Die Konzeption der „Dritten Republik“ war ein zentrales politisches Motiv von Jörg Haider, das als radikale Kritik an der bestehenden politischen Ordnung in Österreich formuliert wurde.
Der junge Jörg Haider studierte in Wien Rechtswissenschaften, wurde Mitglied der Wiener akademischen Burschenschaft Silvana, promovierte in Staatsrecht und begann seine politische Karriere im deutschnationalen Umfeld.
Haider übernahm die FPÖ 1986 in einer turbulenten Zeit. Vor seiner Führung war die FPÖ eine kleine Partei, die eine liberale, national-freiheitliche Linie verfolgte und als Minderheitspartner in Koalitionen mit der SPÖ agierte. Der Aufstieg Jörg Haiders markierte einen ideologischen Wandel hin zu einer rechtspopulistischen und nationalistischen Partei und wahrscheinlich zum Prototyp moderner Parteien.
Jörg Haider sah die „Zweite Republik“, das politische System Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg, als überholt, ineffizient und korrupt an und kritisierte die Dominanz der beiden Großparteien SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) und ÖVP (Österreichische Volkspartei), die seit Jahrzehnten in wechselnden Koalitionen die Politik dominierten und infolgedessen weite Teile der Republik untereinander aufteilten. Diese Kritik richtete sich gegen das System der Proporzdemokratie, das Haider als „Parteienkartell“ bezeichnete.
Mit seiner charismatischen Führung und seiner harten Rhetorik sowie der weitgehenden Tabulosigkeit gegen die etablierte politische Klasse gewann Jörg Haider rasch an Popularität.
Das Konzept der Dritten Republik sah im Wesentlichen vor:
Eine stärkere Einbeziehung der Bürger in politische Entscheidungsprozesse. Volksabstimmungen und direkte Demokratie sollten einen größeren Stellenwert bekommen. Haider kritisierte, dass in der bestehenden politischen Struktur die Wähler nur alle paar Jahre Einfluss nehmen könnten, während die eigentlichen Entscheidungen von den Parteien getroffen würden.
Weniger staatliche Bevormundung und mehr wirtschaftliche Freiheit. Gleichzeitig sozialer Schutz vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung und Erhalt des österreichischen Sozialstaates. Diese Mischung machte die Politik der FPÖ sowohl für konservative als auch für sozial schwächere Wähler attraktiv und kennzeichnete eine „neue“ Volkspartei freiheitlicher Prägung.
In der „Dritten Republik“ sollte Österreich ein souveräner und eigenständiger Staat modernen Typus sein. Dieser progressive Nationalismus war oft verbunden mit einer Kritik an der Europäischen Union und an der grenzenlosen Globalisierung, indem „Heimat“ wieder zur politischen Konzeption wurde.
Gleichzeitig äußerte Jörg Haider in seiner politischen Laufbahn immer wieder einwanderungskritische und identitäre Positionen, die ihm breite Unterstützung verschafften.
Haider führte die FPÖ zu beträchtlichem Wahlerfolg, indem er Themen wie Migration, Kriminalität und die Kritik an der Europäischen Union (EU) in den Vordergrund stellte. Er positionierte die FPÖ als Anti-Establishment-Partei, die sich gegen die „Große Koalition“ aus SPÖ und ÖVP stellte, die als „Parteienkartell“ wahrgenommen wurde. Haider nutzte gekonnt eine populistische Rhetorik, um breite Wählerschichten zu mobilisieren, darunter auch Protestwähler und jene, die sich von den traditionellen Parteien vernachlässigt fühlten.
1989 bis 1991 wurde Haider erstmals Kärntner Landeshauptmann gewählt, 1999 zum zweiten Mal. Unter Haiders Führung erlebte die FPÖ einen kontinuierlichen Anstieg ihrer Wähleranteile. 1999 erreichte die FPÖ mit 26,9 % der Stimmen bei den Nationalratswahlen den zweiten Platz, knapp hinter der SPÖ.
Im Jahr 2000 trat die FPÖ in eine Koalition mit der ÖVP unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ein. Dadurch kam es zu international großen Kontroversen und zu Sanktionen der Europäischen Union. Jörg Haider wurde infolgedessen nicht Teil der Bundesregierung, zog sich auf Kärnten zurück und trat auch als Bundesobmann der FPÖ zurück.
Fatale personelle Entscheidungen, eine unerfahrene Regierungsmannschaft, die sich nicht gegenüber der ÖVP behaupten konnte, sowie mangelnde ideologische Festigung des Führungspersonals führten zum Parteitag in Knittelfeld, zum Rücktritt mehrerer FPÖ-Minister, zum Bruch der ersten FPÖ-ÖVP-Koalition unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und schließlich zu vorgezogenen Neuwahlen. Der Rest ist ein Anfang vom Ende, inklusive Parteispaltung.
Jörg Haider veränderte die Politik in Österreich bis heute hin wesentlich und nachhaltig. Mit der Erstplatzierung der FPÖ im Jahre 2024 wird die „Dritte Republik“ greifbar, wenngleich sunstanzielle Veränderungen der politischen Landschaft Österreichs nur in größeren Zeiträumen denkbar sind.
Literatur:
[1] Andreas Mölzer: „Jörg! Der Eisbrecher. Jörg Haider und die Freiheitlichen. Perspektiven der politischen Erneuerung“, Suxxes Verlag, Wien 1990
[2] Jörg Haider: „Die Freiheit, die ich meine“, Ullstein Verlag, Frankfurt am Main / Berlin 1993


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