Der „Anschwellende Bocksgesang“ von Botho Strauß, 1993 im Spiegel erschienen, ist über 30 Jahre alt, hat uns, die wir deutlich später politisch erweckt wurden, bewegt, verändert, ergriffen, uns die Grundlage gegeben, um die Dinge klarer und unser Wesen freier zu begreifen.
Der Kulturpessimist Botho Strauß bricht mit der liberaldemokratischen Praxis, die in Zeiten von enggezogenen Grenzen des Denkbaren und Sagbaren mehr Illusion ist als Wirklichkeit, zeichnet ein Bild einer anderen Möglichkeit abseits des machtpolitischen Kalküls und umrahmt die Notwendigkeit: „Rechts zu sein, nicht aus billiger Überzeugung, aus gemeinen Absichten, sondern von ganzem Wesen, das ist, die Übermacht einer Erinnerung zu erleben, die den Menschen ergreift, weniger den Staatsbürger, die ihn vereinsamt und erschüttert inmitten der modernen, aufgeklärten Verhältnisse, in denen er sein gewöhnliches Leben führt“.
Botho Strauß zieht die Grenzen zum plumpen Populismus dieser Zeit, fordert Gehalt und Substanz als kulturelle und politische Kultiviertheit. Der starke Einzelne ist der Hoffnungsträger einer neuen Zeit: „Dabei: so viele wunderbare Dichter, die noch zu lesen sind – so viel Stoff und Vorbildlichkeit für einen jungen Menschen, um ein Einzelgänger zu werden. Man muß nur wählen können; das einzige, was man braucht, ist der Mut zur Sezession, zur Abkehr vom Mainstream“.
Und weiter: „Es handelt sich um einen anderen Akt der Auflehnung: gegen die Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will.“
Das ist auch schon das wesentliche: Der Mut zur Sezession vom Mainstream. Nichts leichter als das Wort, nichts schwieriger als die konsistente Tat. Auf einer populistischen Welle schwimmen ist einfach. Die eigentliche Auseinandersetzung dieser Zeit dreht sich um das Eigene: „Wir kämpfen nur nach innen um das Unsere“. Wer diese Auseinandersetzung in politischer Kurzsicht nicht begreift, verliert jede Legitimation.
„Seltsam, wie man sich »links« nennen kann“ schreibt Botho Strauß. Seltsam nicht, aber die Faralität muss auch einmal jemand überschauen (können). Und gerade dort scheitert es bei den heutigen „Helden“ sozialer Medien. Sie sind auch nur ein Produkt dieses Zeitgeist, unfähig über ihn hinaus zu denken.
Ausgangslage ist im Sinne eines Kulturpessimismus die „problematische Welt“ (Botho Strauß) sowie das Faktum des Menschen als „Mängelwesen“ (Arnold Gehlen). Kulturpessimismus ist es aber nicht: „Der Kulturpessimist hält Zerstörung für unvermeidlich. Der Rechte hofft hingegen auf einen tiefgreifenden, unter den Gefahren geborenen Wechsel der Mentalität“. Es geht also um die idealistische Konsequenz, darum, wozu der Einzelne in der Lage sein kann.


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