Alpine Länder sind aufgrund ihrer Geologie und Geomorphologie spezifischen Naturgefahren ausgesetzt, zu denen etwa Massenbewegungen, Überschwemmungen, Lawinen oder Waldbrände gehören. Ein agiles Naturgefahrenmanagement wird zunehmend zum Um und Auf.
Naturgefahren, die menschliches Hab und Gut sowie menschliches Leben bedrohen, können rasch oder über Jahre hinweg ihre zerstörerischen Auswirkungen entwickeln. Grundsätzlich ist dabei zwischen gravitativen Naturgefahren, klimatischen Naturgefahren sowie tektonischen Naturgefahren zu unterscheiden. Insbesondere gravitative Naturgefahren, also Massenbewegungen, erweisen sich in alpinen Ländern als die häufigsten Naturgefahrereignisse.
Wesentlich ist zur Erfassung von Massenbewegungen deren Bewegungsrate:
- 1-5 mm pro Jahr: Es treten kleine Risschäden auf sowie leichte Wölbungen auf
- 10-20 mm pro Jahr: Größere Schäden bei Gebäuden und Infrastruktur
- Ab 50 mm pro Jahr: Große Schäden durch Risse, Verformungen und statisches Versagen.
Murgänge, Schuttströme und Felsstürze weisen Geschwindigkeiten von 3 bis 5 Metern pro Sekunde auf. Rutschungen sind im Bereich zwischen 1,6 Meter pro Jahr und 3 Meter pro Minute anzuordnen und Kriechen ist langsamer als 1,6 Meter pro Jahr.
In diesem Sinne ist zu unterscheiden zwischen:
Murgang, Schuttstrom, Felssturz:
Geschwindigkeitsklasse 7 (extrem schnell): Schneller als 5 Meter pro Sekunde: Katastrophencharakter, Zerstörung von Bauwerken, Flucht nicht möglich
Geschwindigkeitsklasse 6 (sehr schnell): Schneller als 3 Meter pro Minute: Zerstörung von Bauwerken, bedingte Flucht möglich
Rutschung:
Geschwindigkeitsklasse 5 (schnell): Schneller als 1,8 Meter pro Monat: Zerstörung von Bauwerken, Flucht möglich
Geschwindigkeitsklasse 4 (mäßig schnell): Schneller als 13 Meter pro Monat: Erhaltung von Bauwerken bedingt möglich
Geschwindigkeitsklasse 3 (langsam): Schneller als 1,6 Meter pro Jahr: Während der Verformungen sind Sicherungs- und Stabilisierungsmaßnahmen möglich, der rollende Verkehr ist stark gefährdet
Kriechen:
Geschwindigkeitsklasse 2 (sehr langsam): Schneller als 16 Millimeter pro Jahr: Erhalt von Bauwerken ist möglich, der rollende Verkehr ist stark gefährdet
Geschwindigkeitsklasse 1 (extrem langsam): Langsamer als 16 Millimeter pro Jahr: Baumaßnahmen bedingt möglich, Schienenverkehr beeinträchtigt.
Im Sinne eines Katastrophenmanagements ist die Lage sofort, wenn eine Naturgefahr eintritt oder unmittelbar bevorsteht, einzuschätzen und es sind Maßnahmen zu treffen. Der Handlungsspielraum ist aufgrund der Unmittelbarkeit und Geschwindigkeit gering.
Es ist Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, geordnete Zustände durch ein Katastrophenmanagements zu wahren, im Krisenfall strategisch und gezielt vorzugehen und die Gefahr zu mindern durch Informationsgewinnung, Lagefeststellung, Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen und letztlich durch konkrete Entscheidung.
Nach Ergreifen der unmittelbar notwendigen Schritte im Sinne des Katastrophenschutzes und Zivilschutzes sind geotechnische Maßnahmen notwendig:
Auswertung von Luftbildern und Kartierung
Untergrunderkundung sowie Eingrenzung des Untersuchungsgebietes
Simulation mittels Bemessungssoftware
Bemessung von Sicherungsmaßnahmen
Laufende Kontrollbeobachtungen und Kontrollmessungen
Die Modellierung beinhaltet die Beurteilung des Sicherheitsniveaus vor, während und nach der Sicherungsmaßnahmen. Die Scherparameter liegen dabei häufig nicht vor, der Boden ist nämlich heterogen und die Probenauswertung im Labor sind unpräzise. Folglich werden die Scherparameter und Feuchteverhältnisse im Versagenszustand unter Annahme eines Sicherheitsparameters von 1,0 ermittelt.
Diese Sicherheitszahl wird mit den notwendigen Sicherheiten verglichen. Dabei werden alle relevanten Parameter (mechanische Eigenschaften, Grundwasserspiegel, Schichtenaufbau) variiert, um die Auswirkungen beurteilen zu können. Stehen die Auswirkungen fest, sind bauliche Eingriffe zu planen.
Literatur:
[1] Karl Josef Witt: „Grundbau-Taschenbuch – Teil 1: Geotechnische Grundlagen“, Ernst und Sohn Verlag, Hoboken 2017
[2] Helmut Prinz und Roland Strauß: „Ingenieurgeologie“, Springer Spektrum, Berlin 2017
[3] Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen und Naturgefahren – Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer, Wien New York 2011
[4] Wolfgang Dachroth: „Handbuch der Baugeologie und Geotechnik“, Springer Verlag, Berlin 2017


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