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Politische Solidarität und sozialer Wohnbau

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Der exzessive Liberalismus unserer Zeit, ob als Kapitalismus oder Linksliberalismus bezeichnet, läuft auf das gleiche Ziel hinaus: Entortung, Entwurzelung und globalisierte Heimatlosigkeit. Unter dem „Vorteil“ eines „freien“ Waren- und Ressourcenverkehrs (inklusive humaner „Ressourcen“).

Im Wohnen schlägt sich diese Ideologie als Wohnen auf Zeit nieder, flexibel, wechselhaft und wechselwillig; damit können allerdings kaum engere Bindungen an das Land und Erinnerungen an den Wohnraum entstehen.

Entgegen der globalen Entwurzelung sind Gegenkonzepte notwendig. Andernfalls gelingt es uns nicht, Menschen dauerhaft dazu zu bewegen, sich um ihre unmittelbare Umgebung und um ihr Gemeinwesen zu kümmern. Das Marktversagen ist überall dort, wo nicht ein „Geschäft“ lauert, eher Regel als Ausnahme. Abstrakte Theorien sind kaum zukunftsfähig, was zählt, ist die konkrete Verbindung zum Land.

Landflucht und globale Migration sind ein akutes Problem unserer Zeit. Zu diesem Problem gesellt sich das Aussterben des ländlichen Raumes, insbesondere in strukturschwachen Gebieten, während Ballungszentren gravitativ anziehend wirken und (zu) schnell wachsen. Das schnelle Wachstum vollzieht sich oberflächlich und verstärkt dadurch die gefühlte Heimatlosigkeit, indem inhumane Nicht-Orte entstehen [1].

Um Menschen am Ort zu binden, ist nach Bedarf der ansässigen Bevölkerung Baugrund auszuweisen und es sind Wohnbauprojekte zu forcieren. Viel zu oft sind die politisch-bürokratischen Akte schleppend, spekulativ und zermürbend und alles andere als dienstleistungsorientiert. Es fehlt am Bewusstsein der weitreichenden Konsequenzen einer weitsichtigen Wohnpolitik im Sinne eines solidarischen Patriotismus.

Wohneigentum schafft dauerhafte materielle und imaterielle Bindungen. Die materielle Zukunft und der Raum verweben sich durch die Eigentumsbindung am Ort. Daraus entwächst ein soziales Verantwortungsbewusstsein für die eigene Umgebung in Form eines solidarischen Patriotismus sowie die Verantwortung gegenüber der Dorfgemeinschaft und dem Gemeinwesen.

Politisch sind dazu in Zeiten der Immobilienspekulation bei sinkenden Reallöhnen konkrete Modelle zu schaffen, bei denen die Bildung von Wohneigentum gefördert wird, wie Wohngenossenschaften oder Mietkaufmodelle. Darin liegt eine ureigentümliche Verantwortung von Staatlichkeit im Sinne einer wirksamen Politik, die bereit ist, Richtungen einzuschlagen. Relative Armut trotz Erwerbstätigkeit oder Rente gehört zu den traurigen Bildern unserer Gegenwart, die Wohnkosten tragen ihr Wesentliches dazu bei.

Neben Wohneigentum sind stabile Mietverhältnisse wesentlich, weshalb wirtschaftliche Spekulation und soziale Brennpunkte zu unterbinden sind. Die Verantwortlichkeiten sind ordnungspolitischer, sozialpolitischer und wohnbaupolitischer Natur. Innere und soziale Sicherheit bilden eine notwendige Einheit.

Durch Bauen entsteht ein spezifischer Ort. Weil Bauen die Dinge, die unser Leben prägen, materialisiert. Und materialisiert werden soziale Beziehungen, die nicht immer problemlos verlaufen. Es entsteht nach Marc Augé ein „anthropologischer“ Ort, der sich durch Identität, Beziehungen und Geschichte kennzeichne. Die Art, wie wir bauen, entscheidet, was aus Orten wird.

Heute bilden sich allerdings immer öfter so genannte Nicht-Orte heraus: „Eine Welt, die Geburt und Tod ins Krankenhaus verbannt, in der die Anzahl der Transiträume und provisorischen Beschäftigungen unter luxuriösen oder widerwärtigen Bedingungen unablässig wächst, eine Welt, in der sich ein enges Netz an Verkehrsmitteln entwickelt, die gleichfalls bewegliche Behausungen sind, wo der mit weiten Strecken, automatischen Verteilern und Kreditkarten Vertraute an die Gesten des stummen Verkehrs anknüpft, eine Welt, die solcherart der einsamen Individualität, der Durchreise, dem Provisorischen und Ephemeren überantwortet ist, bietet dem Anthropologen ein neues Objekt, dessen bislang unbekannte Dimensionen zu ermessen wären, bevor man sich fragt, mit welchem Blick es sich erfassen und beurteilen lässt“ [1].

Zur Informationsdichte im Raum, die die Grundlage für lebenswerte Umgebungen ist, schreibt der Stadtplaner Jan Gehl: „Das Stadtleben ist ein Produkt aus Anzahl und Dauer einzelner Aktivitäten im öffentlichen Raum“ [2]. Jan Gehl ist es auch, der den halböffentlichen Raum, also den Raum zwischen privat und öffentlich als den wichtigsten Erlebnisraum erachtet und als jenen Zwischenraum, der die Qualität unserer Umgebungen ausmacht. Die Gärten vor den Häusern mit ihrer Vielfalt und Detailverliebtheit machen die bauliche Qualität aus. Gehl bezieht sich dabei im Besonderen auf südliche Länder, in denen sich ein Teil des Lebens im öffentlichen Raum abspielt, der einen halböffentlichen Charakter hat. Daraus wird deutlich, dass Territorialität nicht nur exklusiv ist, sondern sich vor allem auch im Austausch definiert.

Entgegen sozialutopischer Gesellschaftsmodelle, die uns unter dem „ökologischen“ Vorwand in wohnbaulichen Großstrukturen einquartieren wollen, bildet der eigene Garten den Zugang zur Natur und zum bewussten ökologischen Denken fernab erfolgloser abstrakter Theorien.

Im bodenständigen Bauen wird die Einbettung in die natürlichen Zusammenhänge wahrnehmbar. Damit entsteht eine Informationsdichte, die tiefer reicht als in neu gebauten Siedlungen ohne Geschichte und – zu Recht – auch ohne „Charakter“. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich stellt diesbezüglich richtig fest: „Die gestaltete Stadt kann „Heimat“ werden, die bloß agglomerierte nicht, denn Heimat verlangt Markierungen der Identität eines Ortes“ [3].

Und unterstellt den modernen Siedlungen: „Alles ist artifiziell, gewollt, beabsichtigt, geplant – manipuliert also. Wir haben es noch nie erleben können, dass eine dieser neuen Siedlungseinheiten plötzlich Strahlungskraft entwickelt und ihre Nachbarschaft sich hierarchisch unterordnete, zur neuen Stadt wurde“. Das gilt nicht nur für die Stadt, sondern genauso auch für das Land.

Erst wenn die Dinge in einer Relation zueinander stehen, entsteht ein Sinn, der weiter reicht. Aus historischer Tiefe, aus der natürlichen Umgebung heraus, aus dem kulturellen Kontext ergibt sich eine Bedeutung, eine ganze Bedeutungsebene, die erfahren werden will.

Literatur:

[1] Marc Augé: „Nicht-Orte“, Verlag C.H. Beck, München 2010

[2] Jan Gehl: „Städte für Menschen“, Jovis Verlag, Berlin 2015

[3] Alexander Mitscherlich: „Die Unwirtlichkeit unserer Städte – Anstiftung zum Unfrieden“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1996

Eine Antwort zu „Politische Solidarität und sozialer Wohnbau”.

  1. Avatar von Solidarität & Patriotismus: Halt und Haltung in Zeiten, wie diesen – Demanega

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