Idealistischer Realismus: Politik und Souveränität

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Souveränität bedeutet die Fähigkeit zur Entscheidungsbefugnis. Den Gedanken zur Souveränität müssen Gedanken zum Menschen– und Weltbild vorangehen. Menschen verfolgen genauso wie Kollektive und Staaten Interessen, diese bestehen in erster Linie im Selbsterhalt und in weiterer Folge im Machtausbau. Das kann man natürlich verurteilen, ist allerdings eine menschliche Konstante, auf die es zu antworten gilt.

Während Anhänger abstrakter Gesellschaftstheorien sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf internationaler Ebene einen so genannten mehr oder weniger demokratischen Gesellschaftsvertrag erwarten, gehen Anhänger der realistischen oder neorealistischen Richtung davon aus, dass Interessen menschenimmanent sind und es durch politische Strukturen und Gegenmaßnahmen auf exzessive Beanspruchung dieser Interessen zu antworten gilt.

Mit der Theorie einer negativen Freiheit, wie sie Thomas Hobbes formuliert, ist das Dilemma aber kaum zu lösen. Wenn der Staat nur dazu da ist, die Machtinteressen der Einzelnen zu begrenzen und folglich eine negative Freiheit zu etablieren, dann ist die öffentliche Infrastruktur nur noch ein notwendiges und vielleicht auch bekämpftes Übel.

Mit einer positiven Theorie der Freiheit, die die Freiheit des Einzelnen in den Dienst einer höheren Sache, nämlich der Gemeinschaft stellt und wie sie dem römischen Vorbild entspricht, wird das Politische zur gemeinsam geteilten Angelegenheit möglichst aller. Die Republik als Herrschaft des Rechts und des Gemeinwohls eröffnet sich als Ausweg aus diesem Dilemma.

Im republikanischen Sinne ist die soziale Seite des Eigentums essentiell. Freiheit und Eigentum werden auch anhand des Nutzens für die Gemeinschaft bewertet. Die Republik ist nicht ohne ein Menschenbild zu denken, das den Einsatz der Freiheit des Einzelnen für die Gemeinschaft zum höchsten Ziel macht. Letztlich reicht dieser Dienst am Gemeinsamen bis hin zur Verteidigung. Oder anders ausgedrückt: Gerade der Wille zur Wehrhaftigkeit zieht die Konturen des Gemeinwesens.

Gegenüber der liberalen Praxis, die ein Kind des Materialismus ist, wonach es ausschließlich auf Profit, auch gegen die Gemeinschaft und ihre übergeordneten Interessen, ankommt, weil das Erdenleben dazu da ist, den grenzenlosen Egoismus auszuleben, gibt es Alternativen.

Diese Alternative besteht nicht im Sozialismus als andere Schlagseite des Materialismus, der weniger darauf aus ist, dass Unternehmen sich beim Staat bedienen, sondern dass eine selbst ernannte politische „Elite“ sich in den höchsten Staatsämtern bedient und – mehr noch – die Gesellschaft nach eigenem Gutdünken umgestaltet.

Demgegenüber muss es eine andere Haltung geben, die dem Staat gewährt, was des Staates ist. Allerdings besteht die Verpflichtung vorerst darin, als standhafter Einzelner für diejenigen Verantwortung zu übernehmen, für die man durch familiäre Bindung und Schicksal verpflichtet ist, was weder im Liberalismus mit der Ressource Mensch, noch im Sozialismus mit dem Familienersatz Staat gewünscht und gewollt ist. In letzter Instanz steht der Staat sowie die staatsbürgerliche Verantwortung für den Staat und die Gemeinschaft.

Abseits des reinen Machtkalküls muss es neben der negativen auch eine positive Freiheit geben, zu der jeder Einzelne beitragen kann und die auf eine Gesellschaft ausgelegt ist, die nach Fortschritt und Weiterentwicklung bedacht ist, wenngleich dies vielfach bedeutet, die eigenen Ursprünge zu erkennen und anzuerkennen zu lernen, weil das Leben in die Natur eingebettet bleibt.

Es muss auch eine staatliche Ordnung geben, die vom Leistungsprinzip in einer freien Gesellschaft ausgeht, bei welcher der Staat die übergeordneten Interessen sauber und gerecht vertritt.

Negative Freiheit stellt sich als „Freiheit von“ dar und besteht faktisch in einer Abwesenheit ordnungspolitischer Rahmen. Das Projekt zu Ende gedacht ersetzt die Macht allerdings nicht, sondern setzt anstelle der staatlichen Macht, die per Definition dem Gemeinwohl verpflichtet ist, die ökonomische Macht, die per Definition ökonomische Eigeninteressen verfolgt.

Unsere postliberale Gesellschaft hat sich weitgehend vom Politischen entfernt und in eine Dienstleistungsgesellschaft verwandelt. Die direkte Konsequenz der Abwesenheit des Politischen ist keineswegs die Abwesenheit von Macht. Das Vakuum wird durch andere Instanzen gefüllt. Es sind dies in unserer modernen Gesellschaft Quasimonopolisten, die den Markt beherrschen und ökonomische und infolgedessen faktisch auch politische Macht konzentrieren.

Demgegenüber muss es das Gemeinschaftliche geben, das keinen Beutewert, sondern einen Wert für sich hat.

Eine „gerechte“ Freiheit geht zwar ebenso von Freiheit aus, die immer in der Abwesenheit von fremden Zwang besteht, erkennt allerdings an, dass der grenzenlose Liberalismus die Stellung des Einzelnen nicht verbessert, sondern im Wesentlichen verschlechtert. Dass gerade der ökonomische Liberalismus sich verstärkt auf den sozialen Liberalismus einlässt, der auf den Befreiungsideologien marxistischer Natur gründet, umfasst ein gemeinsames Anliegen, nämlich den „befreiten“ Einzelnen in die Kollektive respektive Märkte zu drängen, in welchen sodann mächtige Organisationen ihre Macht ausüben.

In diesem Sinne stellt sich die „positive Freiheit“ als „Freiheit, wozu“. Letztlich kann es kaum Sinn der Freiheit sein, dass lauter Einzelne sich in völliger Orientierungslosigkeit verschiedenartigen Mächten ausgeliefert sehen. Freiheit besteht in dem Anliegen, das Eigene zu leben.

Freiheit in diesem Sinne ist eine republikanische Freiheit. Für den Philosophen Philip Pettit besteht „gerechte Freiheit“ in einer republikanischen Freiheit, die sich in einem „freien“ Einzelnen oder dem „liber“ äußert und in dem Konzept der Nichtbeherrschung besteht: „Das Bild einer Person, die sui juris, nach ihren eigenen Bedingungen lebt“. Dieser Status der Freiheit besteht darauf, dass dieser „nur unter einer staatlichen Herrschaft des Rechts zu haben ist, von der alle als Gleiche behandelt werden, dieselben Ressourcen der Wahl geboten bekommen und denselben Schutz vor den Eingriffen anderer haben“.

Diese Freiheit bedingt folglich mitunter auch die Definition des privaten, aber auch es öffentlichen Eigentums, weil die Versorgung mit den Ressourcen, die im öffentlichen Interesse stehen, eine Infrastruktur erforderlich macht.

Freiheit äußert sich nach Pettit sodann in einem „Volkskollektiv“, das sich durch den Staat einen äußeren Ausdruck gibt, allerdings im Bewusstsein lebt, dass die übergeordneten Fragen nur in Frieden und Freiheit mit anderen Staaten behandelt werden können.

„Jede Theorie der Gerechtigkeit wird etwas zur Infrastruktur sagen müssen, die den Bürgern einer potenziell gerechten Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden muss. Die Infrastruktur wird zwei Aspekte haben: institutionelle und materielle“. Zur materiellen Ebene schreibt Pettit: „Die materielle Infrastruktur wird die Integrität des Territoriums vor Gefahren von außen sicherstellen müssen; sie wird für die Bereitstellung von Straßen, Luftverkehr und anderen Transportmitteln zuständig sein; für die Koordinierung des Zugangs zu den Kommunikationsmitteln, welche von den Medien und den Einzelpersonen genutzt werden; für das Vorhandensein von öffentlichen Räumen in den Städten und auf dem Land, deren Zugänglichkeit und Sicherheit; für die nachhaltige Nutzung regenerativer Ressourcen, von Nahrungsmitteln und Energie (…); für den verantwortlichen Gebrauch nichtregenerativer Ressourcen wie der Energie aus fossilen Stoffen; und für die Bewahrung der natürlichen und gefährdeten Umwelt“.

„Die republikanische Theorie der Gerechtigkeit wird wie jede überzeugende Alternative für die Förderung und Pflege der institutionellen und materiellen Infrastruktur einer Gesellschaft eintreten, da sich dies darauf auswirken wird, in welchem Umfang die Menschen ihre Grundfreiheiten in Anspruch nehmen und nutzen können. Gleichwohl müssen wir hinzufügen, dass das republikanische Bild eine recht unterschiedliche Auffassung von Rechtstiteln mitbringt – insbesondere der Rechtstitel auf Eigentum (…) Die Erklärung dafür geht auf die bereits erwähnte Überlegung zurück, wonach die Gesetze und Normen einer Gesellschaft die Individuen frei machen, weil sie die Menschen vor bestimmten Formen der Einmischung schützen“.

Das Eigentum ist in diesem Sinne als Prinzip der Nichteinmischung zwar zentral, hat aber auch seine Grenzen. Pettit führt explizit geistiges Eigentum, strategische Bodenressourcen oder die öffentliche Sicherheit an, die keine gewöhnlichen privatrechtlichen Angelegenheiten sind. Über allem anderen steht eine Konzeption von Gemeinschaft als Vereinigung von Freien.

Am Ende schließt sich der Kreis. Freiheit ist nicht Selbstzweck. Freiheit ist die Freiheit zum Eigenen. Es geht um den selbstbestimmten Einzelnen. Dieser Einzelne ist nicht ohne klassisches Ideal zu verstehen.

Letztlich ist der Macht- und Ordnungsstaat nur die halbe Wahrheit. Weder ein grenzenloser Optimismus noch ein grenzenloser Pessimismus sind der Wahrheit letzter Schluss. Es geht um einen pessimistischen Optimismus: Um die Zuversicht, wozu der Einzelne dennoch in der Lage ist, wenn er Rahmen, Vorbild. Erziehung, Ideal und Unterstützung vorfindet.

In diesem Kontext schaffen Strukturen einen Rahmen. Dieser Rahmen wird vorerst durch das Band und den Bund der Familie und ihrer Erweiterungen geschmiedet und in der Folge durch das Gemeinwesen institutionalisiert.

Das funktionierende Gemeinwesen nimmt dem Einzelnen jene Lasten ab, die gemeinschaftlich besser gelöst werden können. Freilich wird diese Notwendigkeit in einer politischen Realität mehr und mehr in Frage gestellt, in welcher der Staat einen „Beutewert“ hat und zum reinen Spielball anderweitiger, außerpolitischer Interessen wird.

Das Privateigentum oder zumindest der ausschließliche Besitz ist der wesentliche Raum der Freiheit, der in einer freiheitlichen Gesellschaft dem Einzelnen gewährt wird. Der Staat greift in diesem Sinne dort ein, wo die übergeordneten Interessen der Gemeinschaft beginnen. In diesem Sinne rechtfertigen sich das öffentliche Eigentum sowie die Verwaltung dieses öffentlichen Eigentums.

Im republikanischen Denken gibt es nicht nur das egoistische Streben in eigener Sache, sondern den Dienst am Gemeinwesen, der überzeitlich wirkt und uns Ehre verspricht.

Fortschritt ist nicht als ständiges Fortschreiten in einer technizistischen Welt zu verstehen, die sich immer weiter von der Natur des Menschen entfernt. Fortschritt entspricht einem Erkennen des Wesens des Menschen und einer Anpassung der äußeren Bedürfnisse an diese Einsichten in das Menschsein, das sich nie losgelöst von Raum und Zeit, sondern nur eingebettet in Natur, Kultur und Geschichte darstellt.

Weder die sozialistische Variante mit der staatlich oktroyierten Umgestaltung der Gesellschaft noch die kapitalistische Variante mit dem Staat als Beute sind zufriedenstellend. Es muss um eine grundsätzlich idealistische Weltsicht gehen. Um einen Idealismus allerdings, der realistisch ist und bleibt. Ob realistischer Idealismus oder idealistischer Realismus ist eine Begriffssache. Wesentlich ist der Kontrast zum plumpen realitätspolitischen Materialismus als permanente Alternativlosigkeit als auch zum ästhetischen Idealismus, der im Symbolischen, Romantischen und Ästhetischen verbleibt und damit alles verspielt.

Es geht stattdessen um ein eigenständiges und eigenverantwortliches Leben in einer lebenswerten Umgebung, die über gemeinschaftliche Infrastruktur mit entlastender Funktion verfügt.

Literatur:

[1] Josef Isensee: „Das Volk als Grund der Verfassung: Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt“, Verlag fürr Sozialwissenschaften, Frankfurt 1995

[2] Quentin Skinner: „Visionen des Politischen“, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2009

[3] Philip Pettit: „Eine gerechte Freiheit“, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2017

[4] Paul Jörs: „Römisches Privatrecht“, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1935

2 Antworten zu „Idealistischer Realismus: Politik und Souveränität”.

  1. Avatar von Wieso die Politik am Tiefpunkt ist und was jetzt zu tun ist – Demanega

    […] Politische nährt sich aus politischem Realismus, aus der realen Fähigkeit, Veränderungen durchzusetzen. Ideale sind zwar die Triebfeder, die […]

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  2. Avatar von Die Wehrpflicht als Dienst am Gemeinschaftlichen – Demanega

    […] Idealistischer Realismus: Politik und Souveränität […]

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