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Bauen mit Naturgefahren: Schutz gegen Muren, Steinschlag und Felssturz

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In Österreich befasst sich die technische Regel ONR 24801 mit „Schutzbauwerken der Wildbachverbauung: Statischen und dynamischen Einwirkungen“ und gilt für die Bemessung neuer Schutzbauwerke.

ONR 24802 befasst sich mit der „Projektierung, Bemessung und konstruktiven Durchbildung“. Ausdrücklich ausgenommen sind Schutzbauwerke, die primär dem Hochwasserrückhalt dienen.

Naturprozesse und Massenbewegungen sind in ein Prozessmodell und ein Einwirkungsmodell zu unterscheiden. Während das Prozessmodell insbesondere Angelegenheit des Geologen oder Hydrogeologen ist, ist das Einwirkungsmodell die Angelegenheit des planenden Bauingenieurs. Ein interdisziplinärer Ansatz ist notwendig, um zu verhindern, dass sich jeder auf sein Ressort zurückzieht und Konflikte rund um die Schnittstelle entstehen.

Grundsätzlich werden in der ONR 24801 Druckmodelle für hydro-statische und hydro-dynamische Einwirkungen definiert. Anzusetzen sind ein dynamischer Murdruck, ein statischer Murdruck, eine Murauflast (vertikal wirkend) sowie eine Ersatzkraft für Einzelkomponenten, etwa ein Baumstamm oder ein großer Block.

Interessant sind die Prozessparameter:

  • Hochwasser: Dichte 1000 kg/m³; Geschwindigkeiten gemäß hydraulischem Modell unter Berücksichtigung von ONR 24800
  • Fluviatiler Feststofftransport: Dichte 1000 bis 1300 kg/m³; Geschwindigkeiten gemäß hydraulischem Modell unter Berücksichtigung von ONR 24800
  • Murartiger Feststofftransport: Dichte 1300 bis 1700 kg/m³; Prozessabhängige mittlere Geschwindigkeit 3 bis 5 m/s
  • Muren (steinig): Dichte 1700 bis 2000 kg/m³; Prozessabhängige mittlere Geschwindigkeit 3 bis 6 m/s
  • Muren (schlammig): Dichte 2000 bis 2300 kg/m³; Prozessabhängige mittlere Geschwindigkeit 5 bis 10 m/s

Für einen murartigen Verlagerungsprozess wird eine statische Ersatzkraft von 1000 kN bei einer Anprallfläche von 0,7 x 0,7 m angesetzt, die für alle Geschwindigkeiten gilt.

Für einen fluviatilen Verlagerungsprozess (mit mitgeführtem Baumstamm) wird eine statische Ersatzkraft von 350 kN bei Geschwindigkeiten von 4 m/s und 500 kN bei Geschwindigkeiten von 6 m/s bei einer Anprallfläche von 0,5 x 0,5 m angesetzt.

Gerade im unwegsamen Gelände zahlt es sich aus, im Bereich der Planung und Konstruktion von Schutzeinrichtungen gegen Naturgefahren, maßgeschneiderte Lösungen zu finden, die den Gegebenheiten vor Ort entsprechen und den Materialtransport auf ein Mindestmaß reduzieren.

Die technische Regel ONR 24810 befasst sich mit „Technischer Steinschlagschutz – Begriffe, Einwirkungen, Bemessung und konstruktive Durchbildung, Überwachung und Instandhaltung“.

Bei der Festlegung der Bemessungsblockgröße sind die Schadensfolgeklasse (CC), die Ereignisfrequenz und die Anzahl der vorliegenden potentiellen Sturzblöcke von Bedeutung, wobei Schadensfolgeklassen CC2 und CC3 statistische Erfassungen verlangen. Daraus folgend werden entsprechende Fraktile der Bemessungsblockgröße ermittelt.

Nach Bestimmung des Bemessungsblockes kann mit Steinschlagsimulationsprogrammen die charakteristische Einwirkungsenergieverteilung errechnet werden. Gängige Programme sind RocFall2 (2D), RocFall3 (3D) sowie Programme der „International Association for Natural Hazard Risk Management“ (ecorisQ), nämlich „Rockyfor3D“

Der charakteristische Wert der Sprunghöhe (hE,k) des Bemessungsblockes wird aus Steinschlagsimulationen ermittelt und entspricht der Normale zwischen Geländeoberfläche und Oberkante des Bemessungsblockes. Der Nachweis der Tragfähigkeit ist unter Ansetzung des Trefferwinkels zu führen.

Anwendungsbereiche von Schutzsystemen (Link)

Werden Steinschlagschutzdämme ausgeführt, stehen die folgenden Varianten zur Verfügung:

  • Reine Erddämme
  • Erddämme mit einer Steinschlichtung (Erddamm mit Ergänzungen)
  • Erddämme mit Bewehrung aus Geokunststoffen zur Sicherung der Böschungsneigung bergseitig und eventuell talseitig
  • Schlanke, mit Geokunststoff bewehrte Erddämme, mit einer größeren Querverteilung (6-7-facher Blockdurchmesser)
  • Schlanke, mit Geokunststoff bewehrte Erddämme, mit einer größeren Querverteilung (8-9-facher Blockdurchmesser)
  • Sondertypen und Kombinationen

Foto: Steinschlag Töll, Ressort Mobilität

Literatur:

[1] Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen und Naturgefahren – Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer, Wien New York 2011

[2] Robert Hoffmann & Michael Mölk: „Bemessungsvorschlag für Steinschlagschutzdämme“, Geotechnik 35, 01/2012

2 Antworten zu „Bauen mit Naturgefahren: Schutz gegen Muren, Steinschlag und Felssturz”.

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