Befasst man sich verhandlungstechnisch mit dem Harvard-Konzept von Roger Fisher und William Ury, das in Originalsprache als „Getting to Yes“ veröffentlich wurde, so besticht natürlich die Tendenz, Einigungen auf Grundlage einer Feststellung der jeweiligen Interessen zu erzielen.
Menschen und Interessen seien zu trennen. Positionen seien nicht zentral, sondern Interessen. Darauf aufbauend seien Entscheidungsoptionen zu schaffen, die die Interessen wahren, aber von festgefahrenen Positionen abweichen. Wesentlich sind objektive Beurteilungskriterien mit dem Ziel einer sachlichen Übereinkunft.
Nun mag die Theorie gut und recht sein, wir weichen in der Wirklichkeit aber allzu oft von rational handelnden Akteuren ab, die an konstruktiven Lösungen und an Win-Win-Situationen interessiert wären. Es überwiegt nicht der Wille zum Ja, sondern zum destruktiven Nein. Es geht um reine Machtdemonstration, die zwar eine Zeit lang für denjenigen, der die Macht demonstriert, befriedigend sein kann; aufgrund mangelnder Kooperationsmöglichkeiten werden aber letztlich die eigenen Handlungsoptionen und damit auch die eigenen Machtbasis untergraben, das zeigen geopolitisch die Schicksale von „crazy states“ und Pariastaaten in Tragik.
Roger Fisher und William Ury sind ursprünglich Konfliktforscher bezüglich internationaler Krisen. Von daher ist die Komponente Macht in den Ausführungen stets präsent.
William Ury befasst sich in „Die Kunst, Nein zu sagen“ mit dem Nein, das in der Praxis vielfach entscheidender und interessanter ist. Ury geht dabei von drei Schritten aus: Erstens, von der Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen, die unverhandelbar sind. Ausgangspunkt ist ein Ja zu den eigenen Interessen. Zweitens, eine Ausarbeitung einer klaren Nein-Position, ein Setzen eines Standpunktes, von dem nicht abgerückt wird. Und drittens, geht es wiederum um ein Ja, um eine Option zur Einigung – dennoch.
Ury spricht von einem „positiven Nein“. Der Italiener spricht analog dazu vom „No motivato“.
Das Nein ist in Konflikten und Verhandlungen realistischer und interessanter als das Ja. Ein bedingungsloses Ja ist ohnehin zu einfach. Wirklichkeitsnäher ist ein Nein, aus dem ein späteres Ja resultiert, indem die Machtpositionen inzwischen geklärt werden und sich am Mechanismus der Macht etwas bewegt. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Komponente Macht. Letztlich wire irgendjemand nachgeben müssen, indem er erkennt, dass Kooperation unumgänglich ist, um den eigenen Niedergang zu verhindern.
Bei abweichenden Interessen ergeben sich grundsätzlich zwei Optionen. Plan A: Die Gegenpartei sagt Ja, schwenkt ein und kommuniziert Akzeptanz. Die einfache Lösung, die allerdings vorerst unwahrscheinlich ist. Plan B: Die Gegenpartei lenkt nicht ein, das Verhandeln ist irgendwann einmal nicht mehr zielführend. Plan B bedeutet, dass eine BATNA („Best Alternative To a Negotiated Agreement“) schlagend wird, nämlich eine Alternative zum Verhandeln, die die Machtbasis neu ordnet.
Grundsätzlich kann es sogar eine vermeintlich „bessere“ Alternative zum Verhandeln überhaupt geben, das sind dann die Augenblicke, in denen der Streit ausgetragen wird, weil die Gewissheit eines günstigen Ausganges besteht. Freilich, ob das Kämpfen letztlich eine bessere Alternative ist, zeigt sich ganz am Ende und im Rückblick. Das gilt im Übrigen auch für internationale Konflikte.
Sinnvollerweise wird die BATNA (als Plan B) bereits im Vorfeld der Verhandlung festgelegt. Es geht um keine Ausweichlösung, um keinen Kompromiss und um keine zweitbeste Lösung. Es geht darum, bereits im Vorfeld der Verhandlung ein unilaterales Ausstiegsszenario festzulegen, das als ein Automatismus zuschlägt, insofern Verhandlungen auf normalem Wege scheitern. Die BATNA ist ein Weg, mit dem es sich leben lässt und der die eigenen Interessen wahrt. Infolgedessen nährt sich aus der BATNA eine Machtposition.
Ein gültiger Plan B verbessert die Verhandlungsposition ungemein und kann dazu beitragen, dass Plan A dennoch umgesetzt wird. Freilich, bedingt dies, dass das Gegenüber entweder rational handelnd ist oder zumindest in einer Auswegslosigkeit endet, aus der nur Verhandlungen führen.
Wird ein Plan B geschmiedet, ist zu analysieren, welche Gegenmaßnahmen die Gegenpartei treffen kann, um die eigene Machtposition abzusichern. Geht man dabei vom Worst-Case-Szenario aus – und kann man damit leben -, dann ist auch schon bereits das Feld von unten herauf abgesteckt.
Nur wer ein Nein mit allen Konsequenzen durchsteht, standfest und wehrhaft ist, sollte sich auf einen solchen Weg festlegen. Infolgedessen ist der Plan B fundiert auszuarbeiten und es ist zum Plan B zuzurüsten.
Der Moment des NEIN ist stets ein kritischer Moment. Bäumt sich eine Reaktion auf, besteht vielfach die Tendenz zum Nachgeben: Wer nachgibt, knickt nicht nur ein, sondern bestärkt den anderen auch noch zusätzlich. Eine entgegen gerichtete Tendenz ist jene, auf die Reaktion mit einem Gegenschlag zu antworten: Das kann legitim sein, verhindert allerdings spätere Einigungen durch die Eskalation.
Um die Emotionen im Griff zu behalten, ist eine Vogelperspektive ratsam. Nicht auf Attacken zu reagieren kann die eigene Machtposition unter anderem festigen, weil dadurch die Macht des anderen, durch Attacken Reaktionen zu bewirken, umterminiert wird. Wer souverän ist, harrt aus, wartet ab, hat die Zeit, „seinen“ Augenblick zu erzwingen.
Gegenattacken sind dann angebracht, wenn keine Aussicht auf eine Einigung mehr besteht und es um Notwehr geht. Theoretisch betrachtet sind asymmetrische Konfliktführung und Zermürbung, gerade bei sehr schwachen Kontrahenten, möglich. Eskalation befördert allerdings die Gegeneskalation und ist keine gute Basis für einen gerechten Frieden.
Freilich fragt sich auch noch, ob es die Folgen von Gegenattacken wert sind, diese auszufahren, oder ob ein Rückzug nicht zielführender ist. Hier gilt es, die Machtposition und die Interessenslage zu klären und die Konsequenzen zu bedenken.
Weigert sich das Gegenüber, das Nein zu akzeptieren, bestehen Alternativen zum Nachgeben und zu Gegenattacken im Unterstreichen und Wiederholen des Nein. Wer beharrlich, entspannt und konsequent festhält, dass es beim Nein bleiben wird, verschafft sich eine Autorität, die weiter zielt. Dadurch wird so genannte „positive“ Macht demonstriert, die Ansicht, am längeren Hebel zu sitzen und über die Zeit hinweg ohnehin zu gewinnen.
Wer lächelt, tötet zwar vielleicht nicht, setzt sich aber durch. Oder im Sinne von Sun Tsu: „Der beste General ist derjenige, der niemals kämpft“. Anstatt andere zu bekämpfen, gilt es, die anderen zu gewinnen.
Im Ernstfall, etwa bei einer Geiselnahme, bewirkt meistens nicht ein gewaltvolles Eingreifen das gewünschte Resultat, sondern ruhiges, geduldiges, beharrliches Verhandeln mit einem respektvollen Nein und abermaligen Wiederholungen. In der Regel reagieren Geiselnehmer letztlich auf positive Angebote.
Allerdings akzeptiert das Gegenüber in vielen Fällen ein Nein nicht, was durchaus nachvollziehbar ist. Man denke in diesem Zusammenhang an bockende Kleinkinder. Bis zur Akzeptanz eines Nein ist es vielfach ein längerer Prozess, der in der so genannten Akzeptanz-Kurve beschrieben wird mit den folgenden Stadien:
- Vermeidung
- Leugnung
- Angst
- Wut (am Höhepunkt)
- Verhandeln
- Trauer
- Akzeptanz
Wirkungsvoll sind so genannte Ankersätze, ein einziger Satz, ein Glaubenssatz oder Prinzipiensatz, der verdeutlicht, dass das Nein unverhandelbar ist: „Das funktioniert bei mir nicht“ oder besser noch: „Das widerspricht meinen Werten“. Letzteres Beispiel nimmt auf ein vorangehendes Ja, auf die Wertedebatte, konkreten Bezug und leitet das Nein von Höherem, von Wertsetzungen, ab.
Wird das Nein trotz alledem nicht respektiert, ist der Schritt in die Konfliktführung gesetzt. Diese beginnt mit Suggestivfragen: „Ist Ihnen bewusst, was passiert, falls Sie bei diesem Standpunkt bleiben?“ bis hin zu Warnungen. Während eine Drohung einer Diktion entspricht, entspricht eine Warnung einer Erziehung: Es handelt sich um eine objektive Vorhersage von Konsequenzen, die aus einem bestimmten Verhalten resultieren. Das Ausformulieren von logischen Konsequenzen skizziert den Weg vor, erzieht aber auch dazu, diesen Weg zu verhindern.
Letztlich ist dann, wenn alles andere scheitert, Plan B durchzusetzen. Wer einen Plan B in den Raum stellt, diesen aber dann nicht durchzieht, verliert ungemein an Autorität.
Prozesstechnisch ist infolgedessen, erstens, von einem anfänglichwn Ja auszugehen, also vom Erläutern der eigenen Interessen, aber auch der (potenziellen) gemeinsamen Interessen. Werde, der Du bist und werde Dir deiner Werte bewusst. Das einleitende JA ist eine Werteaussage. Das NEIN entwickelt sich, zweitens, aus dem JA heraus, aus Prinzipien, die nicht verhandelbar sind: Weil bestimmte Werte wichtig ist, ist resolut gegen das und jenes vorzugeheny Ganz am Ende steht wiederum, drittens, der Vorschlag eines JA, dennoch einer Einigung unter dem Standpunkt, dass ein Nein als Ausstiegsszenario jederzeit möglich ist.
Es ist wiederum Sun Tsu, der empfiehlt, „seinem Gegner eine goldene Brücke zu bauen, über die er sich zurückzieht“. Wer seinen Frieden auf die Schande des Gegenübers baut, baut gewöhnlich keinen nachhaltigen Frieden. Ury wandelt den Leitsatz zu einer goldenen Brücke ab, nicht zum Rückzug, sondern zu einer Einigung. Es geht dabei nicht um Kompromisse beim Wesentlichen, also bei jenen Wertsetzungen, die auch die BATNA definiert haben, sondern um Interessen und Kompromisse.
Lösungen müssen, insofern es eine Einigung geben soll, dahingehend formuliert werden, dass das Gegenüber sich bei seinen eigenen Partnern durchsetzt, darüber hinaus nicht sein Gesicht verliert, sondern glaubt, auf der Seite der Sieger zu stehen.
Die Meisterleistung besteht darin, Nein zu sagen, aber trotzdem ein Ja zu erzielen.
Literatur:
[1] Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton: “Das Harvard-Konzept: Die unschlagbare Methode für beste Verhandlungsergebnisse“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018
[2] William Ury: „Die Kunst, Nein zu sagen Die unschlagbare Methode für schwierige Verhandlungen – Vom Autor des Harvard-Konzepts“, Penguin Verlag, München 2023


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