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Koalitionen zwischen politischer Romantik und politischem Realismus

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Mit politischem Realismus ist im Kontrast zur politischen Romantik oder zum politischem Idealismus, eine faktenbasierte und an Einfluss orientierte politische Richtung gemeint.

Es geht im Realismus nicht um die gemeinhin als „Realpolitik“ bezeichnete Alternativlosigkeit im Sinne des „There is no Alternative“, sondern um eine Politik der Prinzipien, die diese Prinzipien in einem realen Kontext und nicht in einer utopischen Parallelwelt umzusetzen versucht. Die Inhalte sind dabei hart, es geht aber darüber hinaus um die politische Unsetzung dieser Inhalte. Daran, an der Umsetzung, ist ohnehin jede politische Bewegung zu messen.

Jede politische Vereinigung, die sich einer Wahl stellt, muss seriöserweise über eine Strategie verfügen, wie sie die eigene Programmatik – in den wesentlichen Punkten – in die politische Praxis umsetzen will. Eine Politik, die keine Strategie dazu hat, verläuft sich in Romantik, Protest, Ästhetik, Symbolik oder Populismus und löst sich faktisch auf, weil die Macht denjenigen verschleißt, der sie nicht hat.

Wichtig ist, die Grenzen des eigenen Denkens und des eigenen Wirkungskreises zu kennen, insbesondere auch eine Distanz zwischen Idee und Wirklichkeit ausmachen zu können und sich selbst in ein reales Verhältnis zur Welt zu setzen. Und noch mehr: Es geht darum, die eigene Blase nicht mit der objektiven Wirklichkeit zu verwechseln, in der Folge den eigenen politischen Einfluss und politischen Wirkukgskreis realistisch und nicht idealisierend bis utopisch einzuschätzen.

Eine politische Bewegung, die schlussendlich in Koalitionsverhandlungen eintritt und über keine absolute Mehrheit verfügt, muss naturgemäß auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Im besten Fall 20%, im schlechtesten Fall 80%. Wichtig ist, jene Forderungen zu definieren, die unverhandelbar sind und von denen eine Koalitionsvereinbarung grundsätzlich abhängig ist. Daran ist die Fortführung von Verhandlungen zu knüpfen. Mehr ist mit größeren und anderen Mehrheiten möglich. Darauf zielt alles politische Wirken ab.

Gesellschaftlicher Fortschritt basiert auf der Idee, dass es möglich ist, durch Überzeugung, Diskurs und Debatte grundsätzliche Einigungen zu erzielen, sich im Verhandlungswege und im Rahmen der eigenen Zuständigkeiten durchzusetzen und sich nicht darüber zu beklagen, sich in einem politischen Diskurs, dem man sich ohnehin nicht seriös stellt, nicht durchzusetzen. Letztlich entscheiden dynamische Mehrheiten und mitunter auch Machtkonstellationen über den Lauf der Dinge, die sich wohlgemerkt ändern können und werden.

Die aktuelle Tendenz, im Sinne einer politischen „Haltung“ den Diskurs grundsätzlich zu verweigern, weil damit bestimmte „Grenzen“ überschritten werden würden, die selbstgefällig und einseitig definiert werden, markiert hingegen die mangelnde Orientierung am Fortschritt und am herrschaftsfreien Diskurs.

Der herrschaftsfreie Diskurs bedingt, weitgehend ergebnisoffen in Verhandlungen zu treten, Einigungen zu treffen, die für keine der beteiligten Parteien im Gesichtsverlust enden und mitunter auch in augenscheinlich auswegslosen Konstellationen eine Einigung zu finden, die nicht immer in frontaler Auseinandersetzung, sondern vielfach in Schritten zur Seite liegt. Die eigentliche agonale Auseinandersetzung endet nicht mit Koalitionsvereinbarungen, sondern beginnt erst.

In einer zunehmend pluralistischen Welt sind ohnehin keine absoluten politischen Einigungen mehr denkbar, sondern nur grundsätzliche Arbeitsabkommen, bei denen sich jede Seite auf die eigenen Schwerpunkte konzentriert und den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen von der Möglichkeit abhängig macht, sich konkret im Rahmen des Möglichen – und vielleicht darüber hinaus – durchzusetzen und zu gestalten. Absolute Mehrheiten sind zunehmend selten und damit auch politische Arbeitsprogramme aus einem einzigen Guss.

Sich der politischen Gestaltung verwehren, um vermeintlich „perfekte“ Lösungen im Sinne einer „politischen Romantik“ zu verwirklichen, für die es eine absolute Mehrheit brauchen würde, die selbsverständlich zumeist außer Reichweite liegt, erzeugt Kollateralschäden, die kaum tragbar sind. Ebenso abzulehnen ist eine Kassandra-Politik, die darauf wartet – vielleicht 200 Jahre -, dass alles schlechter werde, um dann daraus Kapital zu schlagen.

Carl Schmitt hat recht, wenn er schreibt: „Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk“.

Es ist nicht so, als würde es derzeit keine handfesten Probleme geben, die uns heute nicht in unserer Lebensqualität gefährden würden. Teuerung, Rezession, Sicherheitsdebatte, unleistbares Wohnen, Prekariat, Globalisierung oder die ökologische Katastrophe sind Themen, die nicht erst irgendwann behandelt werden können. Aufschieben bedeutet, die Erosion des Eigenen in Kauf nehmen.

Irgendwelchen vermeintlichen Standpunkten treu bleiben, die ästhetischer und symbolischer und nicht inhaltlicher oder programmatischer Natur sind, bedeutet notfalls „Untergehen in Schönheit“, was mehr als verantwortungslos ist.

Mit realpolitischer Weitsicht und mit strategischem Handeln sind Lösungen möglich, die durch unzählige Weichenstellungen das Undenkbare denkbar machen. Die theoretische Idee ist essenziell, um die grundsätzliche Richtung verfolgen zu können und um die politische Praxis zu fundieren. Genauso wichtig ist aber das Bewusstsein für die realpolitische Distanz zwischen Idee und politischer Wirklichkeit und die versuchte Minimierung dieser Distanz durch die politische Strategie. Dieser Vorgang ist zäh und arbeitsintensiv. Einfacher, aber nicht zielführend, ist, sich über alles Schlechte zu beklagen, doch nicht ansatzweise zum Besseren beizutragen.

5 Antworten zu „Koalitionen zwischen politischer Romantik und politischem Realismus”.

  1. Avatar von Multipolare Politik und zunehmende Polarisierung – Demanega

    […] Links und rechts: Eine notwendige politische Unterscheidung Koalitionen zwischen politischer Romantik und politischem Realismus […]

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    […] Gerechtigkeitsprinzip, sondern nur noch Privilegien und Korruption, sodass eine Tendenz in Richtung Protestwahl besteht mit einem fortschreitenden Tieferlegen der eigenen Ansprüche an das […]

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  5. Avatar von Bewegtes 2024: Landesregierung – Heinrich – Schützenbund – Demanega

    […] Politischer Realismus ist entscheidend, der freilich im Idealismus verankert ist und diesen konkret materialisiert. […]

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