Konflikte, die täglich in zahlreichen Bereichen auftreten, geraten irgendwann an den Punkt, an dem sich eine Eskalationsspirale einstellt.
Ein professionelles Konfliktmanagement verhindert das Anwachsen von Konflikten zu Krisen, indem frühzeitig Führung wahrgenommen und die Konflikte geordnet und befriedet werden. Mangelnde und unzureichende Konfliktkompetenz schürt die Konflikte weiter an und bedingt eine Eskalationsspirale und schließlich die Katastrophe.
Mangelnde Konfliktkompetenz und Führungslosigkeit sind ähnlich gelagerte Unzulänglichkeiten in Organisationen. Führungslosigkeit ist real (spürbar): Es herrschen chaotische Verhältnisse vor, es gibt keine Richtung und keine Strategie, Unsicherheit und mangelndes Selbstbewusstsein sind omnipräsent, eine klare Agenda wird gemieden, die gesetzten Maßnahmen sind im Konfliktfall fatal, in Krisen stehen Himmelfahrtskommandos an.
Fortschreitend werden – indem die eigene Lage aussichtsloser wird – Vernichtungsstrategien gefahren, die die Selbstvernichtung bedeuten.
Bestärkt durch die eigene, imaginäre Blase, mangels Austausch und Diskurs mit der Welt „da draußen“, findet Polarisierung statt, die, ausgehend von einem vermeintlichen natürlichen Recht in „Bürgerkriegparolen“ (Carl Schmitt) endet. Daraus folgend vollzieht sich eine Verirrung in Kleinkriegen und es werden die wirklichen Auseinandersetzungen des Lebens verkannt und versäumt.
Der Ausgang ist in allen Fällen tragisch. Ist nämlich der Punkt erreicht, an dem der andere nur noch einseitig als „Verräter“ deklariert wird, die objektive Wirklichkeit und die Öffentlichkeit zunehmend ausgeblendet und Koalitionen geschmiedet werden, um den vermeintlich „Verratenden“ zu umzingeln und zu vernichten, ist eine Umkehrbarkeit aussichtslos und der Gang in den Abgrund sicher.
Friedrich Glasls Konflikttheorie beschreibt den Eskalationsprozess von Konflikten in neun Stufen, die in drei Hauptphasen unterteilt sind:
Phase 1: Win-Win (Gewinnen-Gewinnen)
- Verhärtung: Erste Spannungen und Meinungsverschiedenheiten entstehen, aber es besteht noch die Möglichkeit einer konstruktiven Lösung. Die Parteien versuchen, ihre Standpunkte darzulegen.
- Debatte: Die Positionen verhärten sich, und die Konfliktparteien sehen sich zunehmend als Gegner. Diskussionen werden konfrontativer und emotionaler.
- Taten statt Worte: Die Kommunikation verschlechtert sich weiter, und es wird zunehmend gehandelt statt geredet. Missverständnisse und Misstrauen nehmen zu.
Phase 2: Win-Lose (Gewinnen-Verlieren)
- Koalitionen: Die Konfliktparteien suchen nach Verbündeten, um ihre Position zu stärken. Der Konflikt wird polarisiert, und es entsteht ein „Wir gegen die anderen“-Denken.
- Gesichtsverlust: Persönliche Angriffe und Demütigungen nehmen zu. Das Ziel ist, den Gegner öffentlich zu diskreditieren und seine Glaubwürdigkeit zu zerstören.
- Drohstrategien: Drohungen und Erpressungsversuche werden eingesetzt, um den Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Die Konfliktparteien versuchen, sich gegenseitig in die Defensive zu drängen.
Phase 3: Lose-Lose (Verlieren-Verlieren)
- Begrenzte Vernichtungsschläge: Der Konflikt eskaliert weiter, und beide Seiten nehmen Schäden in Kauf, um dem Gegner zu schaden. Der Gedanke, den Konflikt noch zu gewinnen, tritt in den Hintergrund.
- Zersplitterung: Das Ziel ist nun die völlige Zerstörung des Gegners. Es gibt keine Rücksicht mehr auf Verluste oder Konsequenzen.
- Gemeinsam in den Abgrund: Die totale Konfrontation führt zur gegenseitigen Vernichtung. Beide Seiten sind bereit, sich selbst zu zerstören, um den Gegner zu besiegen.
Diese Eskalationsstufen zeigen auf, wie Konflikte sich verschärfen, wenn keine frühzeitige und konstruktive, auf Partnerschaftlichkeit und Ehrlichkeit aufbauende Konfliktlösung angestrebt wird.
Umfassende Gegenstrategien im Sinne einer Deeskalation und Bewältigung von Konflikten erfordern ein tiefes Verständnis der Dynamikjedes Eskalationsstadiums und die Anwendung spezifischer Maßnahmen zur Konfliktlösung. Und, natürlich: Reflexion und Intellekt.
Zur Deeskalation ist eine kritische Distanz sowie der Fokus auf das größere Ganze notwendig. Jene Seite, die das größere Ganze erkennt und sich nicht in der blinden Eskalation verirrt, sondern in der Lage ist, die Vogelperspektive einzunehmen, steigt in der Regel aus dem Konflikt aus und beansprucht einen geordneten Rahmen zur Lösung.
Aufgrund persönlicher Verstrickungen, die psychologisch Überhand nehmen, ist eine ordentliche Deeskalation bei zahlreichen Beteiligten vielfach nicht mehr möglich und der Weg in den Abgrund gesichert.
Bestimmte Charaktereigenschaften wie Führungsschwäche, Entscheidungsschwäche, Unsicherheit, eine fragile Persönlichkeitsstruktur sowie mangelnde Empathie sind ebenso wenig förderlich. Insbesondere dann, wenn der Blick auf das große Ganze, auf übergeordnete Ziele und Ideale gänzlich fehlt und eine Verirrung im Klein-Klein stattfindet.
Nachfolgend sind detaillierte Gegenstrategien für jede Eskalationsstufe angeführt:
Stufe 1: Verhärtung
Offene Kommunikation: Dialog fördern und Feedback-Kultur etablieren.
Moderation und Techniken zur Konfliktbewältigung: Einführung von Kommunikations- und Konfliktbewältigungstechniken.
Stufe 2: Debatte
Gemeinsame Ziele definieren: Entwicklung einer gemeinsamen Vision oder Zielsetzung.
Interessenmatrix: Erstellung einer Interessenmatrix, um die Bedürfnisse beider Parteien zu visualisieren und Überschneidungen zu finden.
Paraphrasieren und Nachfragen: Techniken einführen, die das Verständnis des Gegenübers verbessern, z.B. durch Paraphrasieren und Nachfragen.
Stufe 3: Taten statt Worte
Mediation: Hinzuziehung eines professionellen Mediators, der neutral vermittelt.
Missverständnisse identifizieren: Systematische Analyse und Klärung von Missverständnissen durch gezielte Gespräche.
Stufe 4: Koalitionen
Vertrauensaufbau: Gemeinsame Aktivitäten, die das Vertrauen und die Zusammenarbeit stärken.
Kommunikationsprotokolle: Etablierung von klaren Regeln und Protokollen für die Kommunikation.
Moderierte Diskussionen: Gezielte Moderation von Diskussionen, um faire und respektvolle Kommunikation zu gewährleisten.
Stufe 5: Gesichtsverlust
Wiederherstellung der Würde: Maßnahmen, die den Betroffenen öffentlich Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringen.
Wertschätzende Kommunikation: Förderung einer Kultur der Wertschätzung und des Respekts.
Förderung von Entschuldigungen: Ermutigung zu offenen Entschuldigungen und zur Annahme von Entschuldigungen.
Vergebungsrituale: Entwicklung von Ritualen oder Prozessen, die Vergebung und Versöhnung unterstützen.
Stufe 6: Drohstrategien
Schiedsverfahren: Einsetzung eines neutralen Schiedsrichters oder eines Schiedsgerichts, das verbindliche Entscheidungen trifft.
Vertragsgestaltung: Klare und faire Verträge, die Konfliktlösungsmechanismen enthalten.
Schutzmechanismen: Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen, z.B. durch Sicherheitsprotokolle und -maßnahmen.
Konfliktmanagementsysteme: Implementierung von Systemen, die Drohungen und Eskalationen systematisch entgegenwirken.
Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
Friedensgespräche: Initiierung von Friedensgesprächen unter neutraler Moderation.
Friedensvereinbarungen: Aushandlung und Umsetzung von Friedensvereinbarungen, die beide Seiten akzeptieren können.
Neutralisierung von Angriffen: Konkrete Schutzmaßnahmen, um Angriffe zu verhindern und zu neutralisieren.
Deeskalationstechniken: Schulungen und Maßnahmen zur Deeskalation und zur Konfliktbewältigung.
Stufe 8: Zersplitterung
Gemeinschaftsprojekte: Initiierung gemeinsamer Projekte, die die Zusammenarbeit fördern.
Wiederaufbauprogramme: Programme, die den Wiederaufbau zerstörter Beziehungen und Gemeinschaften unterstützen.
Wiederaufbau von Beziehungen: Gezielte Maßnahmen zur Wiederherstellung von Vertrauen und Zusammenarbeit.
Mediation und Beratung: Einsatz von Mediation und Beratung, um Beziehungen wiederherzustellen.
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
Intervention von außen: Einschaltung internationaler oder staatlicher Vermittler, die unparteiisch agieren.
Interventionsteams: Einsatz von spezialisierten Interventionsteams, die in extremen Konfliktsituationen intervenieren können.
Zwangsverhandlungen: Verhandlungen unter externer Aufsicht und unter Zwang, um eine Lösung zu erzwingen.
Gerichte: Letzte Instanz zur Konfliktlösung.
Abseits von der Konflikteskalation bis hin zur gegenseitigen Vernichtung geht es vielfach einfach nur darum, sich selbst und seine eigene Position nicht als alleingültig zu deklarieren und die Dinge auch nicht allzu ernst zu nehmen, was im Falle verengter intellektueller Denkmuster schwierig ist.
Unnötige Konflikte meiden und erkennen, welche Konflikte ohnehin nicht entscheidend und auch nicht zu gewinnen sind, bedeutet, Energie und Ressourcen besser zu nutzen und dort einzusetzen, wo etwas bewegt wird, wo die wirklichen Herausforderungen liegen.
Freilich, vielfach verdecken die Bäume den Wald, alles wird dunkel und düster, dis Luft wird dünner und die Schnappatmung intensiver, die Gedanken sind unklar, vielleicht waren sie noch nie klar und strukturiert. Dann werden Konflikte verschärft und Krisen intensiviert und die Negativspirale setzt an.
Literatur:
[1] Friedrich Glasl: „Konfliktmanagement. Diagnose und Behandlung von Konflikten in Organisationen“, Haupt Verlag, Bern 1980
[2] Carl Schmitt: „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft“, Internationaler Universitäts-Verlag, Tübingen 1950


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