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Schlammlawinen: Hintergrund und Problematik

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Geologische Massenbewegungen entwickeln vielfach ein dramatisches Gefahrenpotenzial. Die Begrifflichkeiten sind dabei allerdings nicht immer deutlich und werden häufig widersprüchlich verwendet.

Während „Rutschungen“ jene Massenbewegungen bezeichnen, die durch Gleiten gekennzeichnet sind, folglich klar begrenzt sind und sich trichterförmig ausbilden, sind Muren und Murgänge durch den Mechanismus Fließen gekennzeichnet und in diesem Sinne eng mit der Wildbachverbauung verbunden. Für die Entwicklung derartiger fließfähiger Bodenmassen sind nämlich große Wassermengen notwendig, die in Bachläufen zustande kommen oder zumindest dort, wo noch kein ordentlicher Abfluss in einem Bachbett errichtet ist.

Im wassergesättigten feinkörnigen oder gemischtkörnigen Boden kann sich hingegen durch Verdichtung, Belastung oder Fließdruck ein Porenwasserüberdruck einstellen, sodass sich sich zwischen den Bodenteilchen ein Wasserfilm einstellt, der die Reibung absetzt und somit eine fließfähige Masse entstehen lässt. Eine Mure ist begrifflich ein Schlammstrom oder Schuttstrom. Muren vollziehen sich relativ rasch, Erdfließen oder Schichtfließen langsamer. Im Bereich von Böden mit lockerem Gestein, Kies, Sand und Lehm, die durch Verwitterung entstanden sind, ist das Risiko für Schlammlawinen hoch. Die Bodenpartikel können leicht mobilisiert werden.

Zu unterscheiden ist zwischen Hochwasser und Festsstofftransport. Von Hochwasser ist die Rede, solange der Feststofftransport schwach bleibt. Ab einer Feststoffkonzentration von 20 bis 40% bildet sich eine Mure aus. Geröllmuren bezeichnen hingegen Massenbewegungen, die aus Steinen und Blöcken, ohne Feinanteil, bestehen.

Ein Reinwasserabfluss führt unerhebliche Feststoffmengen mit sich, bei denen es sich hauptsächlich um Schwebstoffe handelt. Die Dichte ist unwesentlich höher als jene des Wassers (1000 kg/m³). Ein fluvialer Feststofftransport führt einen bedeutenden Feststoffanteil mit, der sich aus Schwebstoffe und sohlennahem Geschiebe zusammensetzt. Das Feststoff macht bis zu 20 % aus, die Dichte des Wasser-Feststoff-Gemisches beträgt bis 1300 kg/m³. Murartige Feststofftransporte verfügen über eine hohe Feststoffkonzentration bis zu 40 %. Die Dichte beträgt bis zu 1700 kg/m³, das Geröll bewegt sich in der Geschwindigkeit des Wassers mit, die Feststoffe sind über den ganzen Abflussquerschnitt verteilt. Ein Murgang ist eine langsam bis schnell abfließende Suspension aus Wasser, Feststoffen und Holz und kann sich aus mehreren Murschüben zusammensetzen. Die mittransportierten Feststoffe sind unabhängig von der Korngröße über den ganzen Abflussquerschnitt verteilt, der Feststoffanteil beträgt bis zu 70 % mit Dichten bis 2400 kg/m³. Durch die hohe Masse ergibt sich eine hohe kinetische Energie.

Murgänge werden durch heftige Niederschlagsereignisse, aber auch durch Seiten- und Tiefenerosion oder durch große Wassermassen ausgelöst, die in brechenden Verklausungen anfallen. Durch die hohen Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h sowie den hohen Wasseranteil werden auch große Gesteinsbrocken mitgeführt, sodass die kinetische Energie sowie das Zerstörungsrisiko extrem sind. Dort, wo das Gefälle wieder flacher wird, lagern sich die transportierten Feststoffe wieder ab.

Hangmuren entstehen an steilen Hängen und sind für viele Mittelgebirge typisch, bei denen an den Hängen 1 bis 4 Meter wenig durchlässiger, feinkörniger Boden, etwa Hanglehm oder tonige Moränen, aufliegen. Hanglehm stellt einen geologisch „jungen“ Boden dar, der in den letzten 10.000 bis 15.000 Jahren entstanden und wenig verdichtet ist. Weiters wirken Quellwasseraustritte und starke Niederschläge treibend. Es werden Prozessgeschwindigkeiten von bis zu 35 km/h erreicht.

Die Prozessentwicklung bei Hangmuren ist spontan und folglich kaum vorhersehbar, zunehmend werden allerdings auswertbare Datenbanken angelegt. Die Schäden betreffen die Verkehrsinfrastruktur sowie Siedlungen, die überschüttet werden.

Böden mit einer sehr gleichkörnigen Struktur, etwa Sande in Bachdeltas oder Lössböden sowie Lehmböden, die einen hohen Porenanteil und eine geringe Korn-zu-Korn-Reibung haben, tendieren bei Erhöhung des Porenwasserdrucks zur Verflüssigung (Liquefaktion). Die Liquefaktion betrifft kohäsionslose oder kohäsionsarme Böden und wirkt sich insbesondere auch bei Erschütterungen und Erdbeben drastisch aus.

Gefügeauflockerungen wirken bei Muren ebenso als auslösend, indem Gleitvorgänge das Gebundene Wasser aus der Struktur befreien und gemeinsam mit Niederschlagswasser oder fließendem Grundwasser eine fließfähige Masse entstehen lassen.

Eine Schlammlawine wird auch Mure oder Murgang genannt und ist ein geologisches Phänomen, bei dem eine Mischung aus Wasser, Gestein, Erde und anderen Materialien den Hang hinunterströmt.

Wesentlich ist zur Erfassung von Massenbewegungen deren Bewegungsrate:

  • 1-5 mm pro Jahr: Es treten kleine Risschäden auf sowie leichte Wölbungen auf
  • 10-20 mm pro Jahr: Größere Schäden bei Gebäuden und Infrastruktur
  • Ab 50 mm pro Jahr: Große Schäden durch Risse, Verformungen und statisches Versagen.

MurgängeSchuttströme und Felsstürze weisen Geschwindigkeiten von 3 bis 5 Metern pro Sekunde auf. Rutschungen sind im Bereich zwischen 1,6 Meter pro Jahr und 3 Meter pro Minute anzuordnen und Kriechen ist langsamer als 1,6 Meter pro Jahr.

In diesem Sinne ist zu unterscheiden zwischen:

Murgang, Schuttstrom, Felssturz:

Geschwindigkeitsklasse 7 (extrem schnell): Schneller als 5 Meter pro Sekunde: Katastrophencharakter, Zerstörung von Bauwerken, Flucht nicht möglich

Geschwindigkeitsklasse 6 (sehr schnell): Schneller als 3 Meter pro Minute: Zerstörung von Bauwerken, bedingte Flucht möglich

Rutschung:

Geschwindigkeitsklasse 5 (schnell): Schneller als 1,8 Meter pro Monat: Zerstörung von Bauwerken, Flucht möglich

Geschwindigkeitsklasse 4 (mäßig schnell): Schneller als 13 Meter pro Monat: Erhaltung von Bauwerken bedingt möglich

Geschwindigkeitsklasse 3 (langsam): Schneller als 1,6 Meter pro Jahr: Während der Verformungen sind Sicherungs- und Stabilisierungsmaßnahmen möglich, der rollende Verkehr ist stark gefährdet

Kriechen:

Geschwindigkeitsklasse 2 (sehr langsam): Schneller als 16 Millimeter pro Jahr: Erhalt von Bauwerken ist möglich, der rollende Verkehr ist stark gefährdet

Geschwindigkeitsklasse 1 (extrem langsam): Langsamer als 16 Millimeter pro Jahr: Baumaßnahmen bedingt möglich, Schienenverkehr beeinträchtigt.

Literatur:

[1] Konrad Bergmeister, Jürgen Suda, Johannes Hübl, Florian Rudolf-Miklau: „Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren – Grundlagen, Entwurf und Bemessung, Beispiele“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2009

[2] Heinz Patt & Robert Jüpner (Hrsg.)“Hochwasser-Handbuch – Auswirkungen und Schutz“, Springer-Verlag, Wiesbaden 2020

[3] Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen Und Naturgefahren: Handbuch Für Konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer Verlag, Wien 2011

[4] Wolfgang Dachroth: „Handbuch der Baugeologie und Geotechnik“, Springer Verlag, Berlin 2017

4 Antworten zu „Schlammlawinen: Hintergrund und Problematik”.

  1. Avatar von Geotechnik bei Ufereinfassungen und im Hafenbau – Demanega

    […] so stellen Erdbebeneinwirkungen eine zusätzliche Belastung dar. Besonders bei Böden, die zur Verflüssigung tendieren, sind folglich gravierende Konsequenzen […]

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  2. Avatar von Quickton, Quicksand, Quickerde: Ernst Ackermann und die Fließerde – Demanega

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