Während offene Plätze sowie der halböffentliche Raum im historischen Rahmen jene Quartiere auszeichnen, die bis heute hin die höchste Aufenthaltsqualität aufweisen, geht die moderne Stadtplanung einen gänzlich anderen Weg.
Man müsste konsequenterweise den Begriff „Stadtplanung“ explizit nicht nennen, weil Stadtplanung auch gar nicht stattfindet. Die „Raumplanung“ oder „Raumordnung“ hat im gemeinen Gebrauch eher einen negativen Charakter, wird gerade unter dem Begriff der Raumordnung ja ein Mechanismus verstanden, der das freie Bauen weitestgehend verhindert und der die Kubaturen – leider – begrenzt.
Die „Kubaturen“, das sind die Raumvolumina, sind die essenziellen Angelegenheiten, wenn es darum geht, zu bauen – und das Maximale heraus zu holen. Steht eine Bauparzelle zur Verfügung, dann sind je nach raumplanerischen Vorgaben diese oder jene Abstände einzuhalten und es sind eine bestimmte Baudichte und eine bestimmte Kubatur verbaubar – und das wird dann natürlich bis zum letzten Kubikmeter ausgenutzt. Kubaturen sind freilich Geld.
Am Ende kommt eine hohe Mauer um die Kubaturen herum, die das Eigene von dem Fremden trennt, man könnte von „gated communities“ sprechen, Nicht nur materiell, sondern auch symbolisch und psychologisch vollzieht sich ein sozialer Rückzug: Die eigene Wohnung wird als ein Schlafquartier aufgefasst, darüber hinausgehend will man möglichst wenig mit anderen interagieren müssen. Man könnte auch von einer autistischen Bauweise sprechen.
Allerdings wird sich in solchen Siedlungen wenig wirkliche Lebensqualität einstellen. Die vielen Mauern motivieren zum Vorbeifahren, wie wir aus den Studien von Hermann Knoflacher wissen, weil die Informationsdichte der vielen Mauern denkbar gering ist. In Quartieren, in denen sich niemand länger aufhalten will, weil es auch nichts zu sehen und zu entdecken gibt, wird sich keine herausragende Lebensqualität einstellen, die eine Funktion der Aufenthaltsdauer ist.
Die Aufenthaltsdauer kommt wiederum von der Aufenthaltsqualität und der Frage, wie viel Zeit der Raum an sich binden kann.
Freilich, jeder Architekt weiß zwar, dass es nicht nur um das Design des einzelnen Kubaturen-Kubus ankommt, sondern auf die ganze Siedlung, nur mangelt es dann vielfach auf Nutzerseite an dem Bewusstsein für das Ganze. Wenn jeder nur auf sich schaut, schaut niemand auf das Ganze. Und in dem Maße, wie sich alle auf die eigenen vier Wände zurückziehen, scheitert der Gemeinschaftsgedanke: Niemand identifiziert sich mehr mit dem Quartier, niemand leistet mehr als er muss, niemand schaut mehr auf das Gemeinschaftliche und es entstehen jene „Nicht-Orte“, die Marc Augé meint.
Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich stellt richtig fest: „Die gestaltete Stadt kann „Heimat“ werden, die bloß agglomerierte nicht, denn Heimat verlangt Markierungen der Identität eines Ortes“.
Die Lösung ist: Mehr Grün, mehr menschlicher Maßstab, mehr Informationsdichte, mehr öffentliche Plätze, mehr halböffentlicher Raum, mehr Identifikation, mehr Gemeinschaft, mehr Bäume, mehr Parks, mehr Laubengänge, mehr Leben.
Siedlungen sind nicht getrennt nach Verkehrsinfrastruktur und Einzelbauwerk zu planen, sondern in einem Gesamtansatz. Die Frage ist: Wer soll hier leben, wer soll hier verweilen, wen will man anziehen, welche Aktivitäten will man fördern, wie viel Bewegung soll es sein. Vom lebendigen Ort profitieren alle, auch die Immobilienentwickler und Immobilieneigentümer.
Literatur:
[1] Hermann Knoflacher: „Grundlagen der Verkehrs- und Siedlungsplanung“, Böhlau Verlag, Wien 2007 und 2012
[2] Jan Gehl: „Städte für Menschen“, Jovis Verlag, Berlin 2015
[3] Marc Augé: „Nicht-Orte“, Verlag C.H. Beck, München 2010
[34] Alexander Mitscherlich: „Die Unwirtlichkeit unserer Städte – Anstiftung zum Unfrieden“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1996


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