Die anstehende freiheitliche Regierungsbeteiligung in Österreich generiert allseits eine, auf Südtirol ausgerichtete, Aufmerksamkeit. Wird es einen Bundeskanzler Herbert Kickl geben und wenn ja, was bedeutet die neue österreichische Regierung für Südtirol und in der Folge für die österreichisch-italienischen Beziehungen?
Positiv ist auf alle Fälle, dass Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ein eventueller Bundeskanzler Herbert Kickl die gleiche Sprache sprechen, sich auf ähnliche Werte beziehen und gemeinsame europäische Angelegenheiten verfolgen, wenngleich es im Fall Südtirol auf alle Fälle Divergenzen geben wird. Bezogen auf Südtirol ergibt sich die Hoffnung auf eine politische Entspannung und auf entsprechende Weichenstellungen für eine konstruktive Weiterentwicklung der Südtirol-Autonomie.
In diesem Sinne bleibt festzuhalten, dass die politischen Verhandlungen zur „Wiederherstellung“ der Südtirol-Autonomie fortgeschritten sind, auf der anderen Seite aber auch Verhandlungen über einen Ausbau der Südtirol-Autonomie laufen. In Rahmen von Verhandlungen versucht jede Seite, den Preis möglichst hoch anzusetzen. Was schlussendlich heraus kommt, wird sich zeigen. Eine österreichische Außenpolitik mit Weitblick kann hier Weichenstellungen schaffen und als Schutzmacht auftreten.
Jörg Haider ging in dem 1993 erschienene Büchlein „Europa der Regionen“ auf die Föderalismus-Debatte ein und bezog Stellung zu Südtirol.
Ich gehe davon aus, dass in Südtirol die Frage des Selbstbestimmungsrechtes weitgehend unbestritten ist und dass die Schutzmachtfunktion Österreichs darin besteht, sicherzustellen, dass es den Südtirolern anheimgestellt ist, das Selbstbestimmungsrecht zu aktivieren oder zeitlich noch aufzuschieben. Das Paket kann nur als ein weiterer Schritt der dauerhaften Absicherung der Autonomie der Südtiroler gesehen werden. Wenn es funktioniert, kann es sein, dass die Südtiroler auf das Selbstbestimmungsrecht auf Dauer oder auf Zeit verzichten, es kann aber auch sein, dass es einen Zeitpunkt geben wird, wo sie den Versuch machen, das Selbstbestimmungsrecht im Sinne einer hundertprozentigen Autonomie mit Bildung einer freistaatsähnlichen Organisation zu aktualisieren.
Jörg Haider untermauerte, dass Autonomie und Freistaat keinen Widerspruch darstellen würden.
Insgesamt ist 1993 niemand so naiv, zu glauben, ein „Europa der Regionen“ würde das „Europa der Staaten“ ersetzen, was auch in den kommenden 200 Jahren realistisch kaum passieren wird. Stattdessen geht es darum, dass – wie Andreas Mölzer festhält – der politische Regionalismus deutlicher ausgeprägt wird und sich ein „Europa der Heimaten“ bildet.
Entsprechend hält auch Jörg Haider im europäischen Kontext fest, dass Nationalstaaten für bestimmte Herausforderungen „zu groß“ sind – hier bilden die Regionen die bessere Alternative – und für bestimmte Herausforderungen „zu klein“, woraus sich die Notwendigkeit eines Europa ergibt, das seinen eigentlichen Aufgaben nachkommt. Dass es Nationalstaaten allerdings in absehbarer Zeit nicht mehr geben würde, ist politische Naivität. Nicht weniger naiv wäre es zu glauben, dass Regionen die Nationalstaaten ersetzen werden. Realistischer ist, dass Konzerne de facto die Staaten ersetzen; Tendenzen, die sich heute längst abzeichnen und die energisch zu verhindern sind.
Zu Wort kommt im Büchlein neben Christian Waldner auch der kämpferische Umberto Bossi, der politischen Föderalismus und gleich mehrere italienische Republiken fordert. Umberto Bossi pflegte 1996 noch intensiven Kontakt zu Südtirol. Zum „Independence Day“ in Venedig pilgerten 1996 noch allerhand Südtiroler Politiker aller Parteien.
Literatur:
[1] Jürgen Hatzenbichler & Andreas Mölzer: „Europa der Regionen – Umberto Bossi, Jože Pučnik, Jörg Haider u.a.“, Leopold Stocker Verlag, Graz 1993


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