afghanistan.

Nach der Kolonialzeit entstanden in Nordafrika republikanisch-nationalistische Staaten. Führer wie Habib Bourguiba (Tunesien) oder Gamal Abdel Nasser (Ägypten) setzten bewusst auf Säkularismus, Modernisierung und Staat vor Religion. Religion wurde oft unter staatliche Kontrolle gestellt.

Rechtsschulen (Madhāhib) sind im Islam historisch und praktisch sehr wichtig – insbesondere im sunnitischen Islam, wo sie die Hauptquelle für religiöses und rechtliches Handeln darstellen. Aus der Lokalisierung der Rechtsschulen sind Rückschlüsse zur regionalen Ausprägung möglich.

Im sunnitischen Islam existieren vier anerkannte Rechtsschulen: Hanafiyya, Malikiyya, Schafiʿiyya und Hanbaliyya. Diese Madhāhib entstanden im 8. und 9. Jahrhundert und unterscheiden sich in Methodik und Rechtsauslegung, nicht jedoch in den grundlegenden Glaubensprinzipien.

Die hanafitische Schule, gegründet von Abū Ḥanīfa, ist die rationalistischste und erlaubt im Vergleich größere juristische Flexibilität. Sie dominierte im Osmanischen Reich, wo eine Kombination aus islamischem Recht und pragmatischer Staatspolitik entstand – ein Erbe, das in vielen Nachfolgestaaten, z. B. der Türkei, eine Tendenz zur Säkularisation begünstigte (Kemalismus).

Die malikitische Schule, vorherrschend in Nord- und Westafrika, stützt sich stark auf die Praxis der frühen muslimischen Gemeinde in Medina. In Staaten wie Marokko, Algerien und Mauretanien ist sie eng mit dem Staat verbunden, wird dort als „offizieller Islam“ genutzt und unterstützt eher stabilisierende, konservativ-staatliche Strukturen, allerdings mit geringerer Neigung zu radikalem Islamismus, vielmehr dominiert eine staatlich kontrollierte religiöse Orthodoxie.

Die schafiitische Schule, verbreitet in Ostafrika, Südostasien und Teilen des Jemen, gilt als methodisch ausgewogen. In pluralistisch geprägten Gesellschaften wie Indonesien und Malaysia unterstützt sie eher gemäßigte und integrative Formen des Islam, mit Raum für Säkularisierungstendenzen und interreligiösen Dialog. Die Mehrheit der Kurden sind Sunniten, meist der schafiitischen Rechtsschule folgend – besonders in der Türkei, Syrien und im Nordirak.

Die hanbalitische Schule, gegründet von Aḥmad ibn Ḥanbal, ist die konservativste und basiert auf einer strikt textorientierten Auslegung. In Saudi-Arabien bildet sie die Grundlage für das religiös geprägte Rechtssystem und ist eng mit dem Wahhabismus verknüpft, einer puristischen Bewegung, die Islamismus und politische Theokratie fördert. International wurde sie durch finanzielle Förderung konservativer Bewegungen exportiert, u. a. nach Afrika und Südasien.

Literatur:

[1] Albert Hourani: „Die Geschichte der arabischen Völker“, Fischer Taschenbuch, München 2016

Eine Antwort zu „Die Völker und Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas”.

  1. Avatar von Islamismus als Machtfaktor – Demanega

    […] Die Völker und Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas […]

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..