Demanega

#ingenieurbaukultur

Leo Casagrande (1903 – 1990)

Published by

on

Während Arthur Casagrandes Wirken zur Etablierung der modernen Geotechnik unbestritten ist, steht sein – um ein Jahr jüngerer – Bruder Leo Casagrande in dessen Schatten. Zu Unrecht, Leo Casagrandes Lebenslauf ist ähnlich spektakulär.

Leo Casagrande wurde 1903 in Haidenschaft (Görz, Österreich) geboren. Haidenschaft kam als „Aidussina“ nach dem Ersten Weltkrieg zu Italien und nach dem Zweiten Weltkrieg als Ajdovščina zu Slowenien.

Casagrande studierte Bauingenierwesen an der Technischen Hochschule Wien, diplomierte in Wasserbau und folgte nach 2,5 Jahren als Bauingenieur in Augsburg 1930 seinem Bruder Arthur Casagrande in die Vereinigten Staaten an das Massachusetts Institute of Technology, wo Karl Terzaghi tätig war.

Im Jahr 1931 nahm Karl Terzaghi das Angebot der Technischen Hochschule in Wien an, deren erster Professor für das neue Gebiet der Bodenmechanik zu werden. Während Arthur Casagrande 1932 nach Harvard ging, übersiedelte Leo Casagrande mit Karl Terzaghi nach Wien. Es folgte 1933 die Promotion über Sickerströme von Grundwasser unter Dämmen an der TH Wien.

Leo Casagrande wechselte anschließend an die Technische Hochschule Berlin, begründete dort das Institut für Bodenmechanik. 1933 und 1934 wirkte Leo Casagrande an der Deutschen Gesellschaft für Bodenmechanik (Degebo) mit. Zu den Gründern der Degebo gehörte Terzaghi. Die Degebo befasste sich mit Gründungsfragen für Großbauten auf dem Berliner Sandboden sowie mit Fragen nach der Baugrunderkundung, der Baugrundverbesserung sowie dem Dammbau im Rahmen des Autobahnbaus. Die Degebo ging nach dem Zweiten Weltkrieg im Fachgebiet Grundbau und Bodenmechanik des Instituts für Bauingenieurwesen der TU Berlin auf.

Weiters leitete Leo Casagrande von 1934 bis 1945 die Abteilung Bodenmechanik beim Generalinspektorat der deutschen Autobahnen und wirkte in der „Organisation Todt“, die sich ab 1938 mit baulichen Angelegenheiten befasste und auf den Straßenbauingenieur Fritz Todt zurückzuführen ist. Casagrande war Chefingenieur in der Zentrale der Organisation Todt und leitete zahlreiche Referate, etwa Festungsbau, Industriebau und Straßenbau. Daraus folgend wird Casagrande mit der so genannten „Wehrgeologie“ in Verbindung gebracht. Die deutsche Wehrgeologie im Zweiten Weltkrieg war eine hochspezialisierte Disziplin, die systematisch in militärische Planungen integriert wurde. Geologen und Ingenieure arbeiteten eng mit der Wehrmacht und militärischen Stellen zusammen, um geologische Erkenntnisse für strategische und operative Zwecke zu nutzen.

Demgegenüber war Arthur Casagrande stark in der US-amerikanischen Wehrgeologie involviert. Ab Kriegsbeginn lehrte Leo Casagrande an der TH Braunschweig und wurde 1940 Honorarprofessor.

Über zehn Jahre lang hatte Leo Casagrande zahlreiche Probleme im Bereich des Tiefbaus, des Erdbaus und der Bodenstabilisierung zu lösen und entwickelte die Prinzipien und die Praxis der elektroosmotischen Entwässerung und Stabilisierung von Böden. Casagrande wurde schnell als einer der kenntnisreichsten Bodenmechaniker Europas anerkannt.

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs reisten alliierte Ingenieur- und Wissenschaftlerteams nach Europa, um die neuesten in Deutschland angewandten Innovationen zu erkunden und zu untersuchen. Zu den herausragenden Männern, die auf diese Weise angeworben wurden, gehörten Wernher von Braun und Wilhelm Flügge. Leo Casagrande wurde von der britischen Regierung eingeladen, an der Building Research Station in Watford mitzuarbeiten, wo er von 1946 bis 1950 wirkte.

Abhandlungen zu Themen wie Bodenprobenentnahme, Torfentfernung durch Sprengung als Stabilisierungsmaßnahme, die Bedeutung der Entwässerung sowie die Setzung von Brücken und anderen Bauwerken, mit denen sich Leo Casagrande intensiv befasste, genossen internationale Aufmerksamkeit. Die Anwendung der Elektroosmose zur Stabilisierung von Aushubböschungen in besonders empfindlichen Tonen in Norwegen war ein bemerkenswerter Erfolg, der Aufsehen erregte.

Im Rahmen der Elektroosmose wird durch zwei Elektorden mit Gleichstrom ein Potentialgefäller erzeugt, wodurch sich ein Wasserfluss in Richtung Kathode einstellt. Dabei basiert das Prinzip auf möglichst geringen Porenräumen, wie sie in Tonen gegeben sind. Infolgedessen stellt die Elektroosmose ein praktikables Verfahren zur Entwässerung von bindigen Böden dar.

Inzwischen war Leos Bruder, Arthur Casagrande, eine feste Größe in Harvard und bewegte Leo 1950 zur Übersiedlung in die Vereinigten Staaten, wo er vorerst Gastdozent und ab 1956 Professor in Harvard wurde.

Die praktische Beratungstätigkeit von Leo Casagrande umfasste eine Vielzahl von Großprojekten: Fundamente für konventionelle und nukleare Kraftwerke sowie für Gewerbe- und Industriegebäude, Dämme für Wasserkraftwerke, Absetzbecken und zahlreiche Hangstabilisierungsaufgaben. Die Elektroosmose spielte in seiner Praxis eine eminent wichtige Rolle.

Hinzu kamen Untersuchungen hinsichtlich ihrer Eignung für die Stabilisierung des eingestürzten, verwitterten Vulkanbodens im Wilson Tunnel in Honolulu, die Stabilisierung der empfindlichen Böden des Turnagain-Rutschgebiets nach dem Karfreitagsbeben 1964 in Anchorage und ein Konzept zur Stabilisierung der Neigung des Schiefen Turms von Pisa.

1969 erfolgte die Gründung eines Ingenieurbüros durch Arthur, Leo Casagrande mit Sohn Dirk Casagrande.

Literatur:

[1] Anton Tedesko, Ralph B. Peck: „Leo Casagrande 1903 – 1990“, National Academy of Engineering, Washington D.C. 1984

[2] Hermann Häusler: „Von der Wehrgeologie in Norwegen 1940-45 zum „Salzburger Kreis“ der Geomechanik“, Berichte der Geologischen Bundesanstalt Band 113, Wien 2015

Eine Antwort zu „Leo Casagrande (1903 – 1990)”.

  1. Avatar von Quickton, Quicksand, Quickerde: Ernst Ackermann und die Fließerde – Demanega

    […] war Ackermann Chefgeologe der „Organisation Todt“ in Norwegen und infolgedessen in der Wehrgeologie […]

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..