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Buchbesprechung: Franz-Stefan Gady: „Die Rückkehr des Krieges“

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Kriegsereignisse werfen uns, wie auch andere Krisen, immer wieder aus der Bahn und rufen berechtigte Ängste in uns wach. Nun kann man – wie dies es Europäer teilweise tun – aufgrund der traumatischen Erfahrungen im 20. Jahrhundert kriegerische Auseinandersetzungen grundsätzlich ächten und – im Sinne von Jürgen Habermas – eine „Weltinnenpolitik“ anstreben, bei der sich in einer illusorischen Welt demokratischer Rechtsstaaten Frieden auf Vertragswege durch Internationalisierung abzeichnet.

Nur: Was, wenn die Welt da draußen, außerhalb Europas, eigentlich anderes im Schilde führt?

Franz-Stefan Gady geht dieser Fragestellung nach und ordnet sich in die neorealistische Strömung der Außenpolitik ein. Staaten haben grundsätzlich keine – oder nicht nur – „Freunde“, sondern verfolgen mitunter konkurrierende Interessen. Die Vorbereitung – und Zurüstung – zum Krieg hat nicht (nur) kriegstreiberische Hintergründe, sondern dient der Verteidigung im Ernstfall.

In diesem Sinne ist der Neorealismus einerseits romantisierenden und idealistischen Weltanschauungen, andererseits aber auch dem „parasitären Pazifismus“ (Franz-Stefan Gady) entgegen gerichtet, der darauf spekuliert, dass im Ernstfall andere Mächte unterstützend einspringen werden, um den eigenen Frieden zu retten. Das postkriegerische und postheroische Weltbild ist mit Blick auf die reale Welt letzten Endes fatal.

Souveränität bedeutet in besonderem Maße, für seine eigene Sicherheit verantwortlich zu sein, diese weder zu leugnen oder abzuschieben und schon gar nicht romantisierend wegzulabern. Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wird in einer zunehmend multilateralen Welt wesentlich. Den Weltpolizisten wird es nicht mehr geben.

Gady deklariert Krieg in Zukunft global, aber auch mit Blick auf Europa als „wahrscheinlicher“ und bezieht sich auf die „permanente Natur des Krieges“.

Wesentlich ist, dass die Einsatzbereitschaft von Streitkräften zum Zweck der militärischen Abschreckung, aber auch zur Friedenssicherung „glaubhaft“ gewährleistet sein muss. Zu dieser Glaubhaftigkeit gehört, aus Ankündigungen Ernst zu machen, da andernfalls Drohgebärden ihr Abschreckungspotential verlieren. Freilich – und das ist essenziell – muss diese Verteidigungspolitik heute europäisch aufgefasst werden. Und Eskalationsspiralen sind zu vermeiden.

Demgemäß hält Gady fest: „Wir müssen uns dem Phänomen Krieg wieder stellen und wissen, wie wir ihn im Ernstfall so führen können, dass wir eine Chance haben, ihn zu gewinnen“. Fundamental ist, dass Außenpolitik und Verteidigungspolitik eine integrative Einheit bilden.

Wozu Krieg, ist eine interessante Fragestellung. Rational betrachtet ist Krieg meistens sinnlos. Das verleitet westliche Analysten dazu, einen kriegerischen Übergriff Russlands, mit Blick auf die ökonomischen Konsequenzen für Russland, für sehr unwahrscheinlich zu halten – und sie irrten sich.

Bezugnehmend auf Thukydides nennt Gady drei zentrale Motive für Krieg:

  • Furcht als persönlich empfundene Bedrohung, gepaart mit Paranoia; dazu gehört auch die Angst vor verminderten Handlungsoptionen (Einfluss) oder Ansehen
  • Ehre als persönlich empfundener Anspruch auf Achtung, infolgedessen gehen damit Stolz und Hochmut einher, die Verlustangst von Ansehen und Einfluss verläuft parallel dazu
  • Letztlich Interessen, die allerdings zumeist keine primären Auslöser für Krieg darstellen, sondern sich als wirtschaftliche, politische oder militärische Interessen mit den beiden erstgenannten Emotionen Furcht und Stolz verbinden.

Wer ausschließlich Interessen sieht, überschätzt (oder unterschätzt) die Natur des Menschen, die keine ökonomischen Maschinen sind. Kalkulierbare Interessen wären verhandlungstechnisch zumeist leicht gegenseitig aufzurechnen. Dominierend sind jedoch vielfach Furcht und Stolz, sodass rationale Vorteile ausgeschlagen und Nachteile in Kauf genommen werden.

Aus Emotionen wie Furcht und Stolz ergibt sich die fatalistische Hybris.

Selbstverständlich steht im Zentrum dieses Denkens die defensive Sichtweise von militärischer Macht als Abschreckungpotential.

Zu defensive Militärheorien werden heute durch die Überschätzung moderner Technologie, gerade mit Blick auf beschleunigte Aufklärungstechnologie, Hochpräzisionswaffen und Künstlicher Intelligenz, zur Gefahrenabwehr genährt. Im Sinne eines Technologieotimismus setzt sich zudem die Illusion durch, kriegerische Auseinandersetzungen könnten weitgehend ohne Opfer und sehr schnell vonstatten gehen. Asymmetrische Konfliktführungen und Abnutzungsstrategien setzen hochentwickelte Technologie allerdings vielfach außer Kraft.

Gerade maschinengestützte Technologie wirft die Frage nach der Verantwortlichkeit bei Fehlentscheidungen auf, insofern Vorgänge falsch gewertet werden. Grundsätzlich nimmt die Unübersichtlichkeit und Unberechenbarkeit sowohl in Friedenszeiten („Nebel des Friedens“) als auch in Kriegszeiten („Nebel des Krieges“) derzeit drastisch zu. Mit Blick auf maschinengestützte Technologie stellt sich zudem auch die Frage, inwiefern durch aggressive Kriegsparteien Fehleinschätzungen durch schmutzige Kriegsführung bewusst in Kauf genommen werden.

Defensive Militärtheorien haben das Problem, dass derjenige, der die erste Aktion setzt (also die angreifende Seite), häufig im Vorteil ist und dass Aggressionen trotz moderner Aufklärungstechnologie häufig überraschend fallen. Jede Technologie, die einem bestimmten Ziel nutzt, bewegt die Gegenseite ja zur Entwicklung von Gegenstrategien und zum Technologieaufschluss.

Vielfach, gerade im Bereich von Cyberangriffen, werden aktive Verteidigungsstrategien gefahren (Vorwärtsverteidigung), die nicht zuletzt im Fußball das Sprichwort begründen, dass „Angriff die beste Verteidigung“ sei. Alternativ ist der Begriff der Offensivverteidigung naheliegend. Folglich werden präventiv militärische Schritte auf der Gegenseite gesetzt, die im Falle eines Angriffes in den Gegenangriff überleiten sollen. Die Unterscheidbarkeit zwischen Frieden und Krieg ist folglich kompliziert und die Grauzone eklatant.

Grundsätzlich gilt: Umso wirkungsvoller der Gegenangriff, umso schneller erfolgt die Abschreckung.

Krieg ist auf jeden Fall die „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz), hat folglich einen politischen Hintergrund, womit ein grundlegender Unterschied zu Naturgefahren besteht. Kriegerische Auseinandersetzung in die Nähe von Naturgefahren zu stellen – nicht, was die Auswirkung, sondern die Ursachen betrifft -, unterschlägt die politische Verantwortlichkeit.-

Es sind nicht die Umstände, die einen Krieg bewirken und es sind vielfach auch keine „Automatismen“, die greifen. Der Eskalation liegt eine Bereitschaft zugrunde, gegebene Konflikte durch kriegerische Auseinandersetzungen, also mit Gewalt statt durch Dialog, zu „lösen“ und zu eskalieren. Die Motive liegen im Emotionalen und im Bereich der Interessen.

Im militärischen Kontext ist die Pflichterfüllung des Einzelnen zwar erforderlich, aber Patriotismus bis Heroismus sind unumgänglich, so Gady. Patriotismus sei der effektivste Abwehrmechanismus gegen feindliche Übergriffe. „Weder eine neue Technologie noch ein neues Waffensystem können die Natur des Krieges verändern: Wer einen Krieg gewinnen will, muss den Wettbewerb der Willensstärke für sich entscheiden“ schreibt Franz-Stefan Gady.

Gady stellt Preußen mit seiner militärischen Tradition in den Mittelpunkt der Studie, Österreich hätte historisch die Innenpolitik der Außenpolitik vorgezogen und die Streitkräfte nicht sonderlich gefördert.

Schnelle und blitzartige, aber kurze, Kriegseinsätze nach preußischer (und unzwischen US-amerikanischer) Tradition seien vielfach nicht erfolgsversprechend. Wesentlich ist, aufgrund von Abnutzungskriegen, das gesellschaftliche Durchhaltevermögen, wozu Resilienz und Patriotismus beitragen. Irgendwann rückt nämlich der Spruch in Erinnerung: Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit.

Gerade die Blitzartigkeit mit dem Ziel, viel Energie in möglichst geringer Zeit zu investieren, wirkt Eskalationspotenzial. Demgegenüber verpufft die Wirkung sobald sich ein Abnutzungskrieg abzeichnet, der große Ressourcen verschlingt und es nicht mehr nur auf die ersten Stunden und Tage ankommt. Gerade, wenn sich die Gegenseite durch starken Willen auszeichnet.

Abschließend bleibt ein Zitat aus Gadys Buch: „An den Krieg zu denken und sich auf ihn vorzubereiten ist das beste Rezept, um ihn zu vermeiden“. Dabei ermahnt Gady an den preußischen Geist: Krieg als reale Möglichkeit betrachten und die Rahmenbedingungen schaffen, um ihn im Ernstfall gewinnen zu können. Allerdings mit mehr Durchhaltevermögen, das in der preußischen Tradition keine allzu große Rolle spielte.

Literatur:

[1] Alexander Siedschlag: „Neorealismus, Neoliberalismus und postinternationale Politik Beispiel internationale Sicherheit — Theoretische Bestandsaufnahme und Evaluation“, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1997

[2] Franz-Stefan Gady: „Die Rückkehr des Krieges: Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen“, Quadriga Verlag, Köln 2024

5 Antworten zu „Buchbesprechung: Franz-Stefan Gady: „Die Rückkehr des Krieges“”.

  1. Avatar von Ordnung und Ökonomie der öffentlichen Sicherheit – Demanega

    […] Franz-Stefan Gady wissen wir zwar, dass Interessen, also ökonomische Gegebenheiten, gegenüber Stolz und Angst […]

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  2. Avatar von Franz von Fenner: Wehrhaft in Tirol – Demanega

    […] an, „standhaft“ im Gegenwind zu sein, sondern „wehrhaft“ und die eigene Wehrhaftigkeit als Abschreckungsmittel zu […]

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  3. Avatar von US Navy und US Marines: Strategien und Bewegungstaktik – Demanega

    […] Buchbesprechung: Franz-Stefan Gady: „Die Rückkehr des Krieges“ […]

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  4. Avatar von Das Nein setzt die Verhandlungsgrenzen – Demanega

    […] Grundsätzlich kann es sogar eine vermeintlich „bessere“ Alternative zum Verhandeln überhaupt geben, das sind dann die Augenblicke, in denen der Streit ausgetragen wird, weil die Gewissheit eines günstigen Ausganges besteht. Freilich, ob das Kämpfen letztlich eine bessere Alternative ist, zeigt sich ganz am Ende und im Rückblick. Das gilt im Übrigen auch für internationale Konflikte. […]

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  5. Avatar von Präventivschlag? – Demanega

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