Wer sich mit der Zukunft unseres Landes befassen will, kommt kaum an der Wohnbaupolitik vorbei. Anders gesagt: Wer sich nicht ernsthaft, fundiert und ehrlich mit der Wohnbaupolitik dieses Landes befasst, kann es kaum gut mit diesem Land meinen. Heimat kann nur dann entstehen, wenn die Menschen wieder stärker an unser Land gebunden werden. Eine bodenständige und gemeinnützige Wohnbaupolitik ist das Um und Auf.
Wohnbaupreise sind – anders als im realen Sozialismus mit allfälligen Kollateralschäden – eine Frage der Marktbedingungen.
Ein Preis wird auf einem Markt durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Zu diesen zentralen Marktgesetzen gibt es auch im Bereich Wohnen, ob Grundrecht oder nicht, kaum eine Alternative. Das Wohnangebot exzessiv nach oben treiben könnte rein theoretisch eine Lösung sein. Nur spielt sich dieser Ansatz weder mit einer schleppenden Bürokratie und Raumordnung, noch mit dem Erwerb der dafür notwendigen Baugründe. Und letztlich kontrastiert im Fall Südtirol der Landschaftsschutz die exzessive Angebotspolitik.
Klar ist, dass es moderat mehr Ausweisungen von Bauland geben muss. Nur können diese Ausweisungen nicht willkürlich stattfinden. Sie müssen zielgerichtet sein, andernfalls wird zwar das Gesamtangebot erhöht, aber – im Sinne des freien Marktes – nicht zwangsläufig jenes leistbare Segment, das den Einheimischen zugute kommt. Investiert wird ja vorrangig dort, wo die Rendite am höchsten ist.
Aufseiten der Nachfrage wird es kaum Möglichkeiten geben, eine solche wirksam zu dämpfen. Erstens ist Südtirol ein begehrtes Land, die Dolomiten sind weltweit ein Aushängeschild, der Luxustourismus breitet sich landesweit aus und mit ihm auch das Begehren, sich in Südtirol einen Zweitwohnsitz zu verschaffen. Zweitens ist unsere Gesellschaft deutlich individualisierter als noch vor wenigen Jahrzehnten. Jeder von uns beansprucht fortlaufend mehr Wohnraum. Die 110-Quadratmeter-Wohnung für einen Singlehaushalt ist keine Seltenheit mehr. Darüber hinaus ist unsere Gesellschaft – die Individualisierung hat auch hier weitreichende Konsequenzen – deutlich flexibler, was nicht nur positiv zu bewerten ist.
Man könnte in diesem Zusammenhang auch und vor allem von einer Fragmentierung unserer Gesellschaft sprechen. Die Halbwertszeit unserer menschlichen Beziehungen nimmt laufend ab. Der Egoismus steht im Aufwind. Alle wollen möglichst ihren eigenen Weg und ohne Rücksicht auf andere und auf das Gemeinschaftliche gehen. Trennungen und Scheidungen gehören genauso wie allfällige Intrigen, Neiddebatten und Streitigkeiten zur leidigen Tagesordnung. Patchwork-Familien sind das neue „Normal“. Was sich durch alle sozialen Bereiche zieht, schlägt sich auch und vor allem auf das Wohnen nieder. Aus zunehmend flexibleren Lebensentwürfen wird deutlich mehr Wohnraum für alle notwendig.
Andererseits bewegt sich die Welt um Südtirol herum. Zwar ist es in Italien, das stark durch Eigentumswohnungen gekennzeichnet ist, durchaus üblich, dass junge Erwachsene bis zu einem Alter von 34 Jahren noch zu 50 Prozent bei den Eltern wohnen. Andernorts ist der Wohnmarkt aber deutlich flexibler. Ausgezogen wird mit Anfang 20, weil die dafür notwendigen Mietwohnungen vorhanden und leistbar sind. Und Südtirol will halt nicht Italien sein, sondern orientiert sich naturgemäß nach dem deutschen Ausland.
Wer hingegen als Student erst einmal an das selbständige Wohnen gewöhnt ist, wird nach dem Studium kaum eine große Freude damit haben, wieder im „Hotel Mama“ einzuziehen, so wohltuend das eine Zeit lang auch sein kann. Was vielleicht doch noch gezwungenermaßen zum Hotel Mama motiviert, sind die extrem niedrige Anfangsgehälter, auch für Akademiker, in Südtirol, bei extrem hohen Wohn- und Lebenskosten. Wer keine Wohnung erbt, hat erst einmal größere Anlaufschwierigkeiten und die Elternwohnung ist alternativlos.
Dass in Südtirol rund 75 Prozent der Wohnungen Eigentumswohnungen sind, ist zweifelsohne ein Erfolg, stellt Privateigentum doch eine wesentliche Voraussetzung für die individuelle Selbstentfaltung dar. Im Umkehrschluss bedeutet der hohe Anteil an Eigentumswohnungen aber auch, dass die existierenden Mietwohnungen erstens Mangelware sind und zweitens teuer. Auch und vor allem, weil die (missbräuchliche) touristische Vermietung lukrativer ist als die Vermietung an Einheimische.
Wie man das Problem löst, ist eine interessante Frage. Erstens, hat man sich in Südtirol darauf geeinigt, das neu ausgewiesene Bauland zu 100 Prozent den so genannten „Ansässigen“ zu reservieren. Mit diesem Begriff sind diejenigen gemeint, die in Südtirol seit mindestens 5 Jahren wohnen, über einen Arbeitsvertrag oder einen Studienplatz verfügen. Man könnte mehr oder weniger von Eiheimischen sprechen. Es dürfte aber bekannt sein, dass die „Ansässigen“ juristisch einfacher sind. Die „Wohnungen für Ansässige“ sind Wohnungen für den Grundwohnbedarf, in die der meldeamtliche Wohnsitz zwingend zu verlegen ist. Dadurch werden Zweitwohnsitze kontrastiert, der Leerstand sowie die touristische Vermietung von Wohnungen, die für den Grundwohnbedarf zweckgebunden sind, werden mit exorbitanten Geldstrafen und Kontrollen belegt. Das so genannte „Leerstandsmanagement“ wird Gesetz: Für Ansässige zweckgebundene Wohnungen „müssen“ vermietet werden.
Zweifelsfrei handelt es sich beim „Wohnen für Ansässige“ um einen ordnungspolitischen Eingriff in den Markt, der legitim ist. Rund drei Viertel des Bestandes an Immobilien sind in Südtirol frei verfügbar, können folglich ohne Weiteres an Provinzfremde veräußert werden. Dieser Anteil wird aufgrund auslaufender Zweckbindungen weiterhin wachsen, gerade in Orten mit großem touristischen Andrang. Dass es zu diesen Phänomenen ein Korrektiv braucht, das nicht nur im Bereich der Ankündigungen, sondern im Bereich der wirksamen Maßnahmen angesiedelt sein muss, ist wesentlich.
Es stimmt ja auch, dass Bauland in Südtirol durch die Gemeinden äußerst restriktiv ausgewiesen wird und in den allermeisten Fällen aus einem konkreten Bedarf der Einheimischen resultiert. Dass Gemeinden nach Lust und Laune Bauland ausweisen würden, spielt sich in Südtirol nicht. Die übliche, aber auch durchsichtige Prophezeiung, dass durch ordnungspolitische Reglementierungen gar nicht mehr gebaut werden würde, wird sich kaum bewahrheiten, solange die Nachfrage dermaßen hoch ist.
Freilich, die Haltung muss sich zuweilen ändern und letztlich werden auch die erzielbaren Immobilienpreise nach unten zu korrigieren sein. Es wird sich auch eine neue Bodenständigkeit einstellen müssen. Wohnraum für Einheimische zu schaffen, soll und muss eine reizvolle Aufgabe sein. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Schaffen von Heimat und von Heimaten. Jeder, der sich daran beteiligt, wird ein gutes Geld verdienen können. Es wird aber auch stärker um den Wettbewerb um die besseren Ideen und um die effizientere Bauausführung gehen müssen.
Zweitens, und das ist der eigentliche Kernpunkt: Südtirol benötigt deutlich mehr Mietwohnungen, kann andernfalls der starken Abwanderung von Einheimischen aus Südtirol kaum etwas entgegensetzen. Wir sprechen immerhin von rund 1.000 Südtirolern pro Jahr, die ins Ausland ziehen. Es ist absurd, zu glauben, diesen Bedarf könne man mit Sozialwohnungen decken, die – wie es der Name schon sagt – den Zweck haben, ein sozial schwächeres Segment zu unterstützen, das klarerweise nicht flächendeckend größer werden soll. Als Illusion hat es sich ebenso herausgestellt, zu glauben, dass Mietbeihilfen an die Mieter die hohen Mieten eindämmen könnten. Diese wandern unmittelbar zu den Vermietern und erhöhen die Mietgebühren, die nicht selten auch noch in Teilen „schwarz“ kassiert werden.
Befasst man sich allgemein mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen, so drängen sich zwei gänzlich unterschiedliche Herangehensweisen auf. Zum einen, eine marktgläubige Herangehensweise, die davon ausgeht, dass der Markt alles von allein lösen würde. Das Problem ist an und für sich, dass der Wohnmarkt kein „idealer“ Markt, sondern im Wesentlichen unvollkommen ist und bleibt. Marktversagen ist folglich in Bezug auf Immobilien, die nicht selten kleinstrukturiert und spekulativ sind, eher die Regel als die Ausnahme. Letztlich kommt es bei marktgläubigen Ansätzen in regelmäßigen Abständen zu Marktkonzentrationen und zum Erstarken von Lobbys und Konzernen, die die Macht des ökonomisch Stärkeren durchsetzen.
Wer sich hingegen für eine sozialistische Herangehensweise entscheidet und unterstellt, der Sozialstaat löse alles ganz von allein, hat sich noch nie ernsthaft mit den Problemen befasst, mit denen die öffentliche Verwaltung zu kämpfen hat, ganz zu schweigen von den Phänomenen, die sich in allen realsozialistischen Systemen einstellen, von Ineffizienz bis hin zu Machtmissbrauch. Gerade mit Blick auf den Sozialstaat stellt sich ohnehin zunehmend die Frage, woher denn das dafür notwendige Beamtentum kommen soll. Was im marktgläubigen Ansatz die Lobbys und Konzerne sind, ist im sozialistischen Ansatz ein Beamtenadel, der in keinem Zusammenhang mehr mit der Lebenswirklichkeit steht, sondern zunehmend ein bürokratisches Eigenleben im eigenen Kosmos führt.
Zwischen diesen beiden Weltanschauungen und Extremen gibt es dritte Wege. Entgegen einem überladenen Staat im sozialistischen Sinne sowie einem abwesenden Staat in libertärer Intention, sollte man sinnvollerweise von einem „muskulösen Staat“ (Benedikt Kaiser) sprechen, von einem solchen, das in jenen Bereichen effektiv und wirksam – und zuweilen auch hart – eingreift, wo Maßnahmen gesellschaftlich notwendig sind. Ein derartiges Staatswesen maßt sich weder an, die Gesellschaft zu verstaatlichen, noch ein Erfüllungsgehilfe ökonomischer Einzelinteressen zu sein, sondern nimmt im Sinne von Carl Schmitt einen explizit politischen Standpunkt ein. Ein Staat, der untermauert: Ich handle, also bin ich.
Doch genug der staatsphilosophischen und staatspolitischen Schwärmerei.
Eine gemeinnützige Wohnbaupolitik, die eine starke Stellung zwischen sozialem und privatem Wohnbau einnimmt, entspricht einem sinnvollen dritten Weg, der faktisch alternativlos ist. Die funktionierenden Alternativen gibt es nun einmal nicht. Strukturiert in gemeinnützigen Körperschaften soll diese neue Wohnbaupolitik zwar privat organisiert und abgewickelt werden, weil sich dadurch zahlreiche Effizienzvorteile ergeben, aber einem sozialen Zweck nachkommen, den die Politik etabliert und sanktioniert. Dadurch wird – auch in Südtirol – ein neues Kapital aufgeschlagen werden.


Hinterlasse einen Kommentar