Richtpreisverzeichnisse entstammen in Italien dem Vergaberecht (Codice dei contratti pubblici), welches vorsieht, dass Vergabestellen bei öffentlichen Ausschreibungen die territorialen Preisverzeichnisse zu verwenden haben. Während in anderen EU-Ländern im Bereich von öffentlichen Ausschreibungen Marktpreise angeboten werden, besteht das System der öffentlichen Ausschreibungen in Italien in Richtpreisen und entsprechenden Abschlägen.
Abschläge sind in Ausschreibungen die Regel, wenngleich signifikante Abschläge detailliert zu begründen sind. Problematischer sind Aufschläge („offerta in rialzo“), welche die Rechtsprechung stark einschränkt und vom Vergaberecht nicht vorgesehen sind, weil dieses das Bestbieterprinzip vorsieht. Erachtet ein Bieter die angesetzten Preise als zu tief, können Klarstellungen verlangt werden. In diesem Sinne sind auch bei abgeschlossenen Verträgen Preisrevisionen möglich.
In Österreich existieren keine standardisierten Preislisten wie in Italien. Stattdessen wird auf Marktpreise und individuelle Angebote gesetzt. Die Preisbewertung erfolgt hier auf Basis von Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit. Demgegenüber ist das italienische System zwar transparenter, aber auch starrer.
Im Bereich Hochbau und Tiefbau stehen in Südtirol jährlich oder mehrmals jährlich aktualisierte Richtpreisverzeichnisse zur Verfügung. Die Richtpreisverzeichnisse dienen der Erstellung von Kostenvoranschlägen und werden getrennt für Hochbauarbeiten und Tiefbauarbeiten herausgegeben.
Vielfach stehen Richtpreisverzeichisse in Südtirol in der Kritik, weil der Vorwurf besteht, diese würden die Baupreise künstlich in die Höhe treiben. Darüber hinaus ergeben sich bei Abweichungen und Nachtragsforderungen baurechtliche und bauwirtschaftliche Konsequenzen.
Die Ausarbeitung der Richtpreisverzeichnisse wird durch die Handelskammer und die Agentur für öffentliche Vergabe koordiniert, in den entsprechenden Gremien sitzen Vertreter der Wirtschaft, der Berufskammern und Vertreter der öffentlichen Verwaltung.
Wesentlich ist, dass Richtpreise weder Marktpreise noch Höchstpreise darstellen, sondern Preise, von denen erfahrungsgemäß bei Bauwerken mittlerer Komplexität, mittlerer Größenordnung, mittlerer Erreichbarkeit und mittlerer Schwierigkeit auszugehen ist. Infolgedessen spricht der italienische Wortlaut von „prezzi informativi“, also informativen Preisen.
In den Vorbemerkungen zu den Landesrichtpreisverzeichnissen steht: „Das Richtpreisverzeichnis hat den Zweck, auf einheitliche Weise die für die in der
Provinz Bozen ausgeführten Bauarbeiten geforderten Leistungen festzulegen. Die entsprechenden Preise haben Informationscharakter und dienen der Angabe von Mittelwerten und sind daher als solche bei ihrer Verwendung zu betrachten. Sie beziehen sich auf die wesentlichen Lieferungen und Leistungen für Bauarbeiten mittleren Umfangs und Schwierigkeitsgrads, Außenarbeiten und städtebauliche Maßnahmen. Die Berechnung des Ausschreibungsbetrags und die Kosten-Massenberechnung für die einzelnen Projekte müssen mittels der Durchschnittspreise des Richtpreisverzeichnisses durchgeführt werden.“
Weichen Größe, Erreichbarkeit, Mengen oder Komplexität von diesem Standardfall ab, sind die Richtpreise nicht mehr plausibel. Dementsprechend ist im Richtpreisverzeichnis festgehalten: „Die Verwendung von Preisen, die von jenen des Richtpreisverzeichnisses abweichen ist nur in Ausnahmefällen erlaubt (zum Beispiel wegen großer Mengen, idealer Logistik, wegen anomaler Fälle besonderer Ausführungsschwierigkeit, bei Arbeiten in Gebäuden, in denen keine Baustelle eingerichtet werden kann, wo der Einsatz von Maschinen unmöglich ist, bei Arbeiten an schwierig zu erreichenden Orten usw.). Der Projektant muss das evtl. Vorhandensein von Preisabweichungen rechtfertigen und eine spezifische Preisanalyse erstellen.“
Infolgedessen werden die angebotenen Preise in Ausschreibungen entweder abgeschlagen oder – insofern die Richtpreise deutlich unterhalb der Marktpreise stehen – ist im Regelfall mit keinem Angebot zu rechnen. Steigen die Marktpreise nach einer Ausschreibung deutlich an, ist mit Nachträgen zu rechnen.
Insbesondere dann, wenn durch äußere Umstände die Marktpreise in kürzester Zeit deutlich schwanken, kann ein Richtpreisverzeichnis, das im Regelfall einmal jährlich erscheint, diesen Schwankungennatürlich nicht Rechnung tragen.
Bei größeren oder langfristigen Bauprojekten ist es wichtig, dass der Bieter die Möglichkeit von künftigen Preisänderungen bedenkt, insbesondere bei schwankenden Materialkosten. Langfristige Ausrichtungen sind Bestandteil einer Vertragsstabilität.


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